23.12.2011
BGH-Urteil zu Schadenersatzansprüchen bei Kartellverstößen (Passing-On-Defence) mit Urteilsgründen veröffentlicht
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https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&nr=56712&linked=urt&Blank=1&file=dokument.pdf |
Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte bereits in einem grundlegenden Urteil vom 28. Juni 2011 (- KZR 75/10 - ) entschieden, dass nicht nur die unmittelbaren Kunden der Kartellteilnehmer Schadensersatz wegen Kartellrechtsverstößen verlangen können, sondern auch die in der Absatzkette folgenden Abnehmer. In dem BGH-Fall ging es um ein Preiskartell der Hersteller von Selbstdurchschreibepapier (Orwi AKA SD-Papier). Nach der Veröffentlichung der Pressemitteilung im Juni, liegen nun die ausführlichen Urteilsgründe vor.
Die Urteilsgründe stützen sich im Wesentlichen auf folgende Aussagen:
1) Indirekte Abnehmer sind klageberechtigt
- Auch indirekte Abnehmer können Schadensersatz wegen eines Kartellverstoßes verlangen, wenn ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Kartell und dem ihnen entstandenen Vermögensnachteil besteht.
- Allerdings könne - so der BGH - die Ursächlichkeit einer kartellbedingten Preisüberhöhung für eine nachfolgende Preiserhöhung des Direktabnehmers nicht vermutet werden. Der Kläger (Geschädigte) muss die Umstände darlegen, bei deren Vorliegen davon ausgegangen werden kann, dass die Preiserhöhung gegenüber seinem indirekten Abnehmer Folge der Kartellabsprache war.
- Der BGH trägt damit dem Umstand Rechnung, dass die nachteiligen Folgen eines Preiskartells sich nicht notwendigerweise bei den unmittelbaren Abnehmern der Kartellanten realisieren, sondern - weil diese die Preiserhöhungen weitergeben können - oft auf nachfolgende Marktstufen verlagert werden. Nach dem Sinn und Zweck des Kartell- und Schadensersatzrechts sei es aber geboten, dass auch diejenigen Marktteilnehmer ihren Schaden ersetzt erhalten, auf deren Kosten ein kartellrechtlich verbotenes Verhalten letztlich praktiziert wird.
2) Zulassung der Passing-On-Defence
- Kartellbeteiligte dürfen gegen den Schadenersatzanspruch den Einwand erheben, dass der gegen den Kartellbeteiligten vorgehende Abnehmer die kartellbedingte Preiserhöhung an seine eigenen Kunden weitergegeben habe (Passing-On-Defence). Der Kartellteilnehmer ist also grundsätzlich berechtigt, dem Schadensersatz verlangenden Abnehmer entgegenzuhalten, dass dieser die von ihm gezahlten kartellbedingt überhöhten Preise an seine eigenen Kunden weitergegeben und deswegen letztlich keinen Schaden mehr hat.
- Dadurch werde vermieden, dass ein Kartellbeteiligter mehrfach für ein und denselben Schaden einzustehen habe. Spiegelbildlich werde vermieden, dass der direkte Abnehmer, der womöglich wirtschaftlich keinen Schaden erlitten hat, ungerechtfertigt bereichert ist.
- Der Schadenseinwand folge - so der BGH - den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung. Die Darlegungs- und Beweislast für die Abwälzung des kartellbedingten Preisaufschlags liegt damit beim Kartellbeteiligten (Beklagten). Außerdem müsse der Kartellbeteiligte darlegen, dass der Weiterwälzung der Preiserhöhung keine Nachteile des klagenden Abnehmers gegenüberstehen, wie insbesondere ein Nachfragerückgang.
- Der Gesetzgeber - so der BGH - habe sich bei der 7. GWB-Novelle auch nicht grundsätzlich gegen eine Vorteilsausgleichung entschieden habe. Die Frage sei bewusst der Rechtsprechung überlassen worden. § 33 Abs. 3 Satz 2 GWB stelle lediglich klar, „dass bei Bezug einer Ware oder Dienstleistung zu einem (kartellbedingt) überteuerten Preis ein Schaden nicht schon deshalb ausscheidet, weil die Ware oder Dienstleistung weiterveräußert wurde." Damit sei keine Aussage darüber verbunden, ob der Schaden aufgrund späterer Entwicklungen gemindert oder ausgeschlossen werden könne.
- Nur in Ausnahmefällen komme eine sekundäre Darlegungs- und Beweislast des Klägers in Betracht: Je höher die vom Kartellteilnehmer darzulegende Wahrscheinlichkeit der Weiterwälzung des Schadens und je größer seine Beweisnot sei, desto eher könne dem Geschädigten eine gewisse Mitwirkung an der Aufklärung der insoweit maßgeblichen tatsächlichen Umstände zugemutet werden; diese zum Beispiel nur, wenn der Kläger nicht seine aktuelle Geschäftspolitik offenbaren, sondern nur „historische" Geschäftsinformationen offenlegen müsste.