18.07.2014

42. FIW-Seminar fand am 2. und 3. Juli 2014 in Köln statt

FIW
FIW-Seminar

Am 2. und 3. Juli 2014 fand zum 42. Mal das FIW-Seminar „Aktuelle Schwerpunkte des Kartellrechts" in Köln statt. Die Veranstaltung wurde von Dr. Gernot Schaefer, Vorsitzender des FIW-Vorstandes, eröffnet. Die Referate wurden von den FIW-Vorstandsmitgliedern Dr. Peter Spitze und Dr. Horst Satzky, zusammen mit dem Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim FIW, Professor Dr. Andrea Lohse, und dem FIW-Kuratoriumsmitglied, Johann Brück, sowie von Dr. Maxim Kleine (Rechtsanwalt) und Dr. Ulrike Suchsland (BDI) moderiert.

Dr. Peter Klocker, Vizepräsident, Bundeskartellamt, gab im traditionellen Eröffnungsvortrag des BKartA einen Überblick über die aktuelle Entscheidungspraxis des Amtes 2013/2014. Die Initiative des NRW-Justizministeriums, ein Unternehmensstrafrecht einzuführen, geht aus Sicht des BKartA in die falsche Richtung. Gemäß Klocker habe das Projekt keine Chance auf Realisierung. Hingegen sei eine Entschlackung des Kartellverfahrensrechts notwendig. Auch für eine Erleichterung des Zusammenschlusses von Presseverlagen unterhalb der redaktionellen Ebene sehe das BKartA keinen Handlungsbedarf. Gerade um die Medienkonvergenz zu erhalten, sei es keine gute Idee, starke Player zu genieren. Im Fall Google sei eine Zerschlagung kein realistisches Szenario; hierfür gäbe es keine Rechtsgrundlage; eine Regulierung des Algorithmus sei ebenfalls völlig undenkbar. Hier seien Ansätze auf EU-Ebene gefragt.

Die Verordnung Nr 1/2003 sowie das Netzwerk der Europäischen Wettbewerbsbehörden habe gut funktioniert. Fast identische Leniency-Programme seien eine Erfolgsstory des ECN. Problematisch blieben parallele Bußgeldverfahren; weitere Kooperationen seien notwendig, um eine Abschöpfung von Bußgeldern nach dem Windhundprinzip zu verhindern. Im Hinblick auf die Richtlinie zur Harmonisierung privater Schadensersatzregelungen habe das Europäische Parlament für schwierige Regelungen gesorgt, die nun in nationales Recht umzusetzen seien.

Zur Situation im Handel: Im Handel fände derzeit eine „Revolution" statt. Die Online-Umsätze stiegen extrem an, Ladengeschäfte könnten oft nur mit einem zweiten Standbein (Online-Handel) existieren. Diese Entwicklung müsse auch vom Kartellrecht berücksichtigt werden. Das BKartA habe vertikale Beschränkungen, die Hersteller dem Internet-Handel auferlegten ebenso wie Best-Preis-Klauseln untersucht. Das Pilotverfahren gegen Asics sei noch nicht abgeschlossen. Das Verfahren gegen HRS habe mit einer förmlichen Verfügung des BKartA geendet. Die Verfahren gegen Booking.com und Expedia seien hingegen ins Stocken geraten. Klocker sagte, dass nationale Abhilfemaßnahmen nicht mit denen anderer Mitgliedstaaten identisch sein müssten.

Der Berichtszeitraum habe eine Steigerung großer Bußgeldfälle (drei Großverfahren) mit ca. 750 Mio. EUR Bußgeldern zu verzeichnen: Es ginge um das Schienenkartell (Nahverkehrsunternehmen), Bier (Absprache zwischen Brauereien) und Zuckerhersteller.

Im Bereich der Fusionskontrolle habe das OLG Düsseldorf bestätigt, dass auch nach Einführung des SIEC-Tests das Merkmal der Marktbeherrschung als Regelfall erhalten bliebe. Der SIEC-Test gebe mehr Spielräume bei engen Oligopolen; inzwischen sei auch die ökonomische Expertise beim BKartA gewachsen. Die Reformbestrebungen bei der EU-Fusionskontrolle sah Klocker kritisch. Eine „Minderheitsbeteiligung light" ohne Anmeldeerfordernisse sei nicht der richtige Weg. Vereinfachungen bei Verweisungen seien in beide Richtungen notwendig.

Die Markttransparenzstelle Kraftstoffe sei seit Dezember 2013 im Regelbetrieb. Über die Informationsdienste plane das BKartA einen Bericht. Der Jahresbericht des BKartA werde nächste Woche vorgestellt.

Dr. Konrad Ost, Leiter der Abteilung Grundsatzfragen, Bundeskartellamt, und Prof. Dr. Gerhard Dannecker, Rupprechts-Karls-Universität, Heidelberg führten im Anschluss ein Streitgespräch zu dem Thema „Reformimpulse für das Kartellordnungswidrigkeitenrecht". Aus Sicht von Ost ist das Kartellordnungswidrigkeitenrecht dringend reformbedürftig. Die Dauer der Kartellverfahren (behördlich, gerichtlich) sei in Deutschland insgesamt zu lang. Außerdem ergebe sich ein gewisser Konvergenzdruck aus dem System der parallelen Zuständigkeiten. Der beim Bundeskartellamt eingerichtete Arbeitskreis Kartellsanktionenrecht, der 2013 konstituiert worden sei, habe die Aufgabe, zu eruieren, wie die „überschießenden Wünsche des Kartellamts" (so Dannecker) wissenschaftlich eingebettet werden könnten. Für 2015 sei ein Abschlussbericht geplant. Ost plädierte für einen Mittelweg zwischen „Luxemburg" und „Düsseldorf", da das deutsche Verfahren zu aufwändig sei, das EU-Verfahrensrecht hingegen zu wenig dogmatisch fundiert und von daher verbesserungsfähig sei. Dannecker machte deutlich, dass man sich im Kartellordnungswidrigkeitenrecht im strafrechtlichen Bereich bewege, es gehe nicht um bloße Wirtschaftslenkung. Die strafrechtlichen Garantien würden unabhängig von der Verfahrensform Geltung beanspruchen. Es gebe verschiedene Umsetzungsmöglichkeiten. So könnte man das OWi-Verfahren beibehalten, dieses müsse jedoch an die Besonderheiten des Kartellsanktionenrechts angepasst werden. Eine Übernahme des europäischen Verfahrensrechts lehnte Dannecker ab.

Dannecker zufolge gelte der europäische Grundrechtsstandard nicht nur im harmonisierten Bereich. Der Grundrechtsschutz sei im Übrigen auch für juristische Personen anerkannt. Im Prinzip gelte sogar der höhere (etwa auch nationale) Standard, es sei denn dieser beeinträchtige die Effektivität der europäischen Grundrechte. Im Falle einer Harmonisierung müssten im Verwaltungsprozess die Grundrechtsstandards „hochgeschraubt" werden. Dem widersprach Ost. Seiner Meinung nach ließen sich höhere Standards nach der Schenker-Entscheidung nicht aufrechterhalten. Laut Dannecker ist der Grundsatz nemo tenetur se ipsum accusare ein Verfassungsgrundsatz, der per se, zumindest im Kernbereich des Strafprozesses gelte. Bei Randbereichen sei stets abzuwägen, inwieweit man sich im Kernbereich der Anwendung dieses prozessualen Grundrechts befinde. Nach Ansicht Danneckers müsse auch dem Aspekt der Gewaltenteilung mehr Rechnung getragen werden. So müsse das Gericht die Bußgeldbemessung in eigener gerichtlicher Verantwortung verantworten und diese nicht nur überprüfen. Bei der Reform der Verfahrensprinzipien (Mündlichkeit, Unmittelbarkeit, Beweiserhebungsfreiheit) müsse man stets prüfen und abwägen, wie man Regelungen beschneiden könne, ohne den Grundrechtsschutz zu verringern. Bei der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit könne man die geltenden Verfahrensprinzipien voraussichtlich entschlacken. Hier müsse auch der Richter - so Dannecker - eine aktivere Rolle einnehmen. Auch bei der Priorität der Beweismittel sei die Grenze einer Verschlankung der Verfahrensrechte stets die Wahrheitsfindung. Stets gehe es darum, so viel schützende Normen wie möglich anzuwenden, ohne formalistisch zu sein.

Dr. Jörg Witting, Bird & Bird LLP, referierte über die „neue Technologietransfer-GVO". Witting stellte zunächst allgemeine Änderungen kurz dar und konzentrierte sich dann auf die zentralen Änderungen der GVO. Künftig werde jede Beschränkung des passiven Verkaufs der Produkte, die die lizensierte Technologie enthalten, nicht mehr automatisch freigestellt; dies gelte auch für die ersten beiden Jahre, in denen dieser Lizenznehmer Produkte verkauft hat. Im Einzelfall soll eine Freistellung nach wie vor möglich sein, soweit der Schutz der Exklusivität objektiv erforderlich sei für den Markteintritt des geschützten Lizenznehmers. Witting zufolge steige durch die Einzelfallbetrachtung die Rechtsunsicherheit. Eine weitere Änderung liege darin, dass sämtliche exklusive Rücklizenzverpflichtungen nun auch bei nicht abtrennbaren Verbesserungen nicht mehr von der GVO freigestellt sind. Sie könnten nur noch per Einzelfreistellung zulässig sein. Darin liege das Risiko, dass die Lizenzbereitschaft zurückgeht. Im Hinblick auf die Vereinbarung eines Kündigungsrechts differenziere die Kommission nun zwischen exklusiven und nicht-exklusiven Lizenzverträgen. Bei exklusiven Lizenzverträgen soll eine Kündigungsmöglichkeit freigestellt bleiben, nur bei nicht-exklusiven entfällt der Anwendungsbereich der Gruppenfreistellung. Witting wies darauf hin, dass ein Kündigungsrecht dieselbe Wirkung wie eine Nichtangriffsklausel haben könne, insbesondere bei hohen Investitionen des Lizenznehmers oder bei Unabdingbarkeit der lizensierten Technologie für die Produktion des Lizenznehmers. Dies könne zu lock-in-Effekten führen. Witting vertiefte die Problematik noch im Hinblick auf standardessenzielle Patente und ging auf einige nationale Gerichtsentscheidungen sowie Entscheidungen der Kommission ein. Schließlich erläuterte Witting die Ergänzungen zu den Streitbeilegungsvereinbarungen in den Leitlinien ein und thematisierte den safe harbour für die Einrichtung und den Betrieb von Technologietools, dessen Voraussetzungen und Wirkungen Witting im Einzelnen herausstellte.

Christian Dobler, Ministerialdirigent im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, berichtete über „Aktuelle Entwicklungen in der Wettbewerbspolitik". Zunächst gab er einen Überblick über die Grundaufgaben der Wettbewerbspolitik im BMWi, die von fachlicher Politikberatung bis zu Spiegelfunktionen anderer Ministerien reichen. Neben der Federführung bei der Durchführung von GWB-Novellen gebe es eine Reihe von weiteren Themenfeldern, mit dem das BMWi befasst sei. Derzeit gelte es, Aufträge aus dem Koalitionsvertrag zum Unternehmensstrafrecht, kollektiven Verbraucherschutz und Pressekooperationen zu prüfen und ggf. umzusetzen. Inwieweit Compliance-Programme bei kartellrechtlichen Entscheidungen Berücksichtigung finden können, sei ebenfalls ein aktuelles Thema. Das BMWi werde im September einen internen Workshop durchführen, um sämtliche Möglichkeiten einer solchen Berücksichtigung näher zu prüfen. Auch die Richtlinie Kartellschadensersatz, die eine schwierige Gradwanderung gewesen sei, werde nun innerhalb der Umsetzungsfrist vorwiegend im GWB umzusetzen sein. Mit der Annahme des Kompromisstextes im Rat sei im Herbst 2014 zu rechnen. Weiterhin seien neue EU-Vergaberichtlinien für April 2016 in nationales Recht umzusetzen. Dobler streifte zudem die EEG-Reform, die Einrichtung einer Markttransparenzstelle für Großhandel von Strom und Gas sowie Kraftstoffe sowie die Eisenbahnregulierung. Zu erwarten sei im September 2014 ein Kommissionsvorschlag zur Verankerung einheitlicher Regelungen von Netzneutralität und zur Änderung der Roaming-Verordnung. Des Weiteren ging Dobler auf aktuelle Internetthemen, wie das Kartellverfahren gegen Google ein und berichtete kurz über die sog. Digitale Agenda der Bundesregierung. Im Hinblick auf eine kartellrechtsnahe Regulierung von Suchmaschinen prüfe das BMWi derzeit, ob und welche Ansatzpunkte es für eine weitergehende kartellrechtsnahe Regulierung auf der Basis eines Arbeitspapiers von Bundeskartellamt und Bundesnetzagentur gebe. Eine ex-ante-Regulierung erscheine schwierig; hier sei eine EU-weite Lösung vorzuziehen. Die durch den Internet-Vertrieb ausgelösten großen Herausforderungen für den stationären Einzelhandel könne das BMWi indes nur begleiten.

Prof. Dr. Rainer Lademann, Lademann & Associates, widmete sich dem Komplex „Marktabgrenzung und Wettbewerb auf Märkten unter dem Einfluss von E-Commerce". Ausgangsfrage sei, ob der Online-Handel ein eigener Markt sei oder (bereits) als Substitut des Ladeneinzelhandels angesehen werden könne. Dabei ging er zunächst auf Marktcharakteristika und Entwicklungslinien des E-Commerce ein und stellte dar, inwieweit der E-Commerce ein Spiegelbild des technologischen Wandels und Treiber der Globalisierung von Märkten sei. Der Anteil der Internetnutzer weise zurzeit Sättigungstendenzen auf und liege bei ca. 80 % der Bevölkerung. Beim mobilen Internet via Smartphone in Deutschland seien allerdings noch keine Sättigungstendenzen zu erkennen; hier gehe das Wachstum noch weiter. Nach einer Darstellung der Entwicklung des Online-Handels, der zunehmend den klassischen Versandhandel und den Ladeneinzelhandel verdrängt, stellte Lademann die Prognose, dass der Umsatz im Online-Handel binnen zehn Jahren die 50 %-Marge erreicht haben könnte, was für einen substituierten Effekt und damit für einen einheitlichen Markt sprechen könnte. Nach einer Darstellung der Grundsätze zur Marktabgrenzung bei Online-Märkten in der EU sowie in B2C-Konsumgütermärkten und B2C-Dienstleistungsmärkten zog Lademann das temporäre Fazit, dass sich bereits jetzt die warenbezogene Online-Ökonomie auf Offline-Kanäle überwiegend substitutiv auswirke, was für einen einheitlichen Markt von Online- und Offline-Kanälen spreche. Der Substitutionscharakter dürfte teils dramatische Folgen für die Struktur der Städte haben, weil dadurch der Ladeneinzelhandel direkt in Mitleidenschaft gezogen würde.

Dr. Thorsten Mäger, Hengeler Mueller, informierte über „Plattformverbote in Vertriebsverträgen" und widmete sich der Frage, wo die rechtlichen Grenzen von Vertriebssystemen bei der Beschränkung des Internetvertriebs verlaufen. Zunächst stellte Mäger einige Besonderheiten des Online-Vertriebs dar. Plattformen seien wichtige Intermediäre und als solche nicht Teil der Lieferkette. Insbesondere vertriebskanalbezogene Beschränkungen würden von den Kartellbehörden kritisch gesehen, da sie geeignet seien, den Preiswettbewerb im Internet zu dämpfen, die Kundenreichweite zu beschränken und Marktzutritts-Chancen für neue Händler zu verwehren. Bei sog. Plattformverboten wiesen die aktuellen Fälle des Bundeskartellamts unterschiedliche Verfahrensweisen auf. Während das Bundeskartellamt Plattformverbote meist als unzulässige Kernbeschränkungen ansehe, divergierten die instanzgerichtlichen Entscheidungen in Zivilsachen in Deutschland erheblich. Im Kern gehe es stets um die Frage, ob in einem Plattformverbot eine unzuverlässige Weiterverkaufsbeschränkung oder eine zulässige Qualitätsanforderung (im selektiven Vertrieb) liege. Es gelte, Wettbewerbsbeschränkungen, die lediglich in den Mantel einer Qualitätsanforderung gekleidet seien, von tatsächlichen zulässigen Qualitätsanforderungen zu unterscheiden. Hierbei stellten sich auch Fragen, inwieweit das Markenimage qualitative Unterschiede im Hinblick auf die Produktpräsentation und Information rechtfertigen könne. Mäger fragte auch, ob nur technisch komplexe Produkte und Luxusprodukte ggf. dem Schutz des Markenimages unterstehen könnten. Ebenfalls offen sei die Frage, wie man das Trittbrettfahrer-Problem (Information im Ladengeschäft, Kauf im Internet und umgekehrt) lösen könne.

Andreas Bardong, Bundeskartellamt (Text wird nachgereicht).

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