18.10.2012

Bundeskartellamt: Arbeitskreis Kartellrecht tagte zu “Kartellbußgeldverfahren zwischen deutschem Systemdenken und europäischer Konvergenz”

Der Arbeitskreis Kartellrecht beim Bundeskartellamt hatte am 4. Oktober 2012 zum Thema „Kartellbußgeldverfahren zwischen deutschem Systemdenken und europäischer Konvergenz" getagt. Dieser Arbeitskreis besteht aus Hochschullehrern, Vertretern nationaler und internationaler Wettbewerbsbehörden sowie Richtern und tagt jährlich zu grundsätzlichen wettbewerbspolitischen Themen.

Das Hintergrundpapier des Bundeskartellamts, das als Diskussionsgrundlage für die Tagung diente, konstatierte bei der Kartellverfolgung in Deutschland Probleme und folgerte daraus Handlungsbedarf. Die Probleme fußten vor allem auf der Zunahme der absoluten Anzahl an Verfahren und damit der Zunahme von Verfahrensaufwand und Verfahrensdauer, die ein zum Teil bedenkliches Ausmaß erreicht hätten. Verfahren in Kartellordnungswidrigkeiten seien nach deutschem Recht in besonderem Maße langwierig und ressourcenaufwändig. Dies schwäche die Abschreckungswirkung und beeinträchtige die Effektivität eines wirksamen Wettbewerbsschutzes. Sowohl von behördlicher, gerichtlicher, anwaltlicher als auch wissenschaftlicher Seite sei daher wiederholt Änderungsbedarf am derzeitigen Rechtsrahmen angemeldet worden.

Es wird (vom BKartA) insbesondere als misslich empfunden, dass - anders als im europäischen Recht - im deutschen Recht durch das Zusammenspiel von Kartell- und Ordnungswidrigkeitenrecht „keine adäquate Haftung des Konzernverbunds oder Rechtsnachfolgers" bestehe. Grund dafür sei, dass nach materiellem Kartellrecht das „Unternehmen", nach Ordnungswidrigkeitenrecht aber lediglich „die" juristische Person hafte, d.h. der konkrete Rechtsträger zum Zeitpunkt der Tat. Den Vorstoß des BMJ,  im Rahmen der 8. GWB-Novelle einen Diskussionsentwurf zur Regelung der Rechtsnachfolge in die Bußgeldhaftung bei Verschmelzung und Aufspaltung vorzulegen (der von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP in Form von Änderungsanträgen in das parlamentarische Verfahren eingebracht worden ist) erachtet das BKartA als unzulänglich, da die Rechtsnachfolgeregelung nicht sämtliche Konstellationen umfasse. Nach Auffassung des Amtes bliebe eine Umgehung der Haftung nach wie vor möglich.

Auch könne das Auseinanderklaffen zwischen dem europäischen und dem deutschen Recht dazu führen, dass ein Verstoß gegen europäisches materielles Kartellrecht mangels Verantwortlichkeit des Konzernverbunds bzw. des Rechtsnachfolgers nach deutschem Ordnungs-widrigkeitenrecht nicht geahndet werden könne. Deutschland sei jedoch verpflichtet, Unternehmen effektiv zu sanktionieren. Das Papier geht so weit zu sagen, dass das deutsche System derzeit auch die Akzeptanz des im Kartellrecht bestehenden Systems paralleler Zuständigkeiten mit flexibler Fallverteilung in Frage stellt. Denn es sei für den Betroffenen nicht nachvollziehbar, wenn in einem System paralleler Zuständigkeiten gegebenenfalls ein und derselbe Kartellverstoß nicht durch das deutsche Bundeskartellamt aber nach Abgabe an die Europäische Kommission geahndet werden könne.

Weitere Probleme bei der Kartellverfolgung rührten aus dem Umstand, dass in Deutschland die Kartellverfolgung - auch gegenüber Unternehmen - nach strafprozessualen Maßstäben stattfinde, während das Verfahren der EU-Kommission und der europäischen Gerichte verwaltungsverfahrensrechtlich geprägt sei. Das führe dazu, dass die Kartellverfahren in Deutschland sehr aufwändig und langwierig seien und - angeblich - auch für die Betroffenen ihren Schutzcharakter verlören. Die divergierenden Verfahrensstandards und Sanktionsmöglichkeiten widersprächen aber dem Ansatz, wonach in einem System paralleler Zuständigkeiten Art. 101 und Art. 102 AEUV von der Europäischen Kommission und den nationalen Kartellbehörden durchzusetzen seien.

Als Teil möglicher Lösungen zur Abhilfe der aufgeführten Probleme favorisiert das Papier eine materielle Annäherung an das europäische System und nimmt dabei Systembrüche innerhalb des Systems der Ordnungswidrigkeiten in Kauf. 

Zitat: „Außerdem sind aus Sicht der Rechtsunterworfenen Systembrüche bei einer potentiellen ungleichen Behandlung von Verkehrs- und Kartellverstößen deutlich weniger problematisch als erhebliche Unterschiede bei der Verfolgung eines (gleichgelagerten) Kartellverstoßes durch das Bundeskartellamt und die parallel zuständige Europäische Kommission."

Eine Lösung im Sinne europäischer Konvergenz sei dadurch gerechtfertigt, dass im Kartellrecht das europäische Recht nicht nur von nationalen Behörden, sondern parallel auch von einer europäischen Behörde, der Europäischen Kommission, in einem eigenständigen europäischen Verfahren angewendet und durchgesetzt werde und zudem eine flexible Fallverteilung möglich sei. Auch würde eine umfassende Übernahme des europäischen unternehmensbezogenen Sanktionierungsmodells (Konzernhaftung) die derzeit bestehenden Schwierigkeiten im Sanktionenbereich des Ordnungswidrigkeitenrechts beseitigen.

In einer Kriminalisierung des Kartellrechts in Form von Haftstrafen sieht das BKartA derzeit - ausweislich des Hintergrundpapiers - derzeit keinen gangbaren Weg. Auch die Einführung eines eigenständigen Unternehmensstrafrechts sei mit ähnlichen Problemen des derzeitigen Ordnungswidrigkeitenrechts belastet.

Aus Sicht des Amtes spricht die beste Lösung dafür, die Sanktionierung und Verfolgung von Kartellverstößen im Kartellverwaltungsverfahren vorzusehen, was auf eine große Reform hinauslaufen würde. Vorteile wären, dass im Verwaltungsverfahren - anders als im Ordnungswidrigkeitenverfahren - natürliche und juristische Personen gleichermaßen Adressaten wären. Auch wären der Verfahrensablauf und die Verfahrensrechte dem Gegenstand und Ziel des Verwaltungsverfahrens angepasst. Insbesondere gelten die das Ordnungswidrigkeitenverfahren prägenden Grundsätze der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit im Verwaltungsverfahren nur in abgeschwächter Form. Auch im gerichtlichen Verfahren würde die behördliche Entscheidung lediglich überprüft und nicht eine gänzlich neue Entscheidung auf neu ermittelter Tatsachengrundlage erlassen.

Lediglich zweitbeste Lösung wäre aus Sicht des Amtes eine Weiterentwicklung des ordnungswidrikeitenrechtlichen Verfahrens im Sinne eines eigenständigen Kartellordnungswidrigkeitenverfahrens.

Das Papier weist abschließend darauf hin, dass derzeit auf europäischer Ebene eine Diskussion um eine Harmonisierung der Sanktions- und Verfahrensrechte („Verordnung 2" in Anlehnung an die „Verordnung 1/2003") beginne. Das Amt hält diesen Schritt angesichts der langjährigen Erfahrung mit der dezentralen Anwendung europäischen Rechts und der in der Praxis offenbar gewordenen Friktionen und Divergenzen im Verfahrens- und Sanktionenbereich für folgerichtig.