27.12.2010

EU-Kommission legt überarbeitete Gruppenfreistellungsverordnungen und Leitlinien über horizontale Kooperationen vor

Am 14. Dezember hat die EU-Kommission die überarbeiteten Gruppenfreistellungsverordnungen und die zugehörigen Leitlinien für die Prüfung von Kooperationsvereinbarungen zwischen Wettbewerbern vorgelegt. Es handelt sich dabei um die Verordnung über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 AEUV auf Gruppen von Spezialisierungsvereinbarungen („Spezialisierungs-GVO"), die Verordnung über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 AEUV auf Gruppen von Vereinbarungen über Forschung und Entwicklung („F&E-GVO") sowie die Neufassung der Leitlinien über Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit („Horizontalleitlinien"). Im Mai 2010 hatte die EU-Kommission Entwürfe hierzu vorgelegt und die Öffentlichkeit konsultiert.

Für die Unternehmen sind horizontale Kooperationen in der Praxis von großer Bedeutung, da Unternehmen häufig auf die Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen angewiesen sind, um Synergien zu erzielen. Daher dürften die verabschiedeten Regelungen zu horizontalen Kooperationen wertvolle Orientierungshilfen zur kartellrechtlichen Beurteilung der gemeinsamen Vorhaben bieten.

Wesentliche Änderungen zu den bisherigen Regelungen:

A. Horizontalleitlinien:

Die neuen aktualisierten Leitlinien sind nach Angaben der EU-Kommission präziser und klarer formuliert worden.

Informationsaustausch

Die Europäische Kommission hat ein neues Kapitel über die wettbewerbsrechtliche Würdigung des Informationsaustauschs in ihre Leitlinien aufgenommen und darin ihre bisherige Entscheidungs- und Fallpraxis zusammengefasst. Darin wird erläutert, wie ein Informationsaustausch auf seine Vereinbarkeit mit dem EU-Wettbewerbsrecht zu prüfen ist.

Als besonders problematisch sieht die EU-Kommission eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung an, die in einem Austausch unternehmensspezifischer Daten über geplantes künftiges Preis- oder Mengenverhalten liegt (Rn. 74).

Bei der Typisierung bestimmter Merkmale des Informationsaustauschs nennt die EU-Kommission einige relevante Faktoren, wie zum Beispiel die Art der Informationen (strategische, aggregierte, unternehmensspezifische, öffentliche oder nicht öffentliche Daten), den Grad der Marktabdeckung, das Alter der Daten, und die Häufigkeit des Informationsaustausches. Bei der Definition der „öffentlichen Daten" soll es - entgegen dem Entwurf vom Mai 2010 - nun darauf ankommen, ob sich die Wettbewerber der an einem Informationsaustausch beteiligten Unternehmen die Informationen ebenso leicht und zu gleichen Preisen erlangen können (Rn. 92).

Es fällt auf, dass die EU-Kommission Abweichungen zu dem in den Leitlinien zur kartellrechtlichen Beurteilung von Seeverkehrsdienstleistungen vom 1.7.2008 (Amtsblatt C 245/2) geregelten Informationsaustausch in Kauf nimmt. So tragen die neuen Horizontalleitlinien der Bedeutung von Verbänden als Mittel zum legitimen Austausch von Informationen nicht explizit Rechnung. Auch fehlt es an konkreten Vorschläge, unter welchen Voraussetzungen regelmäßig nicht mit wettbewerbeschränkenden Auswirkungen zu rechnen ist. Ohne entsprechende safe harbours dürfte es den Unternehmen und Verbänden nach wie vor schwer fallen, ihre Praxis mit der notwendigen Rechtssicherheit an den Horizontalleitlinien auszurichten.

Vereinbarungen über Normen

Die EU-Kommission hat in den Horizontalleitlinien das Kapitel über Normenvereinbarungen grundlegend überarbeitet und auch Hinweise zur Bewertung verschiedener kartellrechtlicher Fragen der Lizenzierung aufgenommen hat. Sie verfolgt dabei das Ziel einer klaren und ausgewogenen Politik zum Schutz der Rechte des geistigen Eigentums, welche gleichzeitig eine missbräuchliche Ausnutzung des Normungsprozesses vermeidet und die Weitergabe der mit der Normung verbundenen spezifischen Vorteile an Wirtschaft und Verbraucher sicherstellt. 

Eine wesentliche Änderung ist die Aufnahme eines „sicheren Hafen" (safe harbour) für Normenvereinbarungen auf. Danach soll keine Wettbewerbsbeschränkung nach Art. 101 Abs. 1 AEUV unter folgenden Voraussetzungen vorliegen:

Die dem „sicheren Hafen" zugrunde liegenden Bestimmungen werden in den Horizontalleitlinien noch näher ausgeführt und im Vergleich zum Entwurf vom Mai präzisiert.

Es wird nun ebenfalls klargestellt, dass Vereinbarungen, die nicht in den geschützten safe harbour - Bereich fallen, zwar einer Selbstprüfung nach dem ebenfalls im Kapitel Normung niedergelegten wirkungsorientierten Ansatz unterzogen werden müssen, dass aber keine Vermutung der Rechtswidrigkeit besteht. Es wird weiter klargestellt, dass Normenvereinbarungen, die eine vorherige Offenlegung der restriktivsten Lizenzbedingungen verlangen, grundsätzlich keine Wettbewerbsbeschränkung darstellen (Rn. 299).

Das Kapitel zur Normung enthält ebenfalls Erläuterungen und Beispiele zu Standardbedingungen. Nachdem die besondere Freistellung für die Zusammenarbeit bei Mustern allgemeiner Versicherungsbedingungen im Rahmen der kürzlich erfolgten Überprüfung der Gruppenfreistellungsverordnung für die Versicherungswirtschaft nicht verlängert worden ist, bedurfte es einer generellen Orientierung für all jene Fälle, in denen die Gefahr besteht, dass solche Vereinbarungen (auch außerhalb der Versicherungswirtschaft) gegen das Wettbewerbsrecht verstoßen.

B. F&E Gruppenfreistellungsverordnung

Der Geltungsbereich der F&E-GVO ist ausgeweitet worden. Er erstreckt sich jetzt auch auf Vereinbarungen über Forschungsaufträge, in deren Rahmen eine Partei die F&E-Arbeiten durchführt und die andere Partei diese finanziert. Darüber hinaus bestehen mehr Möglichkeiten für die gemeinsame Verwertung der F&E-Ergebnisse.

In den Bereich der Gruppenfreistellung fällt nun auch der Fall, dass nur eine Partei die Vertragsprodukte in der EU auf der Grundlage einer Exklusivlizenz der anderen Partei - welche jedoch in der Praxis oft befugt sein wird, die Vertragsprodukte in Gebieten außerhalb der EU zu vertreiben - verkauft.

 C. Spezialisierungs-GVO

Die Spezialisierungs-GVO sieht eine zweite Marktanteilsschwelle für solche Fälle vor, in denen die unter eine Spezalisierungsvereinbarung oder eine Vereinbarung über die gemeinsame Produktion fallenden Produkte Zwischenprodukte sind, die eine oder mehrere Parteien zum Eigenverbrauch für die Herstellung von zu einem nachgelagerten Markt gehörenden Produkten verwenden. Die Freistellung ist dann davon abhängig, dass der gemeinsame Marktanteil der Parteien auf dem nachgelagerten Markt 20 % nicht übersteigt.

Es wird nun ebenfalls klargestellt, dass die GVO auch für solche Spezialisierungsvereinbarungen gilt, unter denen eine der Parteien ihre Produktion nur teilweise einstellt. Dies erlaubt es einem Unternehmen, das für die Herstellung eines Produkts zwei Produktionsstätten betreibt, eine dieser Produktionsstätten zu schließen, die Produktion der dort ehemals hergestellten Produkte auf ein anderes Unternehmen auszulagern und dennoch von der Spezialisierungs-GVO zu profitieren.

Inkrafttreten:

Die beiden Gruppenfreistellungsverordnungen gelten ab dem 1. Januar 2011 mit einer Übergangsfrist von zwei Jahren, in der die früheren Verordnungen für alle jene Vereinbarungen in Kraft bleiben, die die Kriterien der alten Verordnungen erfüllen, aber nicht unter die neuen Verordnungen fallen. Die Horizontalleitlinien treten mit der Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.