20.01.2010

Lowe (EU-Kommisson): “Due process in antitrust” (Rede)

Der scheidende Generaldirektor Philip Lowe der GD Wettbewerb sprach am 9. Dezember 2009 in Brüssel anlässlich der CRA Conference on Economic Developments in Competition Law über Verfahrensgerechtigkeit im Kartellrecht (due process in antitrust).

Ein faires Verfahren beinhaltet gemäß Lowe in jedem Fall ausreichende Verteidigungsmöglichkeiten bei kartellrechtlichen Ermittlungsverfahren. Dazu gehören Anhörungsrecht und die Möglichkeit zur effizienten Wahrnehmung von Verteidigungsrechten auf allen Stufen des Verfahrens.

Zu der in der Öffentlichkeit zu vernehmenden Kritik, dass die Kommission sowohl als Ermittlungsbehörde als auch als Behörde mit Entscheidungsbefugnissen tätig werde, sagte Lowe, dass die Europäischen Gerichte diese Praxis nicht beanstandet hätten. Außerdem sei die Struktur der Kommission von den Verträgen, die die Europäische Union begründet hätten, so vorgegeben worden.

Zu einem fairen Verfahren gehöre eine große Transparenz gegenüber den Unternehmen, die sich vor allem anhand einer weitreichenden Offenlegung von Unterlagen, begründeten Beschwerdepunkten, begründeten und justiziablen Entscheidungen sowie Anhörungen und des regelmäßigen Austauschs des Sachstands zeige; alles Schritte, die die Kommission unternehme. Lowe konstatiert allerdings, dass die Kommission kontinuierlich an einer Verbesserung ihrer Verfahren interessiert sei und daran arbeite, das Verfahren im Sinne von „best practices" zu vervollkommnen.

Ein großer Vorteil des bestehenden administrativen Systems (gegenüber einem auf Gerichtsentscheidungen fußenden System) liege vor allem - so Lowe - darin, dass sich die Behörden eine beträchtliche Expertise zur Behandlung von Wettbewerbsproblemen in sämtlichen wichtigen Bereichen aneignen würden. Hierzu gehöre auch das erst vor kurzem hinzugekommen Instrument der Sektoruntersuchung, das die Kommission befähigt habe, Wettbewerbsprobleme auf angemessene Weise zu lösen, etwa durch fallbezogene Ermittlungen oder regulative Maßnahmen.

Als Sicherheitsventile seien zusätzlich zu der Kontrolle durch die Gerichte auch interne Kontrollmechanismen (checks and balances) eingeführt worden, die ein unparteiisches Vorgehen ermöglichen sollen. Solche Kontrollen würden ausgeführt durch das Kollegium der Kommissare, durch den rechtlichen Dienst der Kommission, der dem Präsidenten unterstehe, durch die Anhörungsbeauftragten, die direkt dem Wettbewerbskommissaren berichtspflichtig seien, durch den Chefökonomen, die „Peer Review Panels" (Vier-Augen-Prinzip), durch Generaldirektoren anderer Generaldirektionen und durch den Beratungsausschuss (Advisory Committee), der sich aus Wettbewerbsexperten der 27 Mitgliedstaaten zusammensetzt.

Das Ermessen der Kommission werde im Rahmen einer Überprüfung der Gerichte darüber hinaus stark eingeschränkt, wie das Gericht erster Instanz erst kürzlich im Microsoft-Fall deutlich aufgezeigt habe.

Schließlich führte Lowe noch einmal sämtliche Rechte der Unternehmen im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens detaillierter auf. Diese Rechte würden - so Lowe - das EU-System zu einem der transparentesten Kartellverfolgungssysteme der Welt machen.

Im Hinblick auf die jüngste Praxis der Kommission, Verpflichtungszusagen von Unternehmen nach Art. 9 VO 1/2003 entgegenzunehmen, sagte der Generaldirektor, dass die Verfahrensrechte der Unternehmen andere als bei normalen Verfahren seien (z.B. gebe es keine gerichtliche Kontrolle auf Initiative der Parteien, nur auf Initiative von Dritten). Allerdings hätten auch bei dem abgekürzten Verfahren die Unternehmen Kenntnis der ihnen zur Last gelegten Vorwürfe und der Beweise. Verpflichtungszusagen würden zudem auf freiwilliger Basis abgegeben.

Schließlich kündigt Lowe an, dass die Generaldirektion Wettbewerb demnächst praxisbezogene Erläuterungen zu den Kartellverfahren der Kommission geben werde, um die Transparenz und Vorhersehbarkeit weiter zu erhöhen. Es wird sich um eine Erläuterung bewährter Vorgehensweisen (best practices) bei Kartellverfahren und bei der Übermittlung ökonomisch basierter Beweise an den Chefökonomen im Rahmen von Kartell- und Fusionskontrollverfahren sowie um nähere Erläuterungen der Rolle der Anhörungsbeauftragten bei Kartellverfahren handeln.