19.07.2012

40. FIW-Seminar fand am 4. und 5. Juli 2012 in Köln statt

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FIW
FIW-Seminar

Am 4. und 5. Juli 2012 fand zum 40. Mal das FIW-Seminar in Köln statt. Die Jubiläumsveranstaltung - erstmals im Sommer platziert - wurde von Dr. Gernot Schaefer, Vorsitzender des FIW-Vorstandes, eröffnet. Hauptgegenstand der Veranstaltung waren traditionell die aktuellen Schwerpunkte des Kartellrechts. Die von Prof. Martin Böse (Universität Bonn), Johann Brück (Hermanns Wagner Brück Rechtsanwälte, Düsseldorf), Dr. Horst Greiffenberg (Monopolkommission, Bonn), Prof. Dr. Andrea Lohse (Universität Bochum), Dr. Thorsten Mäger (Hengeler Müller, Düsseldorf), dem FIW-Vorstandsmitglied Dr. Horst Satzky sowie FIW-Geschäftsführer Niels Lau moderierten Referate trafen auf großes Interesse und wurden ausführlich und z. T. kontrovers diskutiert.

Dr. Konrad Ost, Leiter der Grundsatzabteilung, Bundeskartellamt, Bonn, erörterte im traditionellen Vortrag des Bundeskartellamtes die aktuelle Entscheidungspraxis des Bundeskartellamtes 2011/2012. Er setzte sich  ausführlich mit den Schwerpunkten der 8. GWB-Novelle auseinander und kommentierte  diese aus BKartA-Sicht. Der SIEC-Test werde kommen und in die bestehenden Verfahren am BKartA eingebettet. Die Änderungen bei der  Pressefusionskontrolle  wurden kurz beleuchtet; es werde zu einer Absenkung des Schutzniveaus kommen, jedoch seien die Auswirkungen noch nicht einschätzbar. Beim Stichwort Gesundheitswesen sei zu beachten, dass es hier um die Kompatibilität zweier Rechtsgebiete gehe: Kartellrecht und  Sozialrecht. Für den Themenkomplex „Kraftstoffe und Kartellrecht“ verwies Ost auf den Vortrag  seines Kollegen Gleave am Folgetag. Kurz behandelte er noch die Punkte Kartellrecht und Verbraucherschutz und Nachfragemacht  am Beispiel des Lebensmitteleinzelhandels. Daran  schlossen sich  Ausführungen zum Themenkomplex Bußgelder an. Es existiere seit kurzer Zeit die Möglichkeit des anonymen Hinweisgebers an das Bundeskartellamt. Darüber  lägen  noch keine Erfahrungen vor. Ost schloss mit dem Hinweis auf Reformbedarf bei einigen Punkten in der Kartellverfolgung, dieser werde jedoch in dieser Novelle nicht gelöst werden.

 

Im nächsten Veranstaltungsblock „Die neue Markttransparenzstelle (Strom + Gas) beim BKartA“ wurden zwei Referate gehalten: Eines aus Sicht eines  Theoretikers und eines aus Sicht eines betroffenen Praktikers.

Prof. Dr. Daniel Zimmer, LL.M., Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität, Bonn, eröffnete diesen Block mit einer Konzeptdarstellung der Markttransparenzstelle (MTS). Er zitierte aus dem Sondergutachten 49 der Monopolkommission „Strom und Gas 2007: Wettbewerbsdefizite und zögerliche Regulierung“ und dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung von 2012. Ziel sei es, dass die MTS Anfang 2013 ihre Arbeit aufnehmen könne. Die Führungsverantwortung solle beim BKartA liegen, Abstimmung mit der Bundesnetzagentur (BNetzA) sei vorgesehen.  Auf den fraglichen Märkten habe sie die Aufgabe der „Sicherstellung einer wettbewerbskonformen Preisbildung“. Insgesamt bewerte die Monopolkommission die Einrichtung der MTS positiv. Man solle sie jedoch auch institutionell unabhängig ausgestalten. Ebenso solle der Einsatz von Spezialisten (z.B. Ingenieuren) überlegt werden. Auch die Analyse ausländischer Märkte sei bedenkenswert, da diese erheblichen Einfluss auf den deutschen Markt haben könnten. Ebenso sollte der Nutzen der Stelle nach einer gewissen Frist, z. B. nach drei Jahren, kritisch überprüft werden. 

Die Praktikersicht vertrat Dr. Malte Abel, RWE AG, Essen. Er sah in der MTS eine Chance auf ein sinnvolles Instrument für die Marktkontrolle, warnte hingegen  davor, dass der Aufwand für die Datenerhebung in den Unternehmen sich zu einer Markteintrittsschranke für Unternehmen entwickeln könne. Die bisherigen GWB-Informationspflichten für Unternehmen würden mit Einrichtung der MTS erweitert. Für die Unternehmen bedeute die MTS zunächst, eine zusätzliche Abteilung zu bilden („sunk costs“), um den Anforderungen zu genügen. Für potenzielle neue Anbieter käme das einer  Markteintrittsschranke gleich. Die MTS werde eine Datensammel- bzw. Auswertungsstelle sein; der Gesetzgeber erhoffe sich dadurch auf den Märkten einen preishemmenden Effekt. Für sein Unternehmen ergäben sich erhebliche Überlappungen mit den EU-seitig gesetzten REMIT-Berichtspflichten, jedoch seien die verschiedenen Berichtspflichten nicht komplett identisch. Es werde auf jeden Fall Zusatzaufwand entstehen. Wichtig werde es vor einer Einrichtung der MTS noch sein, sich auf ein geeignetes Datenformat zu einigen, so dass die Datenabfragen nicht auf synthetischen  Daten beruhten und die Daten einheitlich erhoben würden.

 

Im nächsten Veranstaltungsblock „Rechtsnachfolge im Ordnungswidrigkeitenrecht“ trafen der Vertreter einer Strafverfolgungsbehörde und ein Anwalt, der Unternehmen bei Ordnungswidrigkeitenverfahren vertritt, aufeinander.

Uwe Mühlhoff, Oberstaatsanwalt bei der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf, sah die Vorschläge des BMJ zur Neuregelung  im Ordnungswidrigkeitenrecht positiv; sie gingen in die richtige Richtung, würden aber z.T. ins Leere laufen. Die  Notwendigkeit einer gesetzlichen Neuregelung ergebe sich bereits aus einer „Lücke“ im Ordnungswidrigkeitenrecht, derzufolge juristische Personen und Personenvereinigungen sich der Bußgeldhaftung entziehen könnten. Diese Lücke müsse unter Beachtung des nationalen Rechts und des Europarechts geschlossen werden. Mühlhoff kritisierte, dass der vorliegende Diskussionsentwurf einige notwendige Aspekte nicht umfasse und dadurch die  Sanktionierung von Kartellverstößen bei Rechtsnachfolgen nicht ausreichend  gewährleistet sei. Auch in Bezug auf § 30 Abs. 6 OWiG-E, der einen dringlichen Arrest zur Sicherung der zu erwartenden Geldbuße bereits nach Erlass eines Bußgeldbescheids vorsehe, blieben einige entscheidende Fragen offen. Insgesamt wünschte sich Mühlhoff eine Angleichung des deutschen Rechts an das Europarecht, wodurch eine weitreichendere Sanktionierung des Rechtsnachfolgers erreicht würde; dies erfordere jedoch ein umfassenderes Tätigwerden.

Dr. Christian Heinichen, BEITEN BURKHARDT, München, kritisierte die geplante Neuregelung. Zwar könne die Bußgeldhaftung unter engen Voraussetzungen auf den Gesamtrechtsnachfolger der juristischen Person erstreckt werden, deren Organe die Kartellordnungswidrigkeit begangen haben. Eine solche Haftungserstreckung stoße jedoch an verfassungsrechtliche Grenzen, die auch der Gesetzgeber beachten müsse. Die vorgeschlagene Regelung des § 30 Abs. 2 a OWIG-E lasse das Risiko für den Sanktionsadressaten, bußgeldrechtlich in Anspruch genommen zu werden, nicht mit hinreichender Bestimmtheit erkennen. Deshalb könnte der Bestimmtheitsgrundsatz verletzt sein. Die Erstreckung der bußgeldrechtlichen Verantwortung auf den Gesamtrechtsnachfolger verletze zudem das Schuldprinzip in seiner Ausprägung als Grundsatz der individuellen Verantwortlichkeit, denn die Inanspruchnahme stelle letztlich eine Ahndung für zugerechnetes fremdes Unrecht und fremde Schuld dar. In Rede stehe auch ein möglicher Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz im Verhältnis zur Haftung natürlicher Personen. Hinzu komme, dass einige spezielle Fragen hinsichtlich der verfahrensrechtlichen Auswirkungen noch ungeklärt seien. Der deutsche Gesetzgeber sei im Übrigen nicht gehalten, im Anwendungsbereich des europäischen Kartellrechts die bußgeldrechtliche Haftung dem EU-Kartellrecht entsprechend auszugestalten. Der Gesetzgeber könne und solle eine Rechtsnachfolgeregelung nach dem deutschen Rechtsträgerprinzip formen.

 

Der zweite Veranstaltungstag begann mit einer Podiumsdiskussion zum Thema „Der Regierungsentwurf zur 8. GWB-Novelle in der aktuellen Diskussion“. Podiumsteilnehmer waren Dr. Georg Nüßlein, MdB, CDU/CSU-Budestagsfraktion und Frau Dr. Ulrike Suchsland-Maser, LL.M., Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), Berlin. Die Podiumsdiskussion leitete Frau Prof. Dr. Andrea Lohse, Ruhr-Universität, Bochum.

Frau Prof. Lohse eröffnete die Diskussion zunächst mit einer kurzen Darstellung des Verfahrensstandes,  um die Teilnehmer auf den aktuellen politischen Stand einzustimmen. Als besondere Problemfelder wurden von ihr die Änderungen bei den Pressefusionen hervorgehoben und die „Nicht-Regelung“  kommunaler Fusionen. Darauf folgte die Podiumsdiskussion zu einigen ausgewählten Themen. Als erstes wurde die Preismissbrauchsaufsicht im Bereich Strom und Gas diskutiert. Es folgten die Vorhaben zum Verbraucherschutz und zur Pressefusionskontrolle. Der Abgeordnete Nüßlein gab einen interessanten Einblick in seinen Tätigkeitsbereich als Themenverantwortlicher.

Frau Dr. Suchsland-Maser stellte die wichtigsten Anliegen des BDI zu den aufgerufenen Themen zur Diskussion. Eine Fortführung der Preismissbrauchsaufsicht über Energieunternehmen lehne der BDI aus ordnungspolitischen Gründen und wegen Hemmnissen beim Marktzutritt ab. Im Wasserbereich trete der BDI für eine Ausweitung der Kartellaufsicht auf öffentliche Gebühren ein. Die Anhebung der Aufgreifschwellen bei der Pressefusionskontrolle unterstütze der BDI; die Aufgreifschwellen, sowie Bagatell- und Bagatellmarktschwellen müssten allerdings auch bei „normalen“ Fusionen nach oben angepasst werden. Die Sicherung tragfähigen Wettbewerbs wie auch die Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils seien in erster Linie die Aufgabe des Bundeskartellamts, weshalb der BDI eine Vorteilsabschöpfung durch Verbände ablehne. Im Hinblick auf die Anordnung der Rückerstattung erwirtschafteter Vorteile seitens des Bundeskartellamts gab der BDI zu bedenken, dass die Kartellbehörde – umgekehrt zur Problematik der Sammelklagen – in ordnungspolitisch bedenklicher Weise zur Durchsetzung privater Ansprüche instrumentalisiert würde. Auch würde das schadenersatzrechtliche Verschuldensprinzip ausgehebelt.

 

Als nächstes stellten sich die Herren Wiegand Laubenstein und Matthias Pflanz dem Dialog von Juristen und Ökonomen am Beispiel des Kartell- und Regulierungsrechts.

Wiegand Laubenstein, OLG Düsseldorf, beleuchtete das Zusammenwirken der beiden Disziplinen aus der Sicht des Juristen. Er stellte – den Juristen zunächst „erschreckenden“ – Ansatz verschiedener teilweise widerstreitender theoretischer ökonomischer Modelle  dar, um anschließend den Mehrwert der ökonomischen Arbeit für ein juristisches Verfahren herauszustellen. Datenmengen und die Anzahl der im Verfahren benötigten Experten sah er kritisch.

Matthias Pflanz, Charles River Associates, London, betrachtet das Miteinander der Disziplinen aus Sicht des Ökonomen. Herr Pflanz beleuchtete die Gattung „Ökonom“ zuerst ganz grundlegend. Er arbeitete heraus, mit welchen Methoden ein Ökonom bei der Bearbeitung von juristischen Fragestellungen weiterhelfen kann. In seinen Augen hätten sich Ökonomen und Juristen in den letzten Jahren angenähert und sprächen „zunehmend dieselbe Sprache“. Pflanz skizzierte kleine „Umgangsregeln“ für Ökonomen und Juristen, die das Miteinander und damit auch die Ergebnisse verbessern könnten.

 

Im nächsten Block wurde die Schadensbezifferung in kartellrechtlichen Follow-on-Klagen beleuchtet. Prof. Dr. Roman Inderst, Frankfurt/Main, sprach zu „Nachwirkungen von Kartellen“. Er untersuchte in seinem modelltheoretischen Ansatz die Entwicklung des Preises nach Aufdeckung eines Kartells. Er untersuchte weiter, ob bei der Durchsetzung eines erhöhten Preises am Markt automatisch eine Absprache zwischen den Unternehmen vorliegen müsse oder ob es auch „nur“ koordiniertes Verhalten sein könne. In der ökonomischen Theorie komme es durch Absprachen zu besserer Koordination zwischen den Akteuren, sie folgten dem „besten“ Fokuspunkt; das Verhalten sei daher nicht per se als negativ anzusehen. Nach Beendigung des Kartells sei es allerdings fraglich, ob der Preis sofort absinke oder ob es nicht auch  zu einem anhaltend hohen Preisniveau kommen könne. Die Wahrscheinlichkeit für diese Strategie sinke mit zunehmender Zahl der  Kartellanten.

Dr. Martin Klusmann, Freshfields Bruckhaus Deringer, Düsseldorf, betrachtete in seinem Co-Referat kritisch die Annahmen des von Inderst aufgestellten Modells und zweifelte an einigen Umsetzungsformen. Weiterhin warf er die Frage der Praxisrelevanz auf.

Sandro Gleave, Bundeskartellamt, Bonn, hielt den letzten Vortrag des Seminars. Sein Thema war der Tankstellenmarkt im Lichte der aktuellen Rechtsprechung. Ausgangspunkt des Vortrags war der Fall „OMV/Total“. Einer Untersagung durch das BKartA folgten Urteile des OLG Düsseldorf und des BGH. Gleave erläuterte die Oligopoluntersuchung des BKartA und die erkannten Zusammenhänge im Preissetzungsgeschehen. Gleave arbeitete weiter die unterschiedlichen Auffassungen der Gerichte heraus. Er stellte die  Oligopolbefunde des BKartA, des OLG Düsseldorf und des BGH gegenüber und spezifizierte  die Urteilsbegründungen. Sein Vortrag schloss mit einigen Worten zu Beobachtungen des BKartA auf dem Tankstellenmarkt und zur geplanten Markttransparenzstelle (siehe die Vorträge von Zimmer und Abel am Vortag).

(Durch Klick auf den jeweiligen Referentennamen öffnet sich das hinterlegte Handout).