10.02.2012
Monopolkommission hat Sondergutachten zur 8. GWB-Novelle (Nr. 63) vorgelegt
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https://www.monopolkommission.de/sg_63/s63_volltext.pdf |
Am 1. Februar 2012 hat die Monopolkommission ihr 63. Sondergutachten zur bevorstehenden 8. GWB-Novelle unter dem Titel „Die 8. GWB-Novelle aus wettbewerbspolitischer Sicht" veröffentlicht. Mit Teilaspekten der Novelle hatte sich die Monopolkommission bereits zuvor infolge des im Januar 2010 veröffentlichten Entwurfs des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi) zur Änderung des GWB im Rahmen ihres Sondergutachtens (Nr. 58) „ „Gestaltungsoptionen und Leistungsgrenzen einer kartellrechtlichen
Unternehmensentflechtung" befasst. Kernanliegen des BMWi war seinerzeit die Einführung einer missbrauchsunabhängigen Entflechtungsbefugnis für das Bundeskartellamt.
Wesentlicher Inhalt des Sondergutachtens:
In ihrem aktuellen Sondergutachten bewertet die Monopolkommission Teile der nun geplanten GWB-Novelle positiv, sie sieht jedoch bei einigen wichtigen Punkten noch erheblichen Nachbesserungsbedarf.
Die Monopolkommission bewertet positiv:
- Die geplante Übernahme des europäischen Untersagungskriteriums (SIEC-Test) in die deutsche Fusionskontrolle. Mit dem Wechsel vom Marktbeherrschungs- zum SIEC-Test werde - so die Monopolkommission - die Integration neuer ökonomischer Erkenntnisse in die wettbewerbsrechtliche Prüfung erleichtert sowie eine zweifelsfreie und flexible Erfassung aller potenziell wettbewerbsbeschränkenden Zusammenschlüsse ermöglicht. Auf mögliche negative Auswirkungen, z.B. einer längeren gerichtlichen Verfahrensdauer, geht die Monopolkommission nicht ein.
- Das BMWi plant keine Aufnahme eines einzelfallbezogenen Effizienzeinwands nach europäischem Vorbild, sondern hält an der deutschen Abwägungsklausel fest. Eine Berücksichtigung von Effizienzgewinnen und sonstigen positiven Auswirkungen von Zusammenschlüssen würden hohe Kosten - bei geringem Nutzen - verursachen.
- Beibehaltung der Abwägungsklausel und der Ministererlaubnis. Das Instrument der Ministererlaubnis sei insbesondere wichtig, um die Unabhängigkeit des Bundeskartellamts zu stärken.
- Die Vorschläge zur Pressefusionskontrolle hält die Monopolkommission in ihrer Gesamtheit für wettbewerbspolitisch vertretbar. Sie befürwortet, dass die so genannte Anschlussklausel bei Pressefusionen auch künftig keine Anwendung finden soll.
- Beibehaltung der Zusammenschlusstatbestände in § 37 GWB. Diese hätten sich nach Ansicht der Monopolkommission bewährt und sollten nicht aufgegeben werden. Insbesondere der Tatbestand des „wettbewerblich erheblichen Einflusses" in § 37 Abs. 1 Nr. 4 GWB würde vor Umgehungsstrategien der Unternehmen schützen.
- Beibehaltung der Marktbeherrschungsvermutungen, auch im Regime des SIEC-Tests. Diese trügen in behördlichen Verfahren dazu bei, dass die Zusammenschlussparteien alle entscheidungserheblichen Informationen vollständig und rechtzeitig übermittelten.
- Anhebung der Schwelle der Einzelmarktbeherrschungsvermutung von einem Drittel auf 40 Prozent.
- Der Verlagerung der Bagatellmarktklausel in die materielle Fusionskontrolle steht die Monopolkommission ambivalent gegenüber, da einerseits schwierige Auslegungsfragen in Bezug auf die Marktabgrenzung bei der Anmeldung wegfallen, andererseits jedoch die Kosten der fusionskontrollrechtlichen Prüfung von Bagatellmärkten ansteigen würden.
- Die Vorschläge im Zusammenhang mit den Nebenbestimmungen zu fusionskontrollrechtlichen Freigabeentscheidungen und die Beibehaltung des Verbots der laufenden Verhaltenskontrolle bewertet die Monopolkommission als positiv. Auch die geplante Regelung zur Fristverlängerung bei erstmaligem Zusagenangebot empfindet sie als sachgerecht.
- Auslaufen der befristeten Regelung der Verschärfung des Verbots der Aufforderung oder Veranlassung zur Gewährung von Vorteilen (§ 20 Abs. 3 Satz 2 GWB): Der Ausschluss großer Hersteller aus dem Schutzbereich der Vorschrift sei schon deshalb richtig, weil diese regelmäßig besser in der Lage seien als kleine und mittlere Lieferanten, sich gegen sachlich ungerechtfertigte Forderungen des Einzelhandels zu wehren.
- Auslaufen des Verbots von gelegentlichen Untereinstandspreisverkäufen von Lebensmitteln: Die Vorschrift sei ungeeignet, das gesetzgeberische Ziel hoher Lebensmittelqualität zu erreichen. Besser sei die Abschaffung des Verbots von Untereinstandspreisverkäufen insgesamt, gegen das grundsätzliche ordnungspolitische Vorbehalte bestünden.
- Das Verbot der Preis-Kosten-Schere sollte höchstens für weitere fünf Jahre verlängert werden, da die Wohlfahrtswirkungen solch eines Verbots keinesfalls eindeutig erwiesen seien. Etwaige Wettbewerbsprobleme auf den Tankstellenmärkten sollten nur unter Einbeziehung der Raffinerieebene gelöst werden.
Die Monopolkommission konstatiert folgende notwendige Nachbesserungen:
- Die Monopolkommission empfiehlt die Anwendung der Fusionskontrolle auf Zusammenschlüsse zwischen den gesetzlichen Krankenkassen. Auch fordert sie, die gesetzlichen Krankenkassen prinzipiell dem allgemeinen Kartellrecht zu unterstellen. Dies gelte sowohl im Verhältnis der Kassen zu Krankenhäusern, Ärzten und anderen Leistungserbringern als auch zu ihren Mitgliedern. Ausnahmen von der Anwendung des allgemeinen Wettbewerbsrechts seien ausdrücklich zu benennen und auf Bereiche zu begrenzen, in denen die Kassen aufgrund ihres hoheitlichen Versorgungsauftrags zu kollektivem Handeln verpflichtet seien.
- Trinkwasserentgelte sollten unabhängig von ihrer Ausgestaltung als Preise oder Gebühren der wettbewerbsrechtlichen Aufsicht unterstellt werden. Nur auf diese Weise könne verhindert werden, dass Kommunen sich durch eine "Flucht ins Gebührenrecht" einer effektiven Kontrolle ihrer Wasserentgelte entzögen. Langfristig sollte die Entgeltkontrolle sogar in die sektorspezifische Regulierung überführt werden.
- Ablehnung der Verlängerung der speziellen Missbrauchsaufsicht für Energiemärkte (§ 29 GWB). Die Vorschrift behindert nach Ansicht der Monopolkommission die Entwicklung des Wettbewerbs. Der Marktzutritt für neue Marktteilnehmer und die Wechselbereitschaft der Kunden zu neuen Anbietern werde erschwert. Auch ließen sich mittels dieser Vorschrift potenzielle Wettbewerbsprobleme auf den vorgelagerten Ebenen der Stromerzeugung oder bei Gasimporten überhaupt nicht lösen. Einer Ausweitung der sektorspezifischen Missbrauchsaufsicht auf die Märkte für Fernwärme und Trinkwasser stellt sich die Monopolkommission ebenfalls entgegen.
- Der Gesetzgeber müsse Regelungen zur Rechtsnachfolge im Kartellordnungswidrigkeitenrecht treffen, damit sich die bebußten Unternehmen bußgeldrechtlichen Sanktionen nicht entziehen könnten.
- Das Bundeskartellamt sollte ein allgemeines Stellungnahmerecht im Gesetzgebungsverfahren erhalten.
Auslassungen
Das Sondergutachten befasst sich nicht mit den im aktuellen Referentenentwurf vorgeschlagenen Regelungen für erweiterte Befugnisse der Wettbewerbsbehörden und Dritter und greift nur einige neue verfahrensrechtliche Aspekten auf. Nicht behandelt wird die ausdrückliche Befugnis der Kartellbehörden, bei nachgewiesenem kartellrechtswidrigem Verhalten strukturelle Maßnahmen anzuordnen (§ 32 Abs. 2 GWB). Diese Thematik wurde jedoch schon im Rahmen des 58. Sondergutachtens (siehe oben) aufgegriffen. Die Anordnung der Rückerstattung erwirtschafteter Vorteile infolge kartellrechtswidrigen Verhaltens im Rahmen einer Abstellungsverfügung wird ebenfalls nicht behandelt. Auch die Einräumung einer Klagebefugnis und die Möglichkeit zur Vorteilsabschöpfung für Verbände der Marktgegenseite sowie für qualifizierte Einrichtungen werden nicht näher kommentiert.