16.09.2010
EuGH-Urteil in Sachen Akzo Nobel: Anwaltsgeheimnis gilt nicht für Syndikusanwälte
EU
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https://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2010-09/cp100090de.pdf
https://curia.europa.eu/jurisp/cgi-bin/form.pl?lang=DE&Submit=rechercher&numaff=C-550/07 |
Am 14. September 2010 verkündete der Europäische Gerichtshof in der Rechtssache C-550/07 P Akzo Nobel Chemicals Ltd u.a. vs. Europäische Kommission sein Urteil. Im Ergebnis wies der Gerichtshof das von Akzo Nobel und Akcros eingelegte Rechtsmittel zurück und urteilte er, dass damit das Anwaltsgeheimnis nicht für Syndikusanwälte gelte. Genauer ausgedrückt stellte er fest, dass im Bereich des Wettbewerbsrechts der unternehmensinterne Schriftwechsel mit einem Syndikusanwalt nicht durch die Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Mandant und Rechtsanwalt geschützt sei.
Im Mittelpunkt des Rechtstreits zwischen den Firmen Akzo Nobel Chemicals und Akcros Chemicals und der EU-Kommission stand der Umfang des Anwaltsgeheimnisses. Die EU-Kommission hatte im Zuge eines Ermittlungsverfahrens wegen eines Kartells die Geschäftsräume der Firmen Akzo und Akcros durchsucht und dabei Dokumente beschlagnahmt. Bei den beschlagnahmten Dokumenten handelte es sich unter anderem um Kopien von E-Mails zwischen dem leitenden Geschäftsführer von Akcros und einem Mitarbeiter der konzerneigenen Rechtsabteilung von Akzo angefertigt. Der Syndikusanwalt war gleichzeitig als Rechtsanwalt in den Niederlanden zugelassen.
Gegen die Ablehnung der Zusicherung der Vertraulichkeit durch die EU-Kommission hatten Akzo u.a. Klage erhoben. Das Gericht (erster Instanz) hatte die Klage im Jahr 2007 zurückgewiesen. Hiergegen hatten die Klägerinnen Rechtsmittel eingelegt. Gegenstand dieses Rechtsmittels war allein die Frage, ob die beiden zwischen dem Syndikusanwalt und dem leitenden Geschäftsführer von Akcros ausgetauschten E‑Mails dem Schutz des Anwaltsgeheimnisses unterfielen oder nicht.
Wenig überraschend folgte der Gerichtshof mit seiner Entscheidung nun den Schlussanträgen der Generalanwältin Kokott, die diese am 29. April 2010 vorgelegt hatte. Kokott hatte dem EuGH empfohlen, die unternehmensinterne Kommunikation mit hausinternen Juristen nicht dem Anwaltsgeheimnis oder Anwaltsprivileg (legal privilege) zu unterstellen. Das Anwaltsprivileg sollt nur externen Anwälten zugute kommen.
Die tragenden Gründe des EuGH-Urteils belaufen sich auf Folgende:
- Der Umfang des Vertraulichkeitsschutzes (Anwaltsgeheimnis) im Hinblick auf die unternehmensinterne Kommunikation mit einem Syndikusanwalt hängt von zwei Voraussetzungen ab. Zum einen müsse der Schriftwechsel mit dem Rechtsanwalt mit der Ausübung des „Rechts des Mandanten auf Verteidigung" in Zusammenhang stehen und zum anderen müsse es sich um einen Schriftwechsel handeln, der von „unabhängigen Rechtsanwälten" ausgeht, d. h. von „Anwälten ..., die nicht durch einen Dienstvertrag an den Mandanten gebunden sind" (EuGH beruft sich auf Urteil in AM & S Europe/Kommission). Die Forderung der Unabhängigkeit hinge mit der Funktion des Rechtsanwalts als Mitgestalter der Rechtspflege zusammen.
- Daraus folge: Das Erfordernis der Unabhängigkeit setze voraus, dass zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Mandanten kein Beschäftigungsverhältnis bestehe. Dies sei bei einem Syndikusanwalt nicht gegeben, weshalb sich das Anwaltsprivileg nicht auf den unternehmens- oder konzerninternen Schriftwechsel mit Syndikusanwälten erstrecke (Ziffer 44 des Urteils). Der EuGH folgt hier der Generalanwältin Kokott insoweit, als der Begriff der Unabhängigkeit des Rechtsanwalts nicht nur positiv, d. h. durch eine Bezugnahme auf die standesrechtlichen Bindungen, sondern auch negativ, d. h. durch das Fehlen eines Dienst- bzw. Beschäftigungsverhältnisses, bestimmt werde.
- Trotz seiner Zulassung als Rechtsanwalt und der ihm auferlegten standesrechtlichen Bindungen genieße der Syndikusanwalt nicht denselben Grad an Unabhängigkeit von seinem Arbeitgeber wie der in einer externen Anwaltskanzlei tätige Rechtsanwalt gegenüber seinem Mandanten.
- Der EuGH behauptet weiter, dass der Syndikusanwalt etwaige Spannungen zwischen seinen Berufspflichten und den Zielen seines Mandanten weniger leicht ausräumen könne als ein externer Anwalt (Ziffer 45 des Urteils). Die Situation eines abhängig Beschäftigten lasse es naturgemäß nicht zu, dass der Syndikusanwalt von seinem Arbeitgeber verfolgte Geschäftsstrategien außer Acht ließe, wodurch seine Fähigkeit, in beruflicher Unabhängigkeit zu handeln, in Frage gestellt würde (Ziffer 47 des Urteils).
- Auch könnte die Erfüllung anderer Aufgaben, zu denen der Syndikusanwalt verpflichtet sei (z.B. Koordinator für das Wettbewerbsrecht), gegen die Annahme einer Unabhängigkeit stehen, da durch solche Aufgaben die engen Bindungen des Rechtsanwalts an seinen Arbeitgeber nur verstärkt würden (Ziffer 48 des Urteils).
- Sowohl die wirtschaftliche Abhängigkeit als auch die engen Bindungen an seinen Arbeitgeber sprächen weiter gegen eine berufliche Unabhängigkeit, die der eines externen Rechtsanwalts vergleichbar wäre (Ziffer 49 des Urteils).
- Auch verstoße diese Auslegung nicht gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung, da sich die Position des Syndikusanwalts von derjenigen eines externen Rechtsanwalts grundlegend unterscheide.
- Auch wiesen die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten keine überwiegende Tendenz zugunsten des Schutzes der Vertraulichkeit der unternehmens- oder konzerninternen Kommunikation mit Syndikusanwälten aus. Eine Weiterentwicklung der Rechtsprechung komme daher zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht in Betracht.