05.06.2012

Kurzbericht zum 2. Berliner Kolloquium des FIW

FIW
D
Berliner Kolloquium
Rekommunalisierung

Das 2. Berliner Kolloquium des FIW fand am 10.Mai 2012 zum Thema „Wettbewerb und Rekommunalisierung" statt. Die Panelteilnehmer waren Herr Dr. Thorsten Grenz (Vizepräsident des BDE e. V.), Erhard Ott (Mitglied des Bundesvorstandes von ver.di), Dr. Felix Engelsing (Direktor beim Bundeskartellamt) und Professor Dr. Martin Burgi (Lehrstuhl für Deutsches und Europäisches Öffentliches Recht an der Ruhr-Universität Bochum). Moderiert wurde die Veranstaltung von Prof. Dr. Dr. Franz Jürgen Säcker (Freie Universität Berlin)

Die Veranstaltung wurde vom Vorstandsvorsitzenden des FIW, Dr. Gernot Schaefer, eröffnet. In seiner Begrüßung ordnete er das Berliner Kolloquium in die Ausrichtung der FIW-Veranstaltungen ein und formulierte die Diskussionsthese für das Berliner Kolloquium: Sollen sich Gebietskörperschaften wirtschaftlich betätigen, und - wenn ja - wo und wie? Es gelte insbesondere, Wettbewerbsverzerrungen zwischen Privaten und kommunalen Anbietern abzubauen und nicht, diese neu zu errichten.

Prof. Dr. Dr. Franz Jürgen Säcker hob in seiner Einleitung die Bedeutung des Themas hervor. Er skizzierte den Umgang mit den betroffenen Bereichen: Seit Ende des letzten Jahrhunderts habe es große Tendenzen zur Ausgliederung dieser Bereiche an Private Anbieter gegeben, im letzten Jahrzehnt habe sich dieser Trend allerdings umgekehrt. Das halte insbesondere ordnungspolitisch einer Überprüfung nicht stand, vor allem, wenn kommunale Anbieter die "Flucht in die Gebühr" anträten, um sich der Wettbewerbsaufsicht zu entziehen. (Der Beitrag ist im Tagungsband zum 45. FIW-Symposion, Heft 239 der FIW-Schriftenreihe, erschienen).

Dr. Thorsten Grenz (BDE, Berlin) erörterte die Frage „Daseinsvorsorge für den Bürger - staatliches Monopol oder Wettbewerb?"

Erhard Ott (ver.di, Berlin) untersuchte unter dem Titel „Gemeinwohlinteresse statt Gewinnstreben - Ordnungspolitik in der sozialen Marktwirtschaft aus Gewerkschaftssicht" die wirtschaftspolitischen Eckpunkte aus Gewerkschaftssicht: Seit 1945 sei die Öffentliche Daseinsvorsorge das Organisationsprinzip für Infrastruktur und soziale Dienste und damit Kernbereich der „sozialen" Marktwirtschaft. Bei der Auswahl des Dienstleistungserbringers für die Dienste der Daseinsvorsorge sei zu beachten, dass Qualitätstandards eingehalten würden. Dies sollte optimal zu kostendeckenden Preisen geschehen.Wichtig seien zudem ökologische Nachhaltigkeit und gute Arbeitsbedingungen bei der Bereitstellung. In den 1990er Jahren seien viele Bereiche liberalisiertworden; dadurch sei die soziale Absicherung der Arbeitnehmer in den betroffenen Bereichen durchweg gesunken („Sozial-Dumping"). Dies müsse zukünftig vermieden werden. Im Energiesektor sah Ott Probleme in der Vereinbarkeit von Liberalisierung und den Erfordernissen, die die Energiewende mit sich bringt. Für den Bereich der Abfallwirtschaft forderte er, die Entsorgung der Haushalte in der Verantwortung der öffentlich-rechtlichen Träger zu belassen. Im Bereich Wasserwirtschaft lasse sich erkennen, dass Modernisierung statt Liberalisierung hohe Qualität sichern könne. in einigen Kommunen bestehe tatsächlich die Gefahr der „Flucht ins Gebührenrecht", um den Preiskontrollen zu entgehen. Insgesamt sollten in allen Bereichen die kommunalen Gebietskörperschaften selbst entscheiden, welches Unternehmen die besten Leistungen erbringt, und zwar unter Berücksichtigung von ökologischen und sozialen Standards und zu günstigen Entgelten. Die Rekommunalisierung müsse einen „Mehrwert" gegenüber der bisherigen Erbringung bieten.

Dr. Felix Engelsing (Bundeskartellamt, Bonn) sprach über die „Kartellrechtliche Aufsicht über Kommunalbetriebe". Er stellte die zentrale Rolle des Wettbewerbsprinzips in den Vordergrund,was bedeute, dass kommunale Unternehmen nicht von vorneherein bevorzugt werden. Er hob die positive Entwicklung auf den Strommärkten hervor; dort habe die Liberalisierung positive Effekte ausgelöst. Diese positiven Entwicklungen seien auch bei kommunalen Unternehmen spürbar. Für die Wasserwirtschaft sei diese Strom- und Gasnetzliberalisierung aber nicht einfach kopierbar. Die Netze seien meist kleinteilig, Durchleitung nicht umsetzbar. Die Kunden seien geografisch an ihren Wasseranbieter gebunden, daher sei hier „Preismissbrauchsaufsicht" besonders wichtig.  Die 40 größten Wasserversorger berechneten „Preise". Im Bereich der Strom-/Gasnetze werde es ab 2013 spannend, da die meisten Konzessionsverträge ausliefen. In den Stadtstaaten Berlin und Hamburg zeichneten sich deutlich Rekommunalisierungstendenzen ab. Wegen der „Energiewende" müsse der Netzausbau vorangetrieben werden. Das Vergaberecht greife in diesen Fällen wegen § 46 EnWG und §§ 19, 20 GWB nicht unmittelbar, es seien aber vor allem EU-primärrechtliche Prinzipien anwendbar.

Prof. Dr. Martin Burgi (Ruhr-Universität Bochum) thematisierte „Rekommunalisierung, Interkommunale Zusammenarbeit und Vergaberecht". Die Aufgabe der Rechtswissenschaften liege vor allem darin, die rechtlichen Rahmenbedingungen so vorzubereiten bzw. zu interpretieren, dass funktionsgerechte und gesetzeskonforme Entscheidungen möglichseien. Die Maßstäbe für diese Entscheidungen könnten durch unterschiedliche Rechtgebiete gezogen werden (Vergabe-, Beihilfen-, kommunales Wirtschafts-, Gebühren- und Haushaltsrecht). Sowohl europa- wie auch verfassungsrechtlich sei vom Grundsatz der Trägerneutralität bei der Erbringung von Diensten der Daseinsvorsorge auszugehen. Die zentrale wettbewerbspolitische Herausforderung bestehe aber darin, dass die Kommunen selbst darüber zu entscheiden hätten, ob ein Privater die Dienste anbieten soll oder eine staatliche Einrichtung. Würde darüber hinaus der „Rekommunalisierung" der Vorzug gegeben, so sei Sorgfalt geboten; es blieben nämlich auch zentrale demokratierechtliche Steuerungsanforderungen zu beachten. Unter dem Vergaberecht sei zukünftig danach zu differenzieren, ob es um die Vergabe von öffentlichen Aufträgen oder um die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen bzw. um die Vergabe von Konzessionen nach § 46 Abs. 2 EnWG gehe. Aus rechtssystematischer sei die Schaffung einer Dienstleistungskonzessionsrichtlinie zu begrüßen. Kritisch sei hier allerdings die Komplexität des dann eingeführten Rechtsregimes.