18.08.2010

Kurzbericht über das Bonner Kolloquium 2010

FIW
Bonner Kolloquium

Vor dem Hintergrund der jüngsten Entwicklungen im Kartellordnungswidrigkeitenrecht hatten sich die Referenten des diesjährigen Bonner Kolloquiums des FIW, das am 13. Juli im Hotel Bristol Bonn stattfand, den aufgetretenen Anwendungs- und Auslegungsfragen gewidmet, die sich für die tägliche Praxis ergeben und von grundsätzlicher Bedeutung sind.

Bereits in seiner Einleitung machte der Vorstandsvorsitzende des FIW, Dr. Gernot Schaefer,  deutlich, dass es zwar richtig sei, Kartellverstöße zu sanktionieren,  jedoch sollten die Sanktionen - gerade in Zeiten der Wirtschaftskrise - nach den grundlegenden rechtsstaatlichen Prinzipien der Verhältnismäßigkeit und Einzelfallgerechtigkeit bemessen werden.

Die sich daran anschließenden Statements der Referenten

beleuchteten die Probleme jeweils aus Ihrer Sicht.

Hassemer betonte, dass durch die Bußgeldpraxis mittlerweile die Orientierungsfunktion des Gesetzes verloren gegangen sei. Sie sei durch § 81 GWB nicht mehr gewährleistet. Das liege auch daran, dass sich das Wirtschaftsordnungswidrigkeitenrecht weit auf den Sanktionscharakter des Strafrechts zu bewegt habe. Der Rechtsstaat zeichne sich aber gerade dadurch aus, dass Zufälle und Überraschungen Ausnahme und nicht Regel seien. „Richterrecht“ erzeuge keine Bestimmtheit. Die „Obergrenze“ der Kartellbußen berühre auch die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes. § 81 Abs. 2 GWB werde dem Bestimmtheitsgebot von Art. 103 Abs. 2 GG nicht (mehr) gerecht und sei verfassungswidrig. Die sog. Bonus-Regelung folge eher den Mechanismen des „Russischen Roulette“. Außerdem verlasse sie das strafrechtliche Gebot der Nicht-Selbst-Belastung. Er – Hassemer – beobachte auch eine Abkehr von verfassungsrechtlichen Prinzipien in der Bußgeldpraxis. Er sehe die Unantastbarkeit der „Objektformel“ des Art. 1 GG tangiert. Ein ausführliches Gutachten von Hassemer zu den von ihm umrissenen Fragen ist mittlerweile bei NOMOS erschienen.

Ähnliches befand Achenbach: § 81 Abs. 2 GWB verwische die Merkmale der Kappungs- bzw. der absoluten Obergrenze bei der Bemessung der Geldbuße. Die behördliche Praxis missachte auch das verfassungsrechtlich abgesicherte Verbot der Doppelbelastung des Betroffenen, etwa bei der Besteuerung von Kartellbußen.

Ost erkannte ein offensichtliches „Unbehagen“ mit dem bestehenden Kartellordnungswidrigkeitensystem, wies aber einleitend darauf hin, dass das BKartA nach wie vor von dem Grundsatz auszugehen habe, juristische Personen des Privatrechts könnten sich nicht auf Grundrechte, die die „Menschenwürde“ beträfen, berufen. Er gehe nach wie vor vom funktionalen Unternehmensbegriff aus. Dem hatte Hassemer zuvor ausdrücklich widersprochen. Die den Vortrag von Ost begleitenden ausführlichen Vortragsfolien sind hier einsehbar.

Mühlhoff schilderte den Themenkomplex aus Sicht des staatsanwaltschaftlichen Ermittlers. Seine Vortragsfolien sind hier abrufbar.

Die angesprochenen europarechtlichen, verfassungsrechtlichen, strafprozessualen und kartellrechtlichen Fragestellungen sorgten anschließend für eine überaus engagierte Diskussion, die von Dr. Peter Spitze, Deutsche Bank AG und Mitglied des FIW-Vorstandes; sowie Niels Lau, FIW-Geschäfsführer, geleitet wurde.