28.09.2011

Monopolkommission veröffentlicht Sondergutachten zur Wettbewerbssituation im Bahnsektor

Am 20. September 2011 hat die Monopolkommission ihr Sondergutachten „Bahn 2011: Wettbewerbspolitik unter Zugzwang“ zur Wettbewerbssituation auf den deutschen Märkten für Personen- und Güterverkehr vorgelegt.

Bei dem Sondergutachten handelt es sich um das dritte Sondergutachten der Monopolkommission in diesem Bereich. Sie ist gemäß ihrem Auftrag nach § 36 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG) zur Begutachtung verpflichtet.

 

Bisherige Sondergutachten im Bahnsektor:

Das erste Sondergutachten aus dem Jahr 2007 war zu dem Ergebnis gekommen, dass es um den Wettbewerb im Schienenverkehr noch nicht gut bestellt sei und in vielen Bereichen noch immer politischer Handlungsbedarf bestünde, um die Wettbewerbssituation zu verbessern. Im Jahr 2006 hatte die Monopolkommission darüber hinaus zur Frage der Privatisierung der Deutschen Bahn AG per Sondergutachten Stellung genommen. Darin warnte die Monopolkommission vor einer Privatisierung der Deutschen Bahn AG mit Schienennetz als vertikal integriertes Unternehmen. Es sei aus wettbewerbspolitischer Sicht ein schwer zu korrigierender Fehler, wenn die Deutsche Bahn AG weiterhin – als Eigentümer oder als Verwalter – über die Infrastruktur verfügen könne. Aus diesem Grund hatte sich die Monopolkommission für eine Trennung des Netzes von der Deutschen Bahn ausgesprochen. In ihrem Sondergutachten aus dem Jahr 2009 kam die Monopolkommission zu dem Schluss, dass der Wettbewerb auf den Märkten für Personen- und Güterverkehr nur langsam voranschreiten würde und erhebliche Wettbewerbshindernisse die Aktivitäten vieler Anbieter einschränkten.

 

Aktuelles Sondergutachten:

In ihrem aktuellen Sondergutachten stellt die Monopolkommission erneut fest, dass sich der Wettbewerb auf den deutschen Märkten für Personen- und Güterverkehr nur langsam entwickelt. Sie kritisiert zudem, dass in den letzten Jahren von der Politik keine entscheidenden Impulse für eine erfolgreiche Wettbewerbsentwicklung ausgegangen seien. Insbesondere bemängelt die Monopolkommission, dass die Töchter der Deutschen Bahn AG in allen Teilmärkten weiterhin über sehr dominante Positionen verfügten.

 

Die Monopolkommission behauptet, dass die wesentlichen Wettbewerbsprobleme auf die integrierte Struktur der Deutsche Bahn AG zurückzuführen seien und auf ihren daraus resultierenden Möglichkeiten und Anreizen, die Wettbewerber auf den Verkehrsmärkten bei der Nutzung des Schienennetzes, der Bahnhöfe und weiterer Anlagen zu benachteiligen. Die Monopolkommission spricht sich daher für eine vollständige institutionelle Trennung von Netz und Betrieb aus. Dazu sollten die Transportunternehmen des Konzerns vollständig privatisiert werden, während die Infrastrukturunternehmen in öffentlicher Hand verbleiben sollten. Aus Sicht der Monopolkommission reichten regulatorische Maßnahmen allein nicht aus, um das Diskriminierungspotenzial zu neutralisieren. Auch weise der Regulierungsrahmen erhebliche Defizite auf. Aus diesem Grund sollte zeitnah eine Anreizregulierung eingeführt werden, durch die die Infrastruktur effizienter bewirtschaftet werden könne, so dass Infrastrukturkosten und –entgelte sinken könnten. Neben einer Veränderung der gesetzlichen Verpflichtung des Infrastrukturbetreibers, Auslastung und Beschaffenheit der Infrastruktur transparent darzustellen, seien auch klarere Vorgaben für den Zugriff auf Service-Einrichtungen notwendig.

 

Um auch im Fernverkehr Wettbewerb zu schaffen, sollten die Regelungen überarbeitet werden, nach denen langfristige Rahmenbedingungen abgeschlossen werden können, damit Effizienzverluste und Diskriminierungspotenziale eingeschränkt werden könnten.

 

Darüber hinaus empfiehlt die Monopolkommission, die Vorschriften des Energierechts an die Erfordernisse des Bahnsektors anzupassen, da derzeit die Bedingungen der Versorgung der Eisenbahnverkehrsunternehmen mit Elektrizität ein zentrales Hindernis für den Wettbewerb darstellten.

 

Kritisch steht die Monopolkommission auch den Verfahrensabläufen des Eisenbahnbundesamtes (EBA) gegenüber. Sie empfiehlt sogar die Übertragung einzelner Aufgaben des EBA auf privatwirtschaftliche Überwachungsstellen.

 

 

Einzelne wesentliche Positionen des Sondergutachtens:

 

-          Die Monopolkommission spricht sich für die Unabhängigkeit der Infrastruktur und Transportsparten der Deutschen Bahn AG aus. Die Transportgesellschaften sollten eigentumsrechtlich privatisiert werden. Kurzfristig sollten die Ergebnisabführungsverträge des Konzerns mit den Infrastrukturgesellschaften sofort aufgelöst werden.

 

-          Im Bereich der Entgeltregulierung sollten folgende Veränderungen vorgenommen werden:

o        Einführung einer Anreizregulierung in Ergänzung der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung. Die EU-Kommission sollte darüber hinaus eine Anreizregulierung zwingend vorgeben und die Möglichkeit eröffnen, diese durch vertragliche Vereinbarungen zu ergänzen.

o        Anpassung der Vorgaben an die Entgeltstruktur, so dass sich die einzelnen Entgeltkomponenten auf klare und transparente Kriterien zurückführen lassen.

o        Die Bundesnetzagentur sollte zur Bestimmung einer angemessenen Höhe der Entgelte die Eigenkapitalkosten auf Grundlage des Capital Assett Pricing-Modells ermitteln. Für die Bestimmung der Eigenkapitalkosten sollte nicht zwischen bundeseigenen und nicht bundeseigenen Unternehmen unterschieden werden. Der Gesetzgeber sollte eine zulässige Gesamtkapitalrendite vorgeben.

o        Die Regulierung des Bahnstroms sollte verschärft werden, damit die Erfordernisse des Bahnsektors besser berücksichtigt werden könnten.

 

-          Die Zugangsbedingungen für Schieneninfrastruktur und Service-Einrichtungen sollten ebenfalls geändert werden:

 

o        Infrastrukturbetreiber sollten zu einer größeren Transparenz im Hinblick auf Art und Beschaffenheit der Trassen verpflichtet werden. Geschaffen werden könnte die Möglichkeit einer elektronischen Abrufmöglichkeit zur Identifizierung freier Kapazitäten bei der Trassenbelegung.

o        Die Regelungen zum Abschluss von Rahmenverträgen sollten geändert werden. U. a. sollte eine längere Vorlaufzeit bis zum Betriebsbeginn von mindesten zwei Jahren vorgesehen werden. Der Abschluss von Rahmenverträgen sollte bei der Bundesnetzagentur genehmigungspflichtig werden.

o        Service-Einrichtungen sollten nur dann einer Zugangsregulierung unterliegen, wenn keine marktkonformen Alternativen bestehen.

o        Analog der Regelungen für Schienenwege sollten auch Mindestangaben für die Nutzung von Service-Einrichtungen vorgegeben werden.

o        Vor der Stilllegung einer Service-Einrichtung sollte ein Ausschreibungs- bzw. Interessebekundungsverfahren durchgeführt werden.

o        Der Rangierbetrieb sollte gesetzlich in die Verantwortung des Infrastrukturbetreibers gestellt und der Zugangsregulierung unterworfen werden.

 

-          Die Verfahrensabläufe des EBA stellen nach Auffassung der Monopolkommission ein zentrales Hindernis bei der Durchführung effizienter Verkehre dar und müssten verbessert werden:

o        Das EBA sollte den Eisenbahnverkehrsunternehmen eine größere Orientierungshilfe bei der Erstellung der Sicherheitsmanagement-Systeme, beispielsweise in Form von Mindestanforderungen, zur Verfügung stellen.

o        Zur Unterstützung und Dokumentation der Genehmigungsverfahren sollte zusätzlich ein elektronisches Kommunikationssystem eingeführt werden.

o        Zu prüfen sei die Übertragung einzelner hoheitlicher Aufgaben des EBA an privatwirtschaftliche, staatlich kontrollierte und akkreditierte technische Überwachungsstellen.

o        Im Bereich des Schienen-Personen-Nahverkehrs (SPNV) wird die Einführung eines spezifischen Vergaberechts mit der Möglichkeit von Direktvergaben abgelehnt. Prinzipiell seien Ausschreibungsverfahren durchzuführen; Direktvergaben könnten höchstens übergangsweise in sehr vereinzelten Ausnahmesituationen durchgeführt werden, wenn dadurch gesamtwirtschaftliche Vorteile bestünden und der Wettbewerb gefördert werde.

 

-          Die Monopolkommission lehnt allgemeinverbindliche Tarifverträge für SPNV-Unternehmen ab, da dies zu einer vollständigen Abkopplung der wettbewerblichen Kontrolle über die Lohnhöhe zur Folge und negative Auswirkungen auf die Preissetzung hätte.

 

-          Das Bundeskartellamt sollte in Abstimmung mit der Europäischen Kommission Nachprüfungen der genehmigten Kooperationen europäischer Staatsbahnen im SPNV durchführen, um Wettbewerbsverfälschungen durch implizite Gebietskoordinationen aufzuspüren.

 

-          Die Liberalisierung des Linienfernverkehrs mit Bussen in Deutschland befürwortet die Monopolkommission. Allerdings sollte die Genehmigungspflicht alsbald entfallen und der Fernbusverkehr von der dreimonatigen Betriebspflicht ausgenommen werden.

 

-          Die Kompetenzen der Bundesnetzagentur werden für unzureichend erachtet, um einen effizienten und diskriminierungsfreien Wettbewerb zu gewährleisten. Ihr sollen daher umfangreichere Informationsrechte zustehen und sie sollte Marktbeobachtungen auch ohne einen konkreten Missbrauchsverdacht durchführen können. Die Bundesnetzagentur sollte zudem stärker in die Überwachung der Trassenvergabeverfahren im Informationswege eingebunden werden.

 

-          Die Monopolkommission erachtet ihre eigenen Kompetenzen ebenfalls als unzureichend. Sie fordert ein umfassendes Akteneinsichtsrecht bei der Bundesnetzagentur.