22.09.2010

Almunia (EU-Kommission): “Due process and competition enforcement” (Rede)

Der Vizepräsident der EU-Kommission und amtierende Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia sprach am 17. September 2010 auf der 14. Wettbewerbskonferenz der IBA (International Bar Association) zum Thema „Faires Verfahren und Durchsetzung des Wettbewerbs" (Due process and competition enforcement").

Faires Verfahren („Due Process"):

Almunia betonte, dass er in einem administrativen System zur Durchsetzung des Wettbewerbsrechts - aus europäischer Perspektive - im Vergleich zu auf Gerichtsverfahren basierenden Systemen große Vorteile sehe. Ein administratives System, wie in der EU praktiziert, könne der Vielfalt der Union besser gerecht werden und ökonomische Betrachtungsweisen in die Entscheidungen einfließen lassen. Die Einbeziehung ökonomischer Analysen habe in den 90er Jahren in der Fusionskontrolle ihren Anfang genommen und sei bald darauf auf andere Gebiete der Wettbewerbspolitik ausgeweitet worden. Diese Entwicklung sei keineswegs durch die Gerichte vorgezeichnet worden; es gehöre vielmehr in den Verantwortungsbereich einer Verwaltung, solche Entwicklungen in Gang zu setzen.

Weitere Pluspunkte des (europäischen) Verwaltungssystems seien - so Almunia - hochqualifizierte Beamte, sehr gute Verbindungen zu Wettbewerbsbehörden und die Aufgabe, die Folgen und Auswirkungen des Verwaltungshandelns zu bewerten. Insgesamt sei das administrative System dynamischer (als auf Gerichtsverfahren basierende Systeme), da es sich schneller an neue Entwicklungen und Bedingungen anpassen könne. 

Die Kritik, dass Verfahrensgarantien in einem administrativen System nicht den gerichtlichen Verfahrensstandards entsprächen, ließ Almunia indes nicht gelten. Er führte zum einen an, dass die verschiedenen Verwaltungssysteme eine lange Rechtstradition hätten. Zum anderen gab er an, dass die Europäische Kommission im Hinblick auf Verfahrensgarantien einen sehr hohen Standard anlegen würde. Außerdem müsse die Kommission neben dem Gebot eines fairen Verfahrens noch andere Prinzipien beachten, wie das zügige Durchführen eines Verfahrens. Zitat Almunias: „An old maxim applies here; justice delayed is justice denied". Almunia gesteht jedoch zu, dass es auch in einem Verwaltungssystem stets Raum für Verbesserungen gebe. Es sei auch bereit, Änderungen im Hinblick auf verbesserte Verfahrensgarantien sowie weitere Effizienzsteigerungen vorzunehmen, sofern das System insgesamt davon profitieren würde.

Almunia betonte weiter, dass der Prozess der Entscheidungsfindung und die Entscheidungen der Kommission bereits offen seien und die Verteidigungsrechte der Parteien respektiert würden. Die Parteien hätten die Gelegenheit zur Stellungnahme, zur Beweiseinsichtnahme und Anhörungsrechte. Auch der Anhörungsbeauftragte spiele in dem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Die Kommission erlasse zudem eine Vielzahl von Entscheidungen, sowohl in Versagens- und Untersagungsfällen (Beschwerden, Fusionen) als auch bei positiver Bescheidung. Außerdem könnten sämtliche Entscheidungen von den Gerichten geprüft werden.

Zum Schluss der Rede betonte Almunia auch noch einmal die tragende Rolle der Europäischen Kommission bei der Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise und als Partner („ally") der Mitgliedstaaten.

Künftige Marschrichtung:

Im Zuge der Konsultation zu den Leitlinien der Europäischen Kommission zur Verfahrenspraxis bei Kartelluntersuchungen „Best_Practices" habe die Kommission, so Almunia, auch Forderungen nach weitreichenden Änderungen vernommen, wie z. B. Forderungen nach besserer Gewaltenteilung (im Hinblick auf die Stadien der Untersuchung und der Entscheidung), nach einer größeren Rolle des Anhörungsbeauftragten und einer umfangreicheren Diskussion bei der Anhörung. Almunia gab an, diese Forderungen vor dem Hintergrund der bereits bestehenden Verfahrensgarantie prüfen zu wollen. Er betonte aber gleichzeitig, dass die bestehenden Verfahrensgarantien bereits recht umfangreich seien. So hätten die Parteien die Möglichkeit, eine ausführliche schriftliche und mündliche Sachverhaltsdarstellung abzugeben. Bei schwierigen ökonomischen Fragestellungen sei das Team des Chefökonomen direkt involviert. Auch gebe es „peer reviews". Die Vorteile dieses Systems seien auch in der Praxis zum Tragen gekommen.