14.06.2011

Stellungnahme des Bundestags zur öffentlichen Konsultation der EU-Kommission zum kollektiven Rechtsschutz

Am 26. Mai 2011 hat der Bundestag eine Stellungnahme auf der Grundlage einer  Beschlussempfehlung und eines Berichts des Rechtsausschusses des Bundestags zu dem Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen „Kollektiver Rechtsschutz: Hin zu einem kohärenten europäischen Ansatz" abgegeben. Der Bundestag folgte der Beschlussempfehlung vollumfänglich und verabschiedete seine Entschließung mit der Mehrheit der Fraktionen der CDU/CSU und FDP. SPD und Bündnis 90/Die Grünen votierten gegen die Entschließung, Die Linke enthielt sich.

Hintergrund:

Am 4. Februar 2011 hatte die EU-Kommission eine Konsultation über gemeinsame Rechtsgrundsätze für den kollektiven Rechtsschutz in der EU eingeleitet. Ziel ist es, die Entwicklung eines kohärenten Ansatzes für den kollektiven Rechtsschutz in der Europäischen Union vorzubereiten. Durchgeführt wurde die Konsultation durch die Kommissare John Dalli (Gesundheit und Verbraucherschutz), Joaquin Almunia (Wettbewerb) und Viviane Reding (Justiz). Nachdem insbesondere die Kommissare für Wettbewerb und für Verbraucherschutz in der Vergangenheit mit eigenen Initiativen aktiv geworden waren, bemühen sich die Kommissare nun um einen kohärenten Ansatz. Für den Bereich des Kartellrechts waren zuvor bereits ein Grünbuch und ein Weißbuch zum Thema Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EG-Wettbewerbsrechts in den Jahren 2005 und 2008 veröffentlicht worden, die 2009 in einen Legislativvorschlag münden sollten, zu dessen Veröffentlichung es jedoch nicht kam.

Inhalt der Stellungnahme:

In seiner Stellungnahme wendet sich der Bundestag gegen die Einführung von kollektiven Rechtsschutzinstrumenten. Diese dürften erst dann zur Beseitigung von Defiziten und Lücken bei der Durchsetzung materiellen Rechts beitragen, wenn tatsächlich Defizite vorlägen. Diese seien jedoch nicht dargetan worden. Es fehle auch an einer fundierten Evaluation bei der Durchsetzung materieller Rechte, die die Notwendigkeit kollektiver Rechtsschutzinstrumente belegen würden. Der Deutsche Bundestag lehnt daher derzeit verbindliche und unverbindliche Maßnahmen auf europäischer Ebene ab. Auch sei ein Mehrwert für die Verbraucher damit angesichts der bereits vorhandenen Instrumente, wie z. B. Verbandsklagebefugnisse, Musterklagen und Gewinnabschöpfungsansprüche, nicht verbunden.

Der Bundestag äußerte zudem erhebliche Zweifel, ob die Europäische Union die Kompetenz habe, ein europaweit einheitliches, allgemeines kollektives Rechtsschutzinstrument verbindlich zu implementieren. Es fehle an einer Kompetenznorm.

In inhaltlicher Hinsicht betont der Bundestag das missbräuchliche Potential kollektiver Rechtsschutzinstrumente und lehnt Initiativen auf dem Weg in eine „Klageindustrie" ab. Gerade die Erfahrungen aus anderen Rechtsordnungen - etwa den USA - hätten gezeigt, dass Sammelklagen ein erhebliches Missbrauchspotential innewohnt. Zum missbräuchlichen Potential gehören aus Sicht des Bundestags beispielsweise Regelungen, die von dem Grundsatz „Wer verliert, zahlt" (loser pays) abweichen. Oftmals würden Sammelklagen auch mit öffentlichkeitswirksamen Medienkampagnen begleitet. Aus Angst vor Imageschäden und nicht selten Existenz bedrohenden Prozesskosten würden Unternehmen dabei zu Vergleichen genötigt, obwohl die zugrunde liegenden Ansprüche zweifelhaft seien.

Zu Opt-Out-Verfahren: Der Bundestag macht deutlich, dass er jeden auch nur mittelbaren Zwang einer Teilnahme an kollektiven Rechtsschutzinstrumenten oder einer bestimmten Prozessstrategie ablehnt. Niemand dürfe ohne sein Wissen in eine Prozessführung einbezogen und vor allem nicht an das Ergebnis des Prozesses gebunden werden. Der Klägerkreis müsse daher klar und eindeutig bestimmt sein. Diesen Anforderungen würde ein Opt-Out- Verfahren nicht entsprechen.

Finanzierung: Der Bundestag will auch verhindern, dass Kollektivklagen von Verbraucherschutzorganisationen öffentlich finanziert werden.

ADR: Die Nutzung alternativer Streitbeilegungsmechanismen beurteilt der Bundestag als Alternative zu verbindlichen Instrumenten kollektiven Rechtsschutzes im Grundsatz positiv.