12.04.2011

Kurzbericht zum 44. Innsbrucker Symposion des FIW

FIW
Deutschland
44. Innsbrucker Symposion
Bundeskartellamt

Kurzbericht zum 44. Innsbrucker Symposion des FIW

Das diesjährige Innsbrucker Symposion des FIW fand vom 9. bis 11. März 2011statt. Die mit namhaften nationalen und internationalen Rednern besetzte Veranstaltung stand unter dem Leitthema „Sanktionen im Kartellrecht" und bot zum 44. Mal führenden Vertretern der Wirtschaft, Anwaltschaft, Verwaltung und Justiz ein Forum über Fragen der Wirtschaftsverfassung und der Wettbewerbspolitik. Zur Einstimmung auf die Tagung fand am 9. März ein Empfang auf Einladung der Österreichischen Industriellenvereinigung statt.

Donnerstag - 10.03.2011 

Der Vorstandsvorsitzende des FIW, Dr. Gernot Schaefer, begrüßte die Teilnehmer. Er würdigte die Verdienste der verstorbenen Bürgermeisterin Hilde Zach, bevor weitere Grußworte des Präsidenten des Tiroler Landtags, Dr. Herwig van Staa und des Vizebürgermeisters Xaver Gruber folgten.  

Der Unternehmervortrag von Dr. Kalkoffen hatte den Wettbewerb der Energieträger, Antriebssysteme, die Benzinpreisentwicklung und die Firmenpolitik von ExxonMobil zum Gegenstand. ExxonMobil sei ein 125 Jahre altes selbst finanziertes Unternehmen, dessen Politik auf langfristige Investitionen ausgerichtet sei und das einen Schwerpunkt in der Entwicklung und im Einsatz eigener Technologie sehe.

Laut Dr. Kalkoffen habe man heute sehr viel mehr Energieträger (Öl, Kohle, Gas, Biomasse, Nuklear, Wasser, Wind/Solar/Biokraftstoffe) als vor 200 Jahren. Für die Jahre 2020 bis 2030 ergäben sich keine nennenswerten Änderungen, drei Viertel der Energie würde nach wie vor über fossile Energieträger zu leisten. Allerdings würde für die erneuerbaren Energien eine überdurchschnittliche Wachstumsrate von 10 % prognostiziert. Bei einer Aufteilung nach Sektoren würde künftig bei der Stromerzeugung global das größte Wachstum stattfinden, auch der Verkehr werde weiter zunehmen. Öl sei der am leichtesten substituierbare Energieträger.

In Deutschland sei die Entwicklung des Kraftstoffverbrauchs weiter rückläufig. Künftig soll ein höherer Anteil an Biokraftstoffen erreicht werden (derzeit müssen 6,25 % Biokraftstoffe dem Benzin beigemischt werden). Das Bio-Ethanol stoße Umfragen zufolge derzeit auf überwiegende Ablehnung.

Nach Ansicht der Mineralölwirtschaft bestehe auf dem Tankstellenmarkt in Deutschland kein marktbeherrschendes Oligopol, und die Benzinkosten (ohne Steuern!) gehörten zu den niedrigsten in ganz Europa. Als Gewinn verbliebe der Mineralölwirtschaft lediglich eine Marge von 5-10 Cent. 

Prof. Zimmer fragte in seinem Vortrag, welches System besser sei: Ein Administrativverfahren, d.h. ein behördliches Verfahren mit der Möglichkeit von Untersagungsverfügungen und Bußgeldern oder ein Klagesystem, wie z.B. in den USA, an dessen Ende eine gerichtliche Entscheidung steht. Auf der Grundlage einer Analyse der Fehleranfälligkeit der Systeme anhand der Verhaltensökonomie der Entscheider (Stichworte: Kognitive Ignoranz und „Comfirmation bias") zog Prof. Zimmer die Schlussfolgerung, dass das Festhalten an ursprünglichen Bewertungen ein überindividuelles Problem sei, das nicht in der Person liege, sondern im Verfahren begründet sei. Dieses Problem ließe sich in beiden Systemen finden.

Vorzugswürdig sei nach Ansicht von Prof. Zimmer neben den Gestaltungsmöglichkeiten einer Beibehaltung des Administrativsystems und einem Übergang zum Klagesystem die Fortentwicklung des Administrativsystems. Diese sei beispielsweise dadurch zu bewerkstelligen, dass Ermittlung und Verfolgung einem Case-Team überlassen werden könnte (bis zur Formulierung der Beschwerdepunkte) und ein anderes Team die Entscheidung vorbereitet und auch die Anhörung und die Beweiserhebung durchführt. Der Anhörungsbeauftragte sei von der Generaldirektion Wettbewerb zu separieren. Der Vorteil dieser Option sei, dass dieses System zu ähnlich raschen Entscheidungen der Kommission führen könnte. Eine Übertragung der Entscheidungszuständigkeit auf den Europäischen Gerichtshof würde hingegen eine Vertragsänderung erforderlich machen. So seien nur interne organisatorische Änderungen notwendig, um verhaltensökonomisch bedingte Probleme auf einem Mindestmaß zu halten.

Dr. Schnappauf betonte, dass die Bekämpfung von Kartellen richtig sei, da viele Unternehmen selbst Opfer von Kartellen seien oder würden. Die Europäische Kommission verhänge mittlerweile Milliardenbußgelder. Die Europäische Kommission sei dabei zugleich Untersuchungsbehörde, Anklägerin und Richterin. Dies wäre weniger bedenklich, wenn eine wirksame gerichtliche Kontrolle gewährleistet wäre. Der Gerichtshof der Europäischen Union sei weder spezialisiert, noch nehme er eine vollständige Prüfung des Tatbestandes oder eine hinreichende Beweisaufnahme vor. Der Gerichtshof der Europäischen Union solle seiner Befugnis zur unbeschränkten Nachprüfung der Bußgeldentscheidungen der Europäischen Kommission von Amts wegen nachkommen.

Zudem seien die Verfahrensregeln zur Bußgeldbemessung zu unbestimmt. Es sei erforderlich, dass in der einschlägigen Kartellverfahrensverordnung selbst detaillierte und ausreichend bestimmte Grundsätze zur Bußgeldfestsetzung aufgenommen würden. Dass die Größenordnung eines drohenden Bußgeldes oft nicht einmal ansatzweise bestimmbar sei, könne für die Unternehmen zu großen Schwierigkeiten bei der Finanzierung ihres operativen Geschäfts, von Investitionen und bei der Bildung angemessener Rückstellungen führen. Dr. Schnappauf konstatierte der Europäischen Union bei den Sanktionsbefugnissen noch Nachbesserungsbedarf. Auch müsse klar geregelt werden, welches Unternehmen Adressat einer Sanktion sein soll. Die kapitalmäßige Verflechtung könne hierbei kein Zurechnungskriterium sein, sondern allein die Beteiligung oder Billigung an dem rechtswidrigen Verstoß. Darüber hinaus sollte die Europäische Kommission den Unternehmen eine Bußgeldreduzierung für effektiv durchgeführte Compliance-Programme gewähren, wie es beispielsweise auch in Großbritannien, Kanada oder Australien geschehe. Hierdurch könnten die besonderen Anstrengungen des Unternehmens, geeignete präventive Maßnahmen zu ergreifen und auf diese Weise Kartellverstöße zu verhindern, honoriert werden. Und die Kartellbehörden könnten zeigen, dass ihnen daran gelegen sei, nicht nur wettbewerbsschädliches Verhalten abzustrafen, sondern auch wettbewerbsförderndes Verhalten zu stärken. 

(vgl. dazu separaten Bericht auf der FIW-Homepage)

Podiumsdiskussion mit Dr. Konrad Ost, Dr. Rolf Raum und Prof. Dr. Stephan Wernicke - „Bußgelder bei Kartellabsprachen: Sanktionspolitik ohne Bodenhaftung?" 

Nicht die Sanktionspolitik habe die Bodenhaftung verlassen. Ein Ziel des Bundeskartellamts sei die erfolgreiche Kartellbekämpfung und die Bodenhaftung der Kartelltäter wiederherzustellen. Diesem Ziel sei die Behörde mit der 7. GWB-Novelle und ihren Bußgeldleitlinien ein Stück weit näher gekommen.

Einige Zahlen: Es seien 21 Fälle nach den Bußgeldleitlinien entschieden worden. Bei Hardcore-Absprachen habe der Grundbetrag regelmäßig bei 18 Prozent bis 25 Prozent gelegen. Bei Horizontalabsprachen habe die absolute Bußgeldhöhe bei weniger als 1 Mio. Euro bis 91 Mio. gelegen. Die „Kappungsgrenze" von 10 Prozent sei nur in wenigen Fällen zur Anwendung gelangt. Die Gesamtsumme der Bußgelder betrug in den Jahren 2008 bis 2010 ca. 300 Mio. Euro.

Die Bußgeldhöhen seien - so Ost - nicht per se verfassungswidrig. Es gebe Studien, die belegten, dass EU-Bußgelder noch nicht hoch genug seien, um den wirtschaftlichen Schaden abzuschöpfen. Die gesetzlichen Vorgaben sähen vor, auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen. Bei der Bußgeldpolitik sei die Grenze zur Strafe (im weiteren Sinn) schon lange überschritten. Ein administratives System könne jedoch auch hohe Sanktionen verhängen, vorausgesetzt, dass effektiver Rechtschutz gegeben sei. Die Bußgelder stünden damit auf dem Boden des Rechts und führten zu einer substanziellen Haftung. 

Dr. Raum erläuterte, dass der Bußgeldrahmen umsatzbezogen sei. Die Unbestimmtheit dieses Bußgeldrahmens sei dem System geschuldet, auf das jener abstrakt und generell anwendbar sein müsse. Die Vermögensstrafe sei zu Recht als Nebenstrafe umstritten gewesen; die Kriterien seien jedoch nicht auf das Kartellbußgeld übertragbar.

 Zum Streit der 10prozentigen Bußgeldgrenze bemerkte Dr. Raum, dass ein Phänomen wie eine Kappungsgrenze dem deutschen Straf- und Bußgeldrecht fremd sei. Normalerweise gebe es Ober- und Untergrenzen. Im Übrigen sei der Richter an die Bußgeldleitlinien des Kartellamts nicht gebunden, sondern er bliebe allein dem Gesetz (OWiG und GWB) verpflichtet.

Ein besonderer Unterschied zwischen der Bußgeldbemessung in der Europäischen Union und in Deutschland sei die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Mittel. Es bestünden auch verschiedene Vorstellungen bei der Anerkennung der Insolvenzgefahr.

Bei Bußgeldern sei zwischen dem Ahndungsteil und dem Abschöpfungsteil zu unterscheiden. Zunehmend stünde in den Bußgeldbescheiden, dass der Bescheid nur der Ahndung diene. Diese Lösung sei letztlich für einen Rechtsstaat unbefriedigend, als die Kartellrendite dem Schädiger verbliebe. Dr. Raum schilderte sodann die verschiedenen Möglichkeiten für eine Abschöpfung. Er wies zudem darauf hin, dass die Abschöpfung den Schädiger von Schadenersatzansprüchen befreie; gerade bei Streubesitz, aber auch bei langfristigen Lieferbeziehungen sei die bloße Ahndung schwierig und eine Abschöpfung vorzugswürdig, da niemand den Schadenersatz einklagen würde. Die Ermessensentscheidung, warum von einer Abschöpfung abgesehen würde, müsste eigentlich begründet werden. 

Aus Sicht von Prof. Wernicke sei nicht die Bußgeldhöhe problematisch sondern die Unbestimmtheit der Bußgeldkriterien. Die Kriterien der „Schwere" und „Dauer" seien unbestimmt; hier greife das Wesentlichkeitsprinzip. Auch könnten sich die Unternehmen ihr Bußgeld nicht selber ausrechnen; dies ginge aufgrund der wertenden Berücksichtigung mildernder und erschwerender Umstände nicht. Prof. Wernicke forderte, dass die Bußgeldberechnung nachvollziehbar sein und nicht nur im Ermessen der Kommission stehen solle. Er betonte zudem, dass die Dauer von Verfahren oft zu Schwierigkeiten für die Kreditsituation der Unternehmen führe.

Im Hinblick auf eine Stärkung der Verteidigungsrechte der Unternehmen sagte Prof. Wernicke, dass die Position des Anhörungsbeamten gestärkt werden müsse. Er drang einerseits darauf, dass innerhalb der Kommission eine unabhängige Stelle geschaffen werden müsse, die eine Zweitkontrolle vornehmen könnte. Zeugen können durch den Anhörungsbeamten beigeladen werden, plädierte andererseits für Verständnis für die Vorgehensweise der Kommission.

Ein großes Manko des gerichtlichen Rechtsschutzes auf europäischer Ebene seien fehlende Ressourcen, die Konzentration auf eine einzige Sprache (Französisch) und die mangelnde Spezialisierung bei den Gerichten.

Prof. Wernicke zog das Fazit, dass der effektive Schutz des Verfahrens oft wichtiger sei als Verteidigungsrechte des Unternehmens. Eine Lösung läge allein in den Institutionen.

Freitag  11.03.2011 

Es folgte ein weiteres Grußwort von Dr. Michael C. Losch, Ministerialrat und Sektionsleiter im Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend in Wien,

Podiumsdiskussion mit Dr. Carsten Becker, Dr. Wolfgang Kirchhoff und Prof. Dr. Justus Haucap -  „Missbrauchsaufsicht über Preise: Sanktionspolitik in der Sackgasse?" 

Dr. Becker vertrat die Ansicht, dass die Sanktionen bei der Umsetzung der verschärften Preismissbrauchsaufsicht im Energiesektor erfolgreiche waren. Insgesamt müssten sich die Unternehmen seit der 7. GWB-Novelle und der Preismissbrauchsnovelle auf folgende Sanktionen einstellen: Auf die Feststellung, dass Preise missbräuchlich erhöht waren, auf die Erstattung der erhöhten Preise, auf Vorgaben für künftige Preisgestaltung sowie auf Verpflichtungszusagen. Flankiert seien diese Maßgaben durch den Sofortvollzug. In der Praxis seien viele Verfahren im Strom- und Gasbereich mit Verpflichtungszusagen beendet worden; dadurch seien die Gas- und Stromkunden deutliche entlastet worden. Gerade die Beweislastverteilung des § 29 GWB habe den Unternehmen vor Augen geführt, dass sich Rechtstreitigkeiten oftmals nicht lohnten. Ein Erfolgsrezept war auch die Aufstockung des Personals im Bundeskartellamt und die Einrichtung einer spezialisierten Energiebeschlussabteilung. Dies habe die Wende vom „Hobbyfechten zum richtigen Leistungssport" bewirkt.

Dr. Becker war auch der Meinung, dass der Preismissbrauchskontrolle die Anwendungsfälle nicht ausgehen würden. Neue Kandidaten seien die Sektoren Fernwärme und Trinkwasser. 

Dr. Kirchoff meinte, dass die schlechte Anfangsbilanz der Kartellbehörden bei der Preismissbrauchsaufsicht nicht auf grundsätzlichen Mängeln des Missbrauchstatbestands beruhe. Das Vergleichsmarktkonzept sei nicht unzulänglich, dass es durch andere Konzepte ersetzt werden sollte. Vielmehr hätten oftmals „handwerkliche Mängel" bei der Anwendung des Vergleichsmarktkonzept im Einzelfall vorgelegen (z.B. in den Fällen Valium I, Valium II, Glockenheide). Seit Ende der 90er Jahre sei die Preismissbrauchsaufsicht erfolgreicher gewesen. Es gebe, soweit ersichtlich, keine praktikablere Alternative zum Vergleichsmarktkonzept. Immerhin gebe es trotz des Amtsermittlungsgrundsatzes im Verwaltungsverfahren gesteigerte Mitwirkungs- und Darlegungspflicht bei Rechtfertigung ungünstigerer Preise. Eine entsprechende Regelung habe der Gesetzgeber für die Strom- und Gasversorger im § 29 GWB getroffen.

Laut Dr. Kirchhoff befinde die Preismissbrauchsaufsicht sich nicht in der Sackgasse trotz des in der Regel zu betreibenden erheblichen Aufwands seitens der Kartellbehörden bei zunächst unsicherem Ergebnis. Auch für die Gerichte bedeute die Materialfülle grundsätzlich eine Herausforderung. Daher sei eine Einigung zwischen den Kartellbehörden und den betroffenen Unternehmen durchaus vorzugswürdig. 

Prof. Haucap stellte fest, dass die Auswirkungen auf den Markt, je nach dem, ob die Preise zu hoch seien (Ausbeutungsmissbrauch) oder ob sie zu niedrig seien (Behinderungsmissbrauch), höchst unterschiedlich seien. Im Hinblick auf die Kontrolle von Verdrängungspreisen gebe es nur wenige Fälle. Aus ökonomischer Sicht handelte es sich ursprünglich um eine Sackgasse. Anscheinend sei aus einer übermäßigen Interpretation des AKZO-Urteils (1991) ein Per-se-Verbot geworden; dies sei aus ökonomischer Sicht falsch, da es auch Preise unter den durchschnittlichen variablen Kosten gebe, die nicht missbräuchlich seien. Mit der Abkehr vom Per-se-Verbot (mit dem Wanadoo-Urteil) hin zu widerlegbaren Vermutung habe man die Sackgasse anscheinend wieder verlassen. Prof. Haucap ging im Weiteren noch auf einige besondere Sektoren, wie den Telekommunikationssektor, den Verkauf unter Einstandspreis sowie die Kontrolle missbräuchlich überhöhter Wasserpreise ein. Die geplante Einrichtung einer Markttransparenzstelle für den Stromgroßhandel wertete Prof. Haucap als positiv, da die bisherigen Aufsichtsinstrumente nicht gut genug gewesen seien. 

Nach Ansicht von Dr. Classen sei die Private Rechtsdurchsetzung (Private Enforcement) mittlerweile in der Rechtswirklichkeit der Unternehmen angekommen. CDC (Cartel Damages Claims) führe bislang zwei Verfahren. Dr. Classen führte zunächst in die materiell-rechtlichen Entwicklungen ein, die zu einer Stärkung der Anspruchsgrundlagen für Geschädigte geführt hätten und wies insbesondere auf die EuGH-Rechtsprechung in den Fällen Courage und Manfredi hin.

Die ROM II-Verordnung knüpft im Hinblick auf das anwendbare Recht (ab dem 1. Januar 2009) an das Recht des Staates an, dessen Markt beeinträchtigt ist (lex fori-Regel). Der Zinsanspruch richte sich als unmittelbarer Bestandteil des materiellen SE-Anspruchs nach den anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften. Oftmals überwieg der Zinsanteil den eigentlichen Vermögensschaden bei weitem. Auch die Verjährung richte sich nach nationalem Recht. Nach der Auffassung von Dr. Classen könne die so genannte „Passing-on-Defence" nicht (komplett) ausgeschlossen werden, auch wenn der Bundesgerichtshof sich dazu konkret nicht eingelassen hatte.

Wichtig für den Kläger sei es, die prozessrechtlichen Rahmenbedingungen des Schadenersatzanspruchs je nach in Frage kommender Rechtsordnung genau zu prüfen. Die internationale Zuständigkeit der Zivilgerichte in Schadenersatzklagen richte sich nach der Verordnung 44/2001 (EuGVVO). Danach könne der Kläger Klage vor sämtlichen Gerichten erheben, deren Zuständigkeit aus der Verordnung abgeleitet werden kann. Um zu klären, in welcher Rechtsordnung die besten praktischen Durchsetzungschancen für einen Schadenersatzanspruch bestünden, bedürfe es - so Classen - des fachkundigen Rates von erfahrenen Prozessrechtlern; in Deutschland stünden wir prozessrechtlich nur „in der zweiten Reihe".

Praktische Schwierigkeiten bereiteten auch die rechtlichen und ökonomischen Ansätze zur Schadenfeststellung. Neben einem mangelhaften Informationsfluss, um Kartelldetails in Erfahrung zu bringen, bräuchte man auch eine größere Datenanalyse, um den tatsächlichen Kartellschaden zu ermitteln; hier sei es eventuell sinnvoll, einen Gemeinschaftsrahmen für die Typisierung von Schäden vorzusehen. Dr. Classen machte deutlich, dass er kein Befürworter u.s.-amerikanischer Sammelklagen sei, schloss aber zugleich mit einem Zitat: „Don't let the perfect become the enemy of the good" (American Bar Association)

Podiumsdiskussion mit Pascal Cardonnel, Marc Rosman und  Philipp Girardet - "Criminalization of Competition Law Enforcement" 

Pascal Cardonnel, Mark Rosman und Philipp Girardet beleuchteten die Rechtslage, insbesondere die Schnittstellen zwischen Kartell- und Strafrecht, aus Sicht ihrer jeweiligen Rechtskreise. Deutlich wurde vor allem, dass die historisch unterschiedlich gewachsenen Rechtsordnungen auch unterschiedliche Sichtweisen und Beurteilungen hervorbrächten, die zwar nicht ohne Weiteres als "Muster" auf andere übertragbar wären, aber zumindest Anregungen für Systematik und Struktur von Veränderungsprozessen bereithielten.

Herr Professor Fuchs fragte in seinem Vortrag über Perspektiven der 8. GWB-Novelle zunächst nach den lt. Koalitionsvertrag der Regierungsparteien geforderten Anpassungen des deutschen Kartellrechts an das europäische Recht, insbesondere danach, ob das GWB nach Auffasung der Bundesregierung und des Gesetzgebers auch zukünftig eine eigenständige Rolle in der EU behalten solle. Insofern sei es nicht unwichtig, ob der "Wettbewerb der Rechtsordnungen" gewollt sei. Reformbedarf machte Fuchs bei der Fusionskontrolle nicht zwingend aus, er plädiere für eine sorgfältige Vorgehensweise bei der Anpassung. Allgemein habe ohnehin eine "Ökonomisierung" der kartellrechtlichen Beurteilung von Sachverhalten eingesetzt. Konsequent sei das Festhalten an der Ministererlaubnis. Sie sei - anders als in anderen Rehtsordnungen - der Bezug zur Berücksichtigung von Gemeinwohlinteressen.

Die Einführung der missbrauchsunabhängigen "Entflechtung" sei als Einzelgesetz wohl "vom Tisch". Inhaltlich verwies Herr Prof. Fuchs auf die Erörterungen des Themas in Innsbruck 2010. Offenbar werde aber von Bundesregierung und BKartA nach wie vor das "Drohpotenzial" einer vorhandenen Entflechtungsklausel als sinnvoll erachtet. Kritisch seinen aus seiner Sicht folgende Punkte: Es sei kein konkreter Fall bekannt oder gar benannt worden. Eine mißbrauchsunabhängige Entflechtungskompetenz für das BKartA sei auf's Ganze gesehen innovationshemmend. effizienzmindernd und synergienfeindlich, da die Wirtschaftsverfassung ansonsten grundsätzlich Wachstum aus eigener Kraft erlaube bzw. fördere. Insofern werde eine Bundesoberbehörde zum "Marktdesigner". Das sei aber gerade nicht ihre Aufgabe. Zu bedenken sei auch die Frage danach, ob der AEUV die national geregelte mißbrauchsunabhängige Entflechtung verbiete.

Eine Auswahl an Pressebrichten haben wir für Sie im Pressespiegel zusammengestellt.