11.10.2010

Stellungnahme des Bundeskartellamts zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes

Am 27. September 2010 hat das Bundeskartellamt zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der gesetzlichen Krankenversicherung (AMNOG) gegenüber dem Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestags anlässlich einer Anhörung des Ausschusses am 29.September 2010 Stellung bezogen.

Zum Hintergrund:

Die Bundesregierung strebt mit einer Neuordnung des Arzneimittelmarktes jährliche Einsparungen bei den gesetzlichen Krankenkassen in Milliardenhöhe an. Wie aus dem Gesetzesentwurf hervorgeht, soll die pharmazeutische Industrie künftig den Nutzen neuer Arzneimittel nachweisen und den Preis, den sie dafür von den Kassen erstattet bekommt, mit diesen aushandeln. Auch soll das Kartellrecht auf gesetzliche Krankenkassen Anwendung finden. Nach derzeitiger Rechtslage müssen sich gesetzliche Krankenkassen beim Abschluss  von freiwilligen Einzelverträgen mit pharmazeutischen Unternehmen lediglich am kartellrechtlichen Missbrauchs-, Diskriminierungs- und Boykottverbot (§§ 19 bis 21 GWB) messen lassen. Keine Anwendung auf Krankenkassen findet jedoch das Kartellverbot (§ 1 GWB). Auch sind für kartellrechtliche Streitigkeiten mit Krankenkassen nach wie vor die Sozialgerichte zuständig; bei vergaberechtlichen Streitigkeiten gibt es seit Anfang 2009 einen gespaltenen Rechtsweg mit Vergabekammern als erster Instanz und  Landessozialgerichten als Beschwerdeinstanz. Nach dem Regierungsentwurf für ein Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der gesetzlichen Krankenversicherung (AMNOG) sind Änderungen des § 69 SGB V sowie des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und des GWB vorgesehen sind. Hiernach sollen sich gesetzliche Krankenkassen künftig bei freiwilligen Einzelverträgen mit pharmazeutischen Unternehmen auch an §§ 1 bis 3 GWB messen lassen. Ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs wird damit anerkannt, dass Krankenkassen im Verhältnis zu den Leistungserbringern über eine erhebliche Marktmacht verfügen. Zudem sollen  kartellrechtliche Streitigkeiten in diesen Bereichen in die Zuständigkeit der Kartellbehörden und der Zivilgerichte fallen.

Position des Bundeskartellamts:

Das Bundeskartellamt befürwortet in seiner Stellungnahme den Gesetzesentwurf, insbesondere die Geltung des Kartellverbots. Die Geltung der Missbrauchskontrolle allein reiche für die Vertragsbeziehungen zwischen den Krankenkassen und ihren  Leistungserbringern nicht aus, um den Wettbewerb im Gesundheitssystem zu stärken. Nach Ansicht des Kartellamts können „effiziente und flexible Strukturen [...] dauerhaft nur durch wettbewerbliche Strukturen geschaffen und erhalten werden".

Das Bundeskartellamt betont, dass das Gesetz nach wie vor Kooperationen auf der Seite der gesetzlichen Kassen und der Seite der Leistungserbringer zulassen würde, die einer besseren Funktionsfähigkeit des Gesamtsystems dienten, ohne Preis- und Qualitätswettbewerb auszuschließen; allerdings müssten Kooperationen mit einer sehr großen Abdeckung der Angebots- oder Nachfrageseite auf ihre Freistellbarkeit vom Kartellverbot hin geprüft werden. Es sei dabei zu berücksichtigen, dass eine wettbewerbsschädliche Nachfragemacht der gesetzlichen Krankenkassen dazu führen könne, dass viele kleinere Hersteller zum Marktaustritt gezwungen würden, wenn sie mit bestimmten Produkten vom Markt ausgeschlossen werden. Dies könnte die Tendenz zur Oligopolbildung, beispielsweise bei den Generikaherstellern, verstärken und mittelfristig dazu führen, dass der Anbieterwettbewerb abnähme und die Preise stiegen. Ein Abnehmen der Zahl der Anbieter im Markt hätte wiederum negative Auswirkungen auf den Preiswettbewerb und andere Wettbewerbsparameter. Aber auch auf der Angebotsseite könne es zu wettbewerbsschädli-chen Kooperationen zu Lasten der Krankenkassen oder ihrer Mitglieder kommen.

Das System der Rabattverträge stellt das Kartellamt indes nicht in Frage. Auch vertritt es die Ansicht, dass die Anwendung des GWB auf den Gesundheitssektor europarechtskonform sei und sich das Kartellrecht auch mit den sozialrechtlichen Grundsätzen vereinbaren ließe.