30.09.2011

EU-Kommission legt Entwürfe zur Überarbeitung der EU-Beihilfevorschriften für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse vor

Die EU-Kommission hat am 16. September 2011 ihre Entwürfe zur Überarbeitung der EU‑Beihilfevorschriften für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (DAWI) vorgelegt. Diese Vorschriften sind auch als „Altmark-Paket“ von 2005 bekannt und gehen auf das Gerichtsurteil des Europäischen Gerichtshofs in der Sache „Altmark“ aus dem Jahr 2003 zurück. Der Europäische Gerichtshof hatte in diesem Urteil bestätigt, dass Mittel, die ein Mitgliedstaat einem Unternehmen für die Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse gewährt, staatliche Beihilfen darstellen, sofern sie nicht strikt auf den Betrag begrenzt sind, der als Ausgleich für die gemeinwirtschaftliche Verpflichtung notwendig ist. Das Altmark-Paket gilt für eine breite Palette an Wirtschaftszweigen, von denen einige jedoch spezifischen Vorschriften unterliegen, die im Kontext der Marktregulierung angenommen wurden.

 

Die neuen Entwürfe umfassen

 

1)       eine Mitteilung über die Anwendung der Beihilfevorschriften der Europäischen Union auf Ausgleichsleistungen für die Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse,

2)       einen EU-Rahmen für staatliche Beihilfen in Form von Ausgleichsleistungen für die Erbringung öffentlicher Dienstleistungen,

3)       eine Verordnung über die Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf De-minimis-Beihilfen an Unternehmen, die Dienstleistungen,

4)       einen Beschluss über die Anwendung von Artikel 106 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf staatliche Beihilfen in Form von Ausgleichsleistungen zugunsten bestimmter Unternehmen, die mit der Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind.

 

In ihrer Mitteilung vom 23. März 2011 hatte die EU-Kommission bereits angekündigt, dass die Überarbeitung der Beihilfevorschriften auf den folgenden Grundsätzen basieren sollte:

 

         Mehr Klarheit bei einer Reihe von Schlüsselkonzepten, die sich z. B. auf die im Vertrag von Lissabon sowie in der Rechtsprechung des Gerichthofs vorgenommene Unterscheidung zwischen wirtschaftlichen und nichtwirtschaftlichen Tätigkeiten oder die Grenzen beziehen, die für die Mitgliedstaaten bei der Einstufung einer Tätigkeit als Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse bestehen.

 

         Ein diversifizierterer und verhältnismäßigerer Ansatz bei der Behandlung der verschiedenen Arten von öffentlichen Dienstleistungen. Ein Element dieser Strategie könnte es sein, die Anwendung der Vorschriften für bestimmte Arten lokaler Dienste kleineren Umfangs, die nur geringe Auswirkungen auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten haben, sowie der Vorschriften für bestimmte soziale Dienste zu vereinfachen.

 

         Bei groß angelegten kommerziellen Tätigkeiten, wie denen netzgebundener Wirtschaftszweige mit eindeutig EU-weiter Dimension, sollte ein stärkerer Zusammenhang zwischen den Kosten sowie der Effizienz und Qualität der Dienstleistungen geschaffen werden. Die derzeitigen Vorschriften berücksichtigten – so die EU-Kommission - nicht, in welchem Verhältnis die Kosten, die bei den Erbringern von Leistungen der so genannten Daseinsvorsorge anfallen, zu denen eines gut geführten Unternehmens stünden, was zu Funktionsstörungen auf den Märkten führen und letztlich die Qualität und effiziente Erbringung der Dienstleistungen beeinträchtigen könnte. Die EU-Kommission will insbesondere sicherstellen, dass öffentliche Mittel, die für die Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (DAWI) gewährt werden, den Wettbewerb und Handel nicht in einem Maße beeinträchtigen, das dem EU-Interesse zuwiderläuft.

 

Wesentliche Neuerungen (Aktuelle Entwürfe):

 

Wie im März antizipiert schlägt die EU-Kommission in den Entwürfen einen diversifizierten Ansatz bei der Behandlung verschiedener Arten von DAWI vor. Es werden weitgehende Ausnahmeregelungen für soziale Dienstleistungen sowie lokale Dienstleistungen kleineren Umfangs vorgeschlagen. Bei den übrigen DAWI setzt die EU-Kommission durch die Prüfung von Effizienzanreizen einen neuen Fokus.

Entwurf zu 1):

In der Mitteilung werden die Schlüsselkonzepte aufgeführt, die der Anwendung der Beihilfevorschriften auf Ausgleichsleistungen für die Erbringung öffentlicher Dienstleistungen zugrunde liegen. Die Mitteilung enthält zudem Erläuterungen zum Begriff der DAWI, zum Betrauungsakt, zur Berechnung der Ausgleichsparameter und einer möglichen Überkompensation sowie zur Auswahl des Dienstleistungserbringers. Der große Ermessungsspielraum der Mitgliedstaaten bei der Definition der öffentlichen Dienstleistungen wird anerkannt. Weiter werden Ausführungen zum Begriff des Unternehmens und zur Abgrenzung zwischen wirtschaftlicher und nicht-wirtschaftlicher Tätigkeit gemacht.

 

Ziff. 11 lautet: Ob für eine bestimmte Dienstleistung ein Markt existiert, hängt davon ab, wie eine bestimmte Dienstleistung von der zuständigen Behörde organisiert wird. Die EU-Beihilfevorschriften finden nur dann Anwendung, wenn die betreffende Tätigkeit in einem Marktumfeld ausgeübt wird. Die wirtschaftliche Natur einer Dienstleistung kann sich daher von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterscheiden. Des Weiteren kann sich die Einstufung einer bestimmten Dienstleistung aufgrund politischer Entscheidungen oder wirtschaftlicher Entwicklungen ändern. Dienstleistungen, die heute keine Markttätigkeit darstellen, könnten sich dazu entwickeln und umgekehrt.

 

Trotz der Bemühungen einer Abgrenzung in bestimmten Bereichen (Ausübung öffentlicher Befugnisse, Soziale Sicherheit, Gesundheitsfürsorge, Bildungswesen) sei die Aufstellung einer umfassenden Liste aller nicht-wirtschaftlichen Tätigkeiten jedoch nach Aussage der EU-Kommission nicht möglich (Ziff. 13).

 

Entwurf zu 2):

 

Der EU-Rahmen, der den bislang geltenden Gemeinschaftsrahmen (2005/C

297/04) ersetzt, legt fest, unter welchen Voraussetzungen Beihilfen, die für eine „echte und genau abgesteckte Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse“ gewährt werden, mit Artikel 106 Absatz 2 AEUV vereinbar sind.

 

Zur Höhe der Ausgleichsleistung: Sie darf nicht über das hinausgehen, was erforderlich

ist, um die Nettokosten für die Erfüllung der Verpflichtungen zur Erbringung von öffentlichen Dienstleistungen einschließlich eines angemessenen

Gewinns zu decken. Die Berechnung der Höhe der Ausgleichsleistungen kann entweder

auf der Grundlage der erwarteten Kosten und Einnahmen, der tatsächlich angefallenen Kosten und erzielten Einnahmen oder einer Kombination aus beiden Modellen festgelegt werden. Die EU Kommission lässt damit einen ex ante- und einen ex post-Ansatz zu.

 

Effizienzanreize: Die Mitgliedstaaten müssen bei der Ausarbeitung des Modells für die zu leistenden Ausgleichszahlungen Anreize vorsehen, damit in effizienter Weise hochwertige DAWI erbracht werden. Hierfür kann eine pauschale Ausgleichshöhe festgelegt werden, die die Effizienzgewinne, die das Unternehmen während der Dauer der Betrauung erzielen dürfte, antizipiert und berücksichtigt. Die Prüfung einer etwaigen Überkompensation beschränkt sich darauf, ob die Gewinnhöhe, die nach dem Betrauungsakt erzielt werden darf, nachträglich angemessen erscheint. Alternativ können die Mitgliedstaaten im Betrauungsakt konkrete Ziele für Produktivitätseffizienz festlegen und die Ausgleichshöhe davon abhängig machen, inwieweit diese Ziele erreicht wurden. Wurden diese Ziele nicht erreicht, werden die Ausgleichsleistungen gekürzt. Werden hingegen bessere Ergebnisse erzielt, können die Ausgleichsleistungen erhöht werden. Überschüsse können dann als zusätzlicher angemessener Gewinn einbehalten werden.

 

Entwurf zu 3):

Die neue Verordnung stellt damit eine Sonderregelung zu der bestehenden De-minimis-erordnung (EG) Nr. 1998/2006 dar. In ihr werden die Voraussetzungen normiert, unter denen eine erweiterte De-minimis Regelung greifen kann. Von der Notifizierungspflicht sind demnach lokale Behörden befreit, die eine Bevölkerung von weniger als 10.000 Einwohnern vertreten. Der Jahresumsatz des Unternehmens, dem die Beihilfe gewährt wird, darf in den beiden letzten Geschäftsjahren 5 Mio. Euro nicht überschreiten. Zudem darf der Gesamtbetrag, den das begünstigte Unternehmen als Ausgleichszahlung erhält, 150.000 Euro je Steuerjahr nicht überschreiten.

 

Entwurf zu 4: 

 

Der Beschluss enthält die Voraussetzungen, unter denen staatliche Beihilfen in Form von Ausgleichszahlung für die Erbringung von DAWI von der Anmeldepflicht nach Artikel 108 Absatz 3 AEUV befreit und mit Artikel 106 Absatz 2 AEUV vereinbar sind. Er ersetzt die bisherige Freistellungsentscheidung (2005/842/EG). 

 

Die Ausnahmemöglichkeiten von der Notifizierungspflicht sollen künftig, insbesondere im Bereich der sozialen Dienstleistungen, erweitert werden. Neben Krankenhäusern und dem sozialen Wohnungsbau werden künftig auch Ausgleichsleistungen für die Erbringung von Dienstleistungen zur Deckung des wesentlichen sozialen Bedarfs im Hinblick auf Gesundheitsdienste, Kinderbetreuung, den Zugang zum Arbeitsmarkt sowie die Betreuung und soziale Einbindung schwächerer Bevölkerungsgruppen von der Freistellung umfasst.

 

Andererseits will die Kommission für alle anderen Dienstleistungen die bisherige Anmeldeschwelle von jährlich 30 Mio. Euro als Ausgleichszahlung auf jährlich 15 Mio. Euro absenken. Ausgleichszahlungen, die 15 Mio. Euro jährlich übersteigen, sollen damit nicht mehr in den Anwendungsbereich des Beschlusses fallen und müssten bei der Europäischen Kommission angemeldet werden.

 

Ausgleichszahlungen für Flughäfen sollen nur noch erfasst werden, wenn das jährliche Verkehrsaufkommen während der beiden vorangegangenen Finanzjahre 200.000 Passagiere nicht überstiegen hat (bislang: 1 Million).

 

Betrauungsakte mit längerer Dauer als 10 Jahre sollen nur dann unter den Beschluss fallen, wenn eine erhebliche Investition seitens des Dienstleistungserbringers erforderlich ist, die über den gesamten Zeitraum der Betrauung abgeschrieben werden muss. Der Beschluss findet auch keine Anwendung auf staatliche Beihilfen, die als Ausgleich für die Erbringung öffentlicher Dienstleistungen im Bereich des Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffsverkehrs gewährt werden.

 

Nächste Schritte: 

Die EU-Kommission wird Anfang 2012 nach Abschluss der Konsultation das endgültige überarbeitete „Altmark-Paket“ vorstellen. Die Konsultation endet am 16. Oktober 2011.