10.03.2011

Almunia (EU-Kommission): “ Taking stock and looking forward: a year at the helm of EU competition” (Rede)

Der Vizepräsident der EU-Kommission und amtierende Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia sprach am 11. Februar 2011 bei der Revue Concurrence-Konferenz „New Frontiers of Antitrust 2011" in Paris über seine Erfahrungen in der Wettbewerbspolitik seit seinem Amtsantritt vor einem Jahr (" Taking stock and looking forward: a year at the helm of EU competition").

Almunia sieht sich in seiner Auffassung bestätigt, dass es dem Wettbewerb und seiner Durchsetzung zu verdanken ist, dass Europa die Finanz- und Wirtschaftskrise gut überstanden hat.

Der Kartellbekämpfung kommt in den Augen Almunias nach wie vor eine große Bedeutung zu, der er eine hohe Priorität einräume. Kartelle erhöhten oft künstlich die Preise für Unternehmen, da sie oft Zwischenprodukte beträfen. Die Leidtragenden wären oft kleine und mittlere Unternehmen und - direkt oder indirekt - die Verbraucher.

Kartelle passten aber auch nicht ins Bild, wenn es darum geht, die Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Standorts in der Welt zu vergrößern und das Wachstums- und Beschäftigungspotential auszuschöpfen, denn dazu gehöre ein gesundes und unverzerrtes Wettbewerbsumfeld.

Almunia stellt dabei klar, dass auch wirtschaftliche Krisensituationen keinen anderen Ansatz rechtfertigten. Allerdings berücksichtige die Kommission bei finanziellen Engpässen bei der Bebußung von Unternehmen auch eine Zahlungsunfähigkeit („inability to pay"). Im letzten Jahr seien aufgrund einer solchen Prüfung bei zehn Unternehmen Reduzierungen des Bußgelds vorgenommen worden.

Zu Vergleichsverfahren („Settlements"): In 2010 seien zwei Vergleiche zustande gekommen (Tierfutterkartellverfahren und Kartellverfahren gegen DRAM-Hersteller), die erhebliche Zeit und Kosten gespart hätten. Derzeit würden weitere Vergleiche diskutiert; dies zeige - so Almunia - das das kürzlich eingeführte Vergleichsverfahren eine „praktische Option" geworden sie, Kartellverfahren zum Abschluss zu bringen.

Almunia gab auch Auskunft über den Stand anderer Verfahren aus dem Bereich des Marktmissbrauchs und wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen (Oneworld-fall, Joint Venture zwischen den Eisenerzherstellern BHP Billiton und Rio Tinto, ENI im Energiesektor) sowie zum digitalen Sektor (Google-Verfahren). Im Rahmen der Fusionskontrolle gab Almunia an, im Jahr 2010 die meisten Zusammenschlussvorhaben gebilligt zu haben. Abhilfemaßnahmen (und Untersagungen) würden nur in Betracht kommen, wenn ein Zusammenschluss ernsthaft den Wettbewerb behindern und die Verbraucher schädigen würde. Im Übrigen sei die Europäsche Fusionskontrolle „objektiv, schnell und verhältnismäßig" und gut geeignet, Wettbewerbsprobleme im Wege der Prävention zu verhindern.

Ausblick:

Almunia sieht eine wichtige Aufgabe darin, eine größtmögliche Konvergenz der Wettbewerbspolitik der verschiedenen Wettbewerbsbehörden anzustreben. Protektionismus müsse dabei (auch mit den Mitteln der Handelspolitik) bekämpft werden.

Als Hauptfelder der europäischen Wettbewerbspolitik werden von Almunia identifiziert: Zum einen die Erweiterung und Vollendung des Binnenmarktes; dabei müsse auch die Kontrollintensität über marktbeherrschende Unternehmen verstärkt werden. Zum anderen müsse der Schutz von Verbrauchern und KMU noch weiter verstärkt werden. Im Beihilfenrecht müsste die Überarbeitung der Rettungs- und Umstrukturierungsleitlinien den Erkenntnissen folgen, die im Zuge der Wirtschafts- und Finanzkrise gewonnen worden wären.

Als Ergebnis der wirtschaftlichen Engpässe müssten die Mitgliedstaaten auch ihre Konzepte im Bereich der Daseinsvorsorge überdenken. Die wirtschaftlichen Engpässe der letzten Zeit hätten gezeigt, dass die Mitgliedstaaten ihre Ressourcen noch effizienter nutzen müssten, um sich auf diejenigen Leistungen der Daseinsvorsorge zu konzentrieren, die den Bürgern direkte Vorteile bieten würden, wie z.B. das Transportwesen, die Postdienste und der Energiesektor. Almunia werde daher eine Debatte über eine Reform der Beihilferegelungen anstoßen, die die Finanzierung von Dienstleistungen im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse regeln. Er könne sich vorstellen, die Beihilferegeln zu vereinfachen und die Kontrollintensität des Beihilfenrechts von der Art der Dienstleistung abhängig zu machen.

Almunia nennt abschließend noch zwei weitere Bereiche, derer sich die Kommission annehmen wird: Die Verbesserung der kommissionsinternen Abläufe und Verfahren (best practices) und die Weiterentwicklung der Privaten Rechtsdurchsetzung (Private enforcement) durch kollektiven Rechtsschutz.