09.06.2011

Kurzbericht zum Berliner Kolloquium des FIW am 27. Mai 2011

FIW
Deutschland
Berliner Kolloquium

Das erste „Berliner Kolloquium" des FIW nach Umzug des Bundeskartellamts nach Bonn war dem Thema „Wettbewerb und Gesundheitspolitik" gewidmet.

In seiner Begrüßung wies der Vorstandsvorsitzende des FIW, Dr. Gernot Schaefer, darauf hin, dass das FIW seiner Programmatik entsprechend in Berlin zukünftig ein Mal pro Jahr aktuelle Themen der Wettbewerbspolitik am Regierungssitz aufgreifen werde. Das ergänze die anderen Veranstaltungsformate des FIW in hervorragender Weise.

Der Moderator der Veranstaltung, Professor Dr. Fuchs (Osnabrück), machte in seiner Einleitung deutlich, dass im Gesundheitssektor die regulativen Elemente eindeutig überwögen und daher die Nutzung von marktwirtschaftlichen Spielräumen weiterhin eng sei. In von Informationsasymmetrien geprägten Märkten könnten sich ohnehin wettbewerbliche Instrumente nur schwer entwickeln. Immerhin habe der Gesetzgeber seit der Gesundheitsreform 2007 erste Schritte zur Implementierung wettbewerblicher Elemente vorgenommen.

Herr Dr. Jungbluth (BMWi) stellte einleitend fest, dass den Gesundheitssektor wohl unterschiedliche Vorstellungen über das, was „Wettbewerb" ausmache, prägten und die verfolgten Ziele der Akteure unterschiedlich seien. Nach Auffassung des BMWi sei aber das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen auf die Gesundheitsmärkte anwendbar. Weil sich herausgestellt habe, dass nach 2007 v. a. das Kartellvergaberecht keine ausreichende Wirkung gezeigt habe, werde die Lage nach Inkrafttreten des AMNOG nun weiter aufmerksam beobachtet. Das ändere allerdings nichts an der grundsätzlichen Auffassung des BMWi zur Anwendbarkeit des GWB - vor allem bei der Fusionskontrolle, beim Kartellverbot, der Missbrauchsaufsicht oder dem Boykottverbot. Alles in allem eröffne der Gesetzgeber wettbewerbliche Spielräume dort, wo das Sozialrecht sie zulasse. Wettbewerb und Gesundheitspolitik seien daher keine kategorischen Gegensätze.

Herr Bartram, Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa), verwies zunächst auf die Aussagen des Koalitionsvertrages der gegenwärtigen Regierungsparteien, nach dem das „allgemeine Wettbewerbsrecht" auch im Gesundheitssektor anwendbar sei. Das sei nach Rückschritten bei den Gesundheitsreformen in den Jahren 2000 und 2007 zunächst positiv zu bewerten. Der Nachfragemacht der Krankenkassen sei dadurch aber keine Grenze gesetzt, auf den GKV-Spitzenverband sei das Kartellrecht eben nicht anwendbar. Sozialrechtlich flankierende Normen hielten daher den Weg zu echtem Wettbewerb im Gesundheitssektor auf, zumal die schmalen Spielräume dessen, was möglich sei, noch gar nicht richtig ausgeschöpft seien.

Professor Dr. Haucap (Düsseldorf) konzentrierte sich in seinem Vortrag auf die Besonderheiten der Apothekenmärkte. Die Apotheke werde wie eine beratende Institution behandelt und nicht - was wettbewerbsökonomisch betrachtet viel näher läge - wie ein Handelsunternehmen. Der vermeintlich zu schützende Käufer von Medikamenten werde unter den Schirm einer Vielzahl von berufsspezifischen Mechanismen gestellt, die in dieser Form gar nicht nötig seien („Apothekerprivileg"). Insofern seien aus Sicht des Patienten („Kunden") auch im Bereich der Apotheken noch erhebliche Effizienzpotenziale zu heben. Bei Versandapotheken sei z. B. bereits heute der Verzicht auf Zuzahlungen möglich, was im Vergleich zu traditionellen Apotheken wiederum ökonomische Gründe haben müsse. Die oft geäußerte Befürchtung, der Patient werde bei Freigabe der Apothekenmärkte allein auf den Preis des zu beschaffenden Produkts schauen, hält Haucap - wiederum im Vergleich zum Qualitätsprodukte vertreibenden Einzelhandel - für unbegründet. Käuferverhalten sei auch durch Qualitätsansprüche und Loyalität geprägt. Allerdings gäbe es bei der Gesamtbetrachtung Unterschiede bei der Beuteilung der räumlich zu differenzierenden Märkte (Ballungsraum, ländlicher Raum).

Frhr. v. Stackelberg, GKV-Spitzenverband, betonte, dass der deutsche Gesundheitssektor im internationalen Vergleich bereits über einen hohen Grad an Freiheitsräumen verfüge. Allerdings gab er am Beispiel der Krankenhausleistungen zu bedenken, dass die bislang geltende strikte Trennung zwischen ambulanter und stationärer Behandlung und Betreuung wettbewerbsbehindernd sei. Alles in allem müsse es zu fairen Ausschreibungs- und Zuschlagsmechanismen kommen.

In der Aussprache wurden mehrere Teilaspekte der Gesundheitsmärkte vertieft. So wurde festgestellt, dass auf dem Krankenkassensektor ein Konzentrationsprozess ohne Gleichen zu verzeichnen sei. Waren in der Weimarer Republik noch 20.000 Krankenkassen tätig, so sei die Zahl um 1980 bereits auf 1.500 zurückgegangen. Gegenwärtig seien noch 150 Kassen am Markt. Dieser Prozess werde weiter gehen. Im Verhältnis Krankenkassen und Pharmaindustrie hätten die selektiv möglichen Rabattverträge erstmals zu einer Marktöffnung geführt. Das Kartellvergaberecht begegne naturgemäß einer unvollkommenen Wettbewerbsstruktur ungleich aufgestellter Marktgegenseiten, worin Prof. Fuchs abschließend die Bestätigung seiner Eingangsthese fand.