17.02.2012
Europäisches Parlament verabschiedet Entschließung zum kollektiven Rechtsschutz
EU
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https://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?type=TA&reference=P7-TA-2012-0021&language=DE |
Am 2. Februar 2012 hat das Europäischen Parlament (EP) eine Entschließung zum Thema „Kollektiver Rechtsschutz: Hin zu einem kohärenten europäischen Ansatz" verabschiedet. Diese Entschließung geht zurück auf den Initiativbericht des Berichterstatters des federführenden Rechtsausschusses, Klaus-Heiner Lehne (EVP), den der Ausschuss im Dezember 2011 mit einigen Änderungen angenommen hatte. Die Entschließung bezieht sich auf die Konsultationsdokumente der EU-Kommission über gemeinsame Rechtsgrundsätze für den kollektiven Rechtsschutz in der EU vom Februar 2011. Die EU-Kommission verfolgte mit ihrer Konsultation das Ziel, die Entwicklung eines kohärenten Ansatzes für den kollektiven Rechtsschutz in der Europäischen Union vorzubereiten.
Wesentlicher Inhalt der Entschließung:
- Die Bemühungen der Kommission zur Schaffung eines kohärenten europäischen Konzepts für den kollektiven Rechtsschutz erkennt das EP an.
- EP betont, dass die durch rechtswidrige Praktiken Geschädigten in der Lage sein müssen, Entschädigung für ihre erlittenen Schäden zu verlangen, insbesondere auch im Fall von Massen- und Streuschäden.
- Einzelstaatliche Systeme kollektiven Rechtsschutzes unterschieden sich erheblich voneinander, was zur Folge haben könne, dass Geschädigte ihre Rechte nicht wahrnehmen.
- EP betont zudem die möglichen Vorteile kollektiver Klagen im Hinblick auf die Verringerung der Kosten und der Erhöhung der Rechtssicherheit für Kläger, Beklagte und das Gerichtswesen gleichermaßen, indem die parallele Verhandlung ähnlicher Klagen vermieden werde.
- Sammelklagen nach US-amerikanischem Vorbild oder ein System, das die europäische Rechtstradition missachtet, sollten jedoch nicht eingeführt werden.
- EP fordert die Kommission auf, in ihrer Folgenabschätzung nachzuweisen, dass es notwendig sei, auf Ebene der EU tätig zu werden, um den derzeit geltenden Rechtsrahmen der Europäischen Union zu verbessern, um der Subsidiarität gerecht zu werden.
- EP fordert auch, dass die Kommission die geeignete Rechtsgrundlage für Maßnahmen im Bereich des kollektiven Rechtsschutzes gründlich prüfen müsse.
- Im Wettbewerbssektor bleibe die behördliche Rechtsdurchsetzung wesentlich, um u.a. die Durchsetzung des europäischen Wettbewerbsrechts durch die Kommission und die einzelstaatlichen Wettbewerbsbehörden zu gewährleisten.
- Verbände sollten keinen einfacheren Zugang zu Gerichten haben als Einzelpersonen.
- Etwaige legislative Maßnahmen sollten in Form eines horizontalen Rahmens vorgelegt werden, der die zentralen Aspekte des kollektiven Schadensersatzes erfassen müsse (Lehne hatte in seinem Berichtsentwurf noch einen „horizontalen Ansatz" vorgeschlagen, der sektorale Instrumente unterbindet). Für Sonderbereiche wie das Kartellrecht könnten laut Entschließung jedoch neben dem horizontalen Rahmen auch eigene Rechtsinstrumente vorgesehen werden.
- Den Rechtstraditionen und den Rechtsordnungen der einzelnen Mitgliedstaaten müsse gebührend Rechnung getragen werden.
- Insbesondere müsste der horizontale Rahmen Sicherungsmaßnahmen vorsehen, um unbegründete Klagen und den Missbrauch des kollektiven Rechtsschutzes zu vermeiden. Folgende Sicherungsmaßnahmen werden angemahnt:
- Kollektive Rechtsschutzinstrumente dürfen nur in Form eines „Opt-In"-Verfahrens ausgestaltet sein; der Klägerkreis muss eindeutig identifiziert sein. „Opt-Out"-Systeme stünden im Widerspruch zu den Rechtsordnungen vieler Mitgliedstaaten und würden die Rechte der Geschädigten verletzen, die unwissentlich an einem Verfahren beteiligt sein könnten und trotzdem durch die Entscheidung des Gerichts gebunden wären.
- Verbandsklagen dürfen nur im Namen einer klar bestimmten Gruppe erhoben werden, deren Mitglieder vor Erhebung der Klage feststehen müssen.
- Die Mitgliedstaaten sollen dafür Sorge tragen, dass möglichst viele Geschädigte über ihre Klagemöglichkeit informiert werden. Dabei ist jedoch auch der Grundsatz der Unschuldsvermutung zu beachten - der Ruf des betroffenen Unternehmens darf nicht ungerechtfertigterweise Schaden nehmen.
- Nur der tatsächlich entstandene Schaden darf kompensiert werden. Strafschadenersatz wird abgelehnt. Erfolgshonorare sollten nicht Bestandteil des verbindlichen horizontalen Rahmens werden.
- Zugang zu Beweismitteln: Kollektivkläger dürfen nicht besser gestellt werden als Individualkläger. Jeder Kläger muss seinen Anspruch nachweisen. Eine Verpflichtung zur Offenlegung von Dokumenten gegenüber den klagenden Parteien ist in Europa überwiegend unbekannt und darf nicht Bestandteil des horizontalen Rahmens sein.
- Vom Grundsatz, dass die unterlegene Partei die Kosten zu tragen hat (Loser pays) darf nicht abgewichen werden.
- Die Kommission darf keine Kriterien oder Bedingungen für eine Finanzierung durch Dritte aufstellen.
- EP unterstützt die Schaffung von Mechanismen alternativer Streitbeilegung auf europäischer Ebene, um die schnelle und günstige Beilegung von Streitigkeiten als attraktivere Möglichkeit im Vergleich zu Gerichtsverfahren zu ermöglichen. Die verpflichtende Durchführung eines Streitschlichtungsversuchs vor Klageerhebung wird jedoch abgelehnt.
- Ein horizontaler Rahmen sollte Regelungen treffen, um ein „Forum Shopping" zu vermeiden. Die Verordnung BrüsselI sollte weiterhin als Grundlage für die Festlegung der zuständigen Gerichte dienen. Zur Frage des anwendbaren Rechts müssten noch klare Regelungen gefunden werden. Eine Lösung könnte sein, das Recht des Ortes anzuwenden, an dem die Mehrheit der Geschädigten ihren Wohnsitz hat.
- EP fordert die Kommission auf, im Anschluss an das Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache Pfleiderer, sicherzustellen, dass der kollektive Rechtsschutz die Wirksamkeit des Kronzeugensystems des Wettbewerbsrechts und des Vergleichsverfahrens nicht beeinträchtigt.
- EP dringt auf weitere eigene Einbeziehung und Beteiligung bei Initiativen im Bereich des kollektiven Rechtsschutzes.