21.02.11

Kommission eröffnet Konsultation über kollektiven Rechtschutz (Sammelklagen)

Die EU-Kommission hat am 4. Februar 2011 eine Konsultation über gemeinsame Rechtsgrundsätze für den kollektiven Rechtsschutz in der EU eingeleitet. Ziel ist es, die Entwicklung eines kohärenten Ansatzes für den kollektiven Rechtsschutz in der Europäischen Union vorzubereiten.

Der Konsultationsbeginn hatte sich noch einmal verzögert, nachdem sie bereits für letztes Jahr avisiert worden war. Die Konsultation endet Ende April.  Zum Abschluss der Konsultation wird eine öffentliche Anhörung stattfinden.

Durchgeführt wird die Konsultation durch die Kommissare John Dalli (Gesundheit und Verbraucherschutz), Joaquin Almunia (Wettbewerb) und Viviane Reding (Justiz). Nachdem insbesondere die Kommissare für Wettbewerb und für Verbraucherschutz in der Vergangenheit mit eigenen Initiativen aktiv geworden waren, bemühen sich die Kommissare nun um einen kohärenten Ansatz. Für den Bereich des Kartellrechts waren zuvor bereits ein Grünbuch und ein Weißbuch zum Thema Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EG-Wettbewerbsrechts in den Jahren 2005 und 2008 veröffentlicht worden, die 2009 in einen Legislativvorschlag münden sollten, zu dessen Veröffentlichung es jedoch nicht kam.

Die Ergebnisse der Anhörung und der Konsultation werden anschließend von der Kommission in einer Mitteilung vorgestellt werden. Danach entscheidet jeder Kommissar, ob er aufbauend auf den gemeinsamen Rechtsprinzipien in seinem eigenen Bereich legislative Maßnahmen erlassen möchte. Die Kommission stellt dabei klar, dass sie hier keineswegs nur auf den Bereich des Verbraucher- und Wettbewerbsrechts beschränkt bleibt, sondern zum Beispiel auch über Maßnahmen im Umwelt- oder Finanzdienstleistungsbereich nachdenkt.

Die Kommission betont in ihrer begleitenden Pressemitteilung ausdrücklich, dass ihre eigene Haltung, ob sie EU-weite Regelungen zum kollektiven Rechtsschutz vorschlagen wird, noch offen sei. Für ihre Meinungsfindung wird sie die Ergebnisse der Konsultation und der Anhörung berücksichtigen und den Grundsätzen der Subsidiarität, der Verhältnismäßigkeit und der Effektivität Rechnung tragen. Gegebenenfalls wird sie auch eine Folgenabschätzung durchführen.

Kollektiver Rechtsschutz ist ein umfassendes Konzept, das sowohl Unterlassungsverfügungen als auch Schadenersatzklagen einschließt. Die kollektiven Rechtsschutzverfahren sind in Europa sehr unterschiedlich ausgestaltet: Sie umfassen Klagen vor Gericht, außergerichtliche und alternative Streitbeilegungsverfahren sowie Verbandsklagen.

Das Konsultationspapier enthält 34 Fragen. Im Folgenden folgt eine deutsche Übersetzung der nur auf Englisch erhältlichen Fragen:

Allgemeines

1) Welchen zusätzlichen Mehrwert hätte die Einführung neuer kollektiver Rechtsschutzmechanismen (Unterlassungsklage und/oder Schadensersatzklage) für die Durchsetzung des europäischen Rechts?

2) Sollte die private kollektive Rechtsdurchsetzung unabhängig, komplementär oder subsidiär zur Rechtsdurchsetzung durch öffentliche Stellen sein? Besteht Bedarf für eine Koordinierung zwischen privaten Kollektivklagen und der öffentlichen Rechtsdurchsetzung? Falls ja, wie kann diese Koordinierung durchgeführt werden? Gibt  es aus Ihrer Sicht Beispiele in den Mitgliedstaaten oder in Drittländern, die besonders lehrreich für eine mögliche EU-Initiative sind?

 3) Sollte die EU die Rolle nationaler öffentlicher Einrichtungen und/oder privater repräsentativer Organisationen bei der Durchsetzung von EU-Recht stärken? Falls ja, wie und in welchen Bereichen?

4) Welche Anforderungen sind Ihrer Ansicht nach an eine EU-Initiative zu kollektivem Rechtsschutz (Unterlassungsklage und/oder Schadensersatzklage) zu stellen, um mit den Prinzipien des EU-Rechts, z.B. Subsidiarität, Verhältnismäßigkeit und Effektivität, in Einklang zu stehen? Unterscheidet sich Ihre Antwort je nach dem Rechtsbereich, in dem die Initiative gestartet würde?

5) Würde es ausreichen, den Anwendungsbereich der bestehenden EU-Vorschriften zu kollektiven Unterlassungsklagen auf andere Bereiche auszuweiten; oder wäre es angemessen, neue Mechanismen für kollektive Schadensersatzklagen auf europäischer Ebene zu erlassen?

6) Würde eine mögliche EU Initiative einen rechtlich verbindlichen oder einen  nichtverbindlichen Ansatz (wie z.B. Best-Practices Leitlinien) erfordern? Wo sehen Sie die jeweiligen Vorteile und Risiken bei den beiden Ansätzen? Unterscheidet sich Ihre Antwort je nach dem Rechtsbereich, in dem die Initiative gestartet würde?

Allgemeine Prinzipien für mögliche künftige EU Initiativen im Bereich des kollektiven Rechtsschutzes

7) Stimmen Sie zu, dass jede mögliche EU Initiative zu kollektiven Klagemechanismen (Unterlassungsklage und/oder Schadensersatzklage) an gemeinsamen auf EU-Ebene festgelegten Rechtsprinzipien auszurichten ist? Welche Prinzipien sollten das sein? Welches Prinzip ist für Sie von besonderer Bedeutung?

8) Mehrere Mitgliedstaaten haben bereits Initiativen im Bereich des kollektiven Rechtsschutzes ergriffen. Kann die bislang durch diese Mitgliedstaaten gewonnene Erfahrung dazu beitragen, europäische Grundprinzipien aufzustellen?

9) Gibt es besondere Merkmale bei einer möglichen EU-Initiative, die Ihrer Ansicht nach notwendig sind um - unter Berücksichtigung der europäischen Rechtstradition und der Rechtsordnungen der 27 Mitgliedstaaten - effektiven Rechtszugang zu gewähren?

10) Sind Ihnen Beispiele im Hinblick auf die kollektive Rechtsdurchsetzung aus einem oder mehreren Mitgliedstaaten bekannt, die als Inspiration für die EU oder andere Mitgliedstaaten dienen könnten? Bitte erläutern Sie, warum Sie diese Beispiele als besonders positiv empfinden. Im Gegenzug, gibt es nationale Praktiken, die Probleme bereitet haben und was war/wäre der beste Weg um diese Probleme zu beseitigen?

Die Notwendigkeit einer effektiven und effizienten Rechtsdurchsetzung

11) Was sind aus Ihrer Sicht die wesentlichen Elemente für ein effizientes und effektives kollektives Klagesystem? Gibt es Besonderheiten, die beachtet werden müssen, wenn der Kollektivklagemechanismus auch KMUs offensteht?

12) Wie kann eine effektive Rechtsdurchsetzung bei gleichzeitiger Vermeidung langwieriger und teurer Verfahren erreicht werden?

Die Wichtigkeit von Informationen und die Rolle der repräsentativen Einrichtungen

13) Wie, wann und durch wen sollten die Opfer von EU-Rechtsverletzungen über die Möglichkeiten eine Kollektivklage (Unterlassungsklage und/oder Schadensersatzklage) einzubringen oder einem laufenden Rechtsverfahren beizutreten informiert werden? Was wäre der effektivste Weg um sicherzustellen, dass die größtmögliche Zahl von Opfern informiert wird, insbesondere, wenn die Opfer in verschiedenen Mitgliedstaaten beheimatet sind?

14) Wie können die Opfer am effizientesten repräsentiert werden, gerade in grenzüberschreitenden Fällen? Wie kann die Kooperation zwischen verschiedenen repräsentativen Einrichtungen erleichtert werden, gerade in grenzüberschreitenden Fällen?

Die Notwendigkeit, kollektive einverständliche Entschließungen als alternative Streitbeilegungsmechanismen (ADR) zu berücksichtigen

15) Welche anderen Anreize - abgesehen von einem rechtlichen Mechanismus - sind notwendig um die Nutzung von ADR im Falle einer Vielzahl von Ansprüchen zu fördern?

16) Sollte der Versuch, einen Rechtsstreit über kollektive einverständliche Streitbeilegungsmechanismen zu lösen, verbindliche Voraussetzung für einen gerichtlichen Schadensersatzprozess sein?

17) Wie kann am besten gewährleistet werden, dass kollektive einverständliche Streitbeilegungsmechanismen mit einem fairen Ergebnis enden? Sollten die Gerichte Fairness-Kontrollen durchführen?

18) Sollte es möglich sein, das Ergebnis eines kollektiven einverständlichen Streitbeilegungsmechanismus auch in den Fällen, die derzeit nicht von der Richtlinie 2008/52/EC über bestimmte Aspekte der Mediation in Zivil- und Handelssachen umfasst sind, für die beteiligten Parteien für rechtlich bindend zu erklären?

19) Gibt es weitere Punkte im Hinblick auf kollektive einverständliche Streitbeilegungsmechanismen die beachtet werden müssen um einen effektiven Zugang zum Recht zu gewährleisten?

Starke Sicherungsmaßnahmen gegen missbräuchliche Klagen

20) Wie können die legitimen Interessen aller Parteien in Kollektivklageverfahren (Unterlassungsklage und/oder Schadensersatzklage) angemessen geschützt werden? Welche Sicherheitsmaßnahmen in den Mitgliedstaaten oder in Drittländern empfinden Sie als besonders erfolgreich bei der Abwehr von missbräuchlichen Klagen?

21) Sollte das "Loser pays" Prinzip auf kollektive Rechtsdurchsetzungsmaßnahmen in der EU (Unterlassungsklagen und/oder Schadensersatzklagen) Anwendung finden? Gibt es Umstände, die aus Ihrer Sicht Ausnahmen von diesem Prinzip zulassen würden? Falls ja, sollten diese Ausnahmen streng durch gesetzliche Regelungen festgelegt sein oder sollten sie - aufbauend auf einer allgemeinen Rahmenvorschrift - einer Fall-zu-Fall- Betrachtung durch die Gerichte überlassen bleiben?

22) Wer sollte berechtigt sein, eine kollektive Klage einzureichen? Sollte das Recht, Kollektivklagen einzureichen, bestimmten Einrichtungen vorbehalten sein? Falls ja, welche Kriterien müssen diese Einrichtungen erfüllen? Bitte erläutern Sie, ob Ihre Antwort je nach Art des kollektiven Rechtsdurchsetzungsmechanismus und je nach Art der Opfer ( z.B. Verbraucher oder KMUs) unterschiedlich ausfällt.

23) Welche Rolle sollte der Richter in kollektiven Rechtsschutzverfahren spielen? Wenn repräsentative Einrichtungen berechtigt sind, eine Klage einzureichen, sollten diese Einrichtungen durch eine zuständige staatliche Stelle als repräsentative Einrichtung qualifiziert werden oder sollte dies einer Fall-zu-Fall-Betrachtung durch die Gerichte überlassen bleiben?

24) Welche weiteren Sicherungsmechanismen sollten in eine mögliche europäische Initiative zu kollektivem Rechtsschutz einfließen?

Angemessene Mechanismen zur Finanzierung von kollektiven Rechtsschutzmaßnahmen, insbesondere für Verbraucher und KMUs

 25) Wie kann die Finanzierung von kollektiven Rechtsdurchsetzungsmaßnahmen (Unterlassungsklage und/oder Schadensersatzklage) in angemessener Weise gewährleistet werden - insbesondere hinsichtlich der Notwendigkeit missbräuchliche Klagen zu vermeiden?

26) Sind nicht-öffentliche Finanzierungslösungen (wie die Finanzierung über private Drittmittel oder Rechtsschutzversicherungen), die eine angemessene Abwägung zwischen dem Zugang zum Recht und der Vermeidung missbräuchlicher Praktiken gewährleisten würden, akzeptabel?

 27) Sollten repräsentative Einrichtungen, die Kollektivklagen einbringen, ihre Prozesskosten, einschließlich ihrer Verwaltungskosten, beim Verlierer des Prozesses geltend machen können? Gibt es alternativ andere Möglichkeiten, die Kosten der repräsentativen Einrichtungen zu decken?

28) Gibt es weitere Punkte bei der Frage der Finanzierung kollektiver Rechtsmaßnahmen, die beachtet werden müssen um einen effektiven Zugang zum Recht zu gewährleisten?

Effektive Rechtsdurchsetzung in der EU

29) Gibt es Ihres Wissens nach Beispiele für besondere grenzüberschreitende Probleme bei der Feststellung des Gerichtsstands, der Anerkennung oder der Durchsetzung von Urteilen? Welche Konsequenzen hatten diese Probleme und welche Gegenmaßnahmen wurden angewendet?

30) Werden besondere Regelungen zum Gerichtsstand, zur Anerkennung und Durchsetzung von Urteilen und/oder zum anwendbaren Recht im Hinblick auf die kollektive Rechtsdurchsetzung benötigt, um eine effektive Rechtsdurchsetzung europäischen Rechts in der gesamten EU zu gewährleisten?

31) Sehen Sie einen Bedarf für weitere Sondervorschriften für die kollektive Rechtsdurchsetzung in grenzüberschreitenden Fällen, zum Beispiel für kollektive einverständliche Streitbeilegungsmechanismen oder für Verletzungen des EU-Rechts durch Online-Anbieter für Waren und Dienstleistungen?

Mögliche weitere Prinzipien

32) Gibt es weitere gemeinsame Rechtsprinzipien, die durch die EU festgesetzt werden sollten?

Anwendungsbereich einer kohärenten europäischen Strategie für kollektiven Rechtsschutz

33) Sollte die Arbeit der Kommission an kollektiven Schadensersatzklagen auf weitere Bereiche des europäischen Rechts - außer Wettbewerb und Verbraucherschutz - ausgedehnt werden? Wenn ja, auf welche Bereiche ? Gibt es in den jeweiligen Bereichen Besonderheiten, die beachtet werden müssen?

34) Sollte eine mögliche EU Initiative zu kollektivem Rechtsschutz von allgemeiner Natur sein oder wäre es angebrachter, spezifische Maßnahmen in einzelnen Politikfeldern vorzusehen?