13.06.2013
Kommission veröffentlicht Vorschläge für kollektiven Rechtsschutz und zu Schadenersatzklagen im Kartellrecht
Am 11. Juni 2013 hat die EU-Kommission ein Maßnahmenpaket zum kollektiven Rechtsschutz und zu Schadensersatzklagen im Wettbewerbsrecht vorgestellt.
In einer Empfehlung an die Mitgliedstaaten empfiehlt die Kommission diesen, kollektive Rechtsschutzelemente in verschiedenen Rechtsgebieten einzuführen. Dabei sollen bestimmte Verfahrensgarantien eingehalten werden, um dem Missbrauch von Klageinstrumenten entgegenzuwirken. Daher schlägt die Kommission den Mitgliedstaaten vor, Kollektivklagen nur nach einem „Opt-In"-Prinzip (im Gegensatz zu einem „Opt-Out"-Prinzip) einzuführen.
Der Richtlinienvorschlag, dem das Europäische Parlament und der Rat zustimmen müssen, enthält - anders als frühere Vorstellungen der GD Wettbewerb unter Kommissarin Kroes - keine Regelungen zur Einführung kollektiver Klageelemente (Sammelklagen). Dafür will der Vorschlag zivilprozessuale Regeln vereinheitlichen, wie die Offenlegung von Beweismaterial, den Einwand der Schadensabwälzung und die Bindungswirkung von Entscheidungen. Mit Hilfe der Richtlinie soll die wirksame Durchsetzung der EU-Wettbewerbsvorschriften gewährleistet werden, indem das Zusammenspiel von behördlicher und privater Durchsetzung des EU-Wettbewerbsrechts optimiert wird und den Kartellgeschädigten und die Möglichkeit gegeben wird, Schadensersatz in voller Höhe zu erhalten. Nach eigenen Angabe der Kommission würde in nur 25 Prozent der Kartellsachen, in denen die Kommission in den letzten sieben Jahren eine Entscheidung erlassen hat, Schadensersatz geltend gemacht. Die Kommission beabsichtige, Schadensersatzklagen in größerem Umfang in der gesamten EU zu erleichtern. Nach Inkrafttreten der Richtlinie haben die Mitgliedstaaten zwei Jahre Zeit, um die Regelungen in nationales Recht umzusetzen.
Die Kommission hat ferner eine Mitteilung über die Ermittlung des Umfangs des kartellrechtlichen Schadens angenommen, um den Gerichten und den Parteien von Schadenersatzklagen eine Orientierungshilfe an die Hand zu geben. Darüber hinaus haben die Dienststellen der Kommission einen Praktischen Leitfaden für Kartellgeschädigte und einzelstaatliche Richter ausgearbeitet. Dem Richtlinienentwurf ist zudem eine Folgenabschätzung beigefügt.
Das Maßnahmenpaket enthält folgende Dokumente:
- Empfehlung der Kommission an die Mitgliedstaaten zu gemeinsamen Grundsätzen für kollektive Unterlassungs- und Schadensersatzverfahren in den Mitgliedstaaten bei Verletzung von durch Unionsrecht garantierten Rechten ( Federführung hatte die GD Justiz),
- Mitteilung der Kommission „Auf dem Weg zu einem allgemeinen europäischen Rahmen für den kollektiven Rechtsschutz"
- Richtlinienvorschlag über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach einzelstaatlichem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union (Federführung: GD Wettbewerb),
- Mitteilung zur Ermittlung des Schadensumfangs bei wettbewerbsrechtlichen Schadensersatzklagen,
- Praktischer Leitfaden zur Ermittlung des Schadensumfangs bei wettbewerbsrechtlichen Schadensersatzklagen,
- Folgenabschätzung zum Richtlinienvorschlag (bisher nur englisch)
- Zusammenfassung der Folgenabschätzung
Wesentlicher Inhalt der Kommissionsempfehlung:
- Die Mitgliedstaaten sollen in den nächsten zwei Jahren kollektive Schadensersatz- und Unterlassungsklagen auf nationaler Ebene in verschiedenen Rechtsgebieten, z.B. im Verbraucherschutz und im Bereich des Wettbewerbs, ermöglichen. Nach vier Jahren wird die Kommission prüfen, ob weitergehende Maßnahmen notwendig sind.
- Die Mitgliedstaaten sollen für Repräsentativklagen Vertretungsorgane benennen, die bestimmten Kriterien, z.B. Gemeinnützigkeit, unterliegen. Das Vertretungsorgan oder die Klägergruppe müssen die Möglichkeit haben, über die Rechtsverletzung und ihre Absicht, eine Klage zu erheben, informieren dürfen.
- Die im Prozess unterlegene Partei trägt die Prozesskosten der obsiegenden Partei („Loser-pays-Prinzip").
- Finanzierung der Klage: Gericht kann Offenlegung der Finanzierung des Prozesses verlangen. Bei fehlenden Voraussetzungen für eine Prozessfinanzierung kann das Verfahren ausgesetzt werden. Bei bestimmten Modalitäten, z.B. Interessenskonflikten, darf nicht drittfinanziert werden.
- Verankerung des Opt-in-Prinzips in Schadensersatzverfahren, allerdings sind Ausnahmen möglich, wenn sie aus Gründen der ordnungsgemäßen Rechtspflege erfolgen.
- Parteien einer kollektiven Schadensersatzklage sollen ihren Rechtsstreit außergerichtlich oder im Wege eines Vergleichs lösen können. Verjährungsfrist wird während eines alternativen Streitbeilegungsverfahrens gehemmt.
- Erfolgshonorare sollten grundsätzlich nicht erlaubt sein, Strafschadenersatz nicht ermöglicht werden.
Wesentlicher Inhalt des Richtlinienvorschlags:
- Schadensersatzkläger kann jeder sein, der einen Schaden durch einen Verstoß gegen das nationale oder europäische Wettbewerbsrecht erlitten hat. Der Geschädigte kann vollen Ersatz seines Schadens verlangen.
- Gericht kann Offenlegung von Beweismitteln anordnen, wenn der Schadensersatzkläger plausibel und unter Vorlage der ihm mit zumutbarem Aufwand zugänglichen Tatsachen und Beweismittel dargelegt hat, dass Beweismittel in der Hand des Beklagten oder eines Dritten wichtig zur Substantiierung des Anspruchs sind, und er zum anderen ein Beweisstück benennt oder die Kategorie der Beweismittel so genau bezeichnet, wie es ihm möglich ist. Ausnahmen von der Offenlegung gelten für Kronzeugenerklärungen und Vergleichsausführungen. Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse sollen geachtet werden.
- Entscheidungen nationaler Wettbewerbsbehörden oder nationaler Rechtsbehelfsgerichte kommt hinsichtlich der Feststellung einer Zuwiderhandlung Bindungswirkung im Gerichtsverfahren zu.
- Die Verjährungsfrist für die Erhebung einer Schadensersatzklage muss mindestens fünf Jahre betragen.
- Bei gesamtschuldnerischer Haftung haftet der Kronzeuge nur gegenüber seinen eigenen unmittelbaren oder mittelbaren Abnehmern oder Lieferanten, es sei denn, ein Geschädigter kann von den sonstigen Rechtsverletzern keine volle Kompensation erlangen.
- Die Einrede der Schadensabwälzung (Passing-On-Defence) wird zugelassen und nur ausgeschlossen, wenn der Preisaufschlag an Personen auf der nächsten Vertriebsstufe weitergegeben wurde, für die es rechtlich unmöglich ist, den Schaden geltend zu machen. Die Beweislast für die Einrede liegt beim Beklagten. Bei Klagen mittelbarer Abnehmer trägt dieser die Beweislast für die Schadensabwälzung. Zu seinen Gunsten gilt jedoch eine Beweisvermutung, wenn er nachweist, dass der Beklagte an einem Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht beteiligt war, der zu einem Preisaufschlag beim unmittelbaren Abnehmer geführt hat und dass er selbst die entsprechenden Waren oder Dienstleistungen, bzw. die Folgeprodukte, erstanden hat.
- Die Anforderungen für die Quantifizierung des Schadens dürfen nicht so hoch sein, dass eine Klage praktisch unmöglich oder übermäßig schwierig ist. Das Gericht soll die Befugnis haben, den Umfang des Schadens zu schätzen.
- Die Fristen zur Einreichung einer Klage sowie laufende Klageverfahren werden ausgesetzt, solange ein Verfahren zur einvernehmlichen Streitbeilegung läuft.