13.11.2014
EU-Ministerrat nimmt Richtlinie über Schadensersatzklagen bei Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht an
Der EU-Ministerrat hat am 10. November 2014 die Richtlinie über Schadensersatzklagen bei Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht angenommen.
Anm.: Polen, Slowenien und Deutschland haben nicht für die Richtlinie gestimmt und eine Stellungnahme veröffentlicht.
Die Richtlinie beruhte auf dem Richtlinienvorschlag der EU-Kommission über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach einzelstaatlichem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union vom Juni 2013. Im Trilog hatten zuvor Rat, Europäisches Parlament und Kommission am 18. März 2014 einen Kompromiss angenommen (vgl. FIW-Bericht vom 20.03.2014). Das Europäische Parlament hatte im April dieser Kompromissfassung zugestimmt. Die Richtlinie wird voraussichtlich auf der Plenartagung des Europäischen Parlaments Ende November verabschiedet werden. Anschließend wird sie im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht und tritt 20 Tage nach ihrer Veröffentlichung in Kraft. Die Mitgliedstaaten haben dann zwei Jahre Zeit für die Umsetzung.
Sechs Jahre nach Inkrafttreten wird die Kommission die Richtlinie überprüfen und einen entsprechenden Bericht vorlegen.
Hintergrund:
Die EU- Kommission hatte am 11. Juni 2013 ein Maßnahmenpaket zum kollektiven Rechtsschutz sowie zu Schadensersatzklagen im Wettbewerbsrecht veröffentlicht (vgl. FIW-Bericht vom 13.06.13). In dem dazu gehörenden Richtlinienvorschlag (des Rates und des Europäischen Parlaments) über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach einzelstaatlichem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union hatte die EU-Kommission auf eine verbindliche Einführung von EU-Sammelklagen verzichtet. Sie beschränkte sich stattdessen auf eine unverbindliche Empfehlung an die Mitgliedstaaten, kollektive Rechtsschutzelemente in verschiedenen Rechtsgebieten einzuführen.
Neben dem Ziel, eine vollständige Kompensation für den aufgrund eines Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht erlittenen Schaden zu gewährleisten, wollte die Kommission durch den Richtlinienvorschlag auch das Zusammenspiel zwischen öffentlicher und privater Rechtsdurchsetzung verbessern, indem insbesondere ein verstärkter Schutz von Kronzeugen in späteren Schadensersatzprozessen vorgesehen wird. Die EU-Kommission hat nun die endgültige Annahme durch den EU-Ministerrat begrüßt (vgl. Presseerklärung der EU-Kommission vom 10.11.14).
Wesentlicher Inhalt der Richtlinie:
- Schadensersatz: Jeder, der durch ein Kartell geschädigt ist, kann vollen Schadensersatz verlangen. Der Schadensersatz umfasst dabei den Ersatz der eingetretenen Vermögenseinbuße und des entgangenen Gewinns, sowie die Zahlung von Zinsen.
- Offenlegung von Beweismitteln: Dem Gericht soll jetzt die Möglichkeit eingeräumt werden, eine Offenlegung von Beweisen anzuordnen unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit der Offenlegungsanordnung. Eine nicht-spezifische Informationssuche wird explizit ausgeschlossen. Es werden Regelungen im Hinblick auf den Schutz von Dokumenten, die sich in den Akten einer Wettbewerbsbehörde befinden, insbesondere bei Kronzeugenregelungen, getroffen.
- Bindungswirkung nationaler Behörden- und Gerichtsentscheidungen: Einzelstaatliche Gerichte sind an die rechtskräftigen Entscheidungen der nationalen Wettbewerbsbehörde hinsichtlich des Vorliegens eines Kartellverstoßes gebunden.
- Verjährung: Der Text hat die von der Kommission vorgeschlagene Mindestverjährungsfrist von fünf Jahren übernommen. Die Hemmung der Verjährungsfrist, die durch die Einleitung eines Verfahrens durch eine Wettbewerbsbehörde eintritt, beträgt entsprechend dem Kommissionsentwurf ein Jahr nach finaler Behördenentscheidung.
- Gesamtschuldnerische Haftung: Auch der Grundsatz der gesamtschuldnerischen Haftung wurde entsprechend dem Kommissionsvorschlag beibehalten. Kronzeugen sind weiterhin im Außenverhältnis privilegiert. So sind sie nur gegenüber ihren mittelbaren und unmittelbaren Abnehmern oder Lieferanten haftbar, es sei denn, dass der Geschädigte von keinem anderen Kartellbeteiligten die volle Erstattung des erlittenen Schadens erlangen kann. Allerdings sollen KMU grundsätzlich nur gegenüber ihren eigenen Abnehmern, wenn deren Anteil am betreffenden Markt unter 5 % während des wettbewerbswidrigen Verhaltens lag und ansonsten bei einer Inanspruchnahme des KMU dessen Existenz bedroht wäre, haften. Dies gilt nicht, wenn das KMU das wettbewerbswidrige Verhalten verursacht oder angeführt hat.
- Passing-on Defense: Die Mitgliedstaaten werden auffordert, klare Regeln zu schaffen, um das Recht auf Entschädigung aller Parteien (direkter und indirekter Abnehmer) zu gewährleisten. Gleichzeitig soll eine Überkompensation und die Möglichkeit Mehrfachschadensersatz zu erlangen, ausgeschlossen werden. Die Einrede der Schadensabwälzung soll erhoben werden können. Die Beweislast, dass der Kläger den Schaden weitergegeben hat, liegt beim Beklagten, der allerdings eine Offenlegung von Beweismitteln durch den Kläger verlangen kann. Trotz der Erhebung dieser Einrede, kann der Kläger weiterhin auch seinen entgangenen Gewinn einklagen. Die nationalen Richter erhalten ein Schätzungsrecht, um zu beurteilen, in welchem Umfang der Schaden weitergereicht wurde.
- Preisaufschlag zu Lasten indirekter Abnehmern: Die Beweislast für eine Schadensabwälzung bei Klagen indirekter Abnehmer liegt grundsätzlich beim Kläger. Dieser kann aber eine Offenlegung von Beweismitteln durch den Beklagten verlangen.
- Orientierungshilfe für Gerichte: Die Kommission wird aufgefordert, den nationalen Gerichten eine Orientierungshilfe an die Hand zu geben, um das Ausmaß der Schadensabwälzung besser schätzen können.
- Quantifizierung des Schadens: Es wird eine Vermutung festgeschrieben, dass prinzipiell jedes Kartell zu einem Schaden führt. Auf Anfrage können die Wettbewerbsbehörden Unterstützung bei der Quantifizierung des Schadens bieten.
- Alternative Streitbeilegung: Im Falle einer einvernehmlichen Streitbeilegung kann das gerichtliche Verfahren ausgesetzt werden. Die Aussetzung darf maximal zwei Jahre betragen.