01.03.2009

Überblick über anstehenden Entwicklungen im EU-Kartellrecht im Jahr 2009

Kommission
Europäisches Parlament

Überprüfung der Kartellverfahrensverordnung VO 1/2003

 

Bis zum 1. Mai 2009 muss die EU-Kommission dem Europäischen Parlament und dem EU-Ministerrat über die Anwendung der Kartellverfahrensverordnung berichten. Im Vorfeld ist bereits eine öffentliche Konsultation durchgeführt worden. Durch die am 1. Mai 2004 in Kraft getretene Verordnung wurde das europäische Kartellrecht nach über 40 Jahren grundlegend reformiert. Als Folge war die Anmeldepflicht von Kartellen weggefallen. Seitdem müssen Unternehmen eigenverantwortlich beurteilen, ob eine Abrede gegen das Kartell­ver­bot verstößt. Außerdem wird seitdem das europäische Kartellrecht dezentral von den nationalen Wettbewerbs­behörden und Gerichten angewendet. Die Unternehmen hatten sich seinerzeit für eine Abschaffung des Anmelde- und Genehmigungssystem ausgesprochen. Allerdings ist durch das  Prinzip der Legalausnahme und der damit verbundenen Selbsteinschätzung die Rechtsunsicherheit für die Unternehmen bei der Beurteilung eines möglicherweise wettbewerbswidrigen Verhaltens gestiegen.

 

Überprüfung der Fusionskontrollverordnung VO 139/2004

 

Rund vier Jahre nach der letzten Reform der Fusionskontrolle ist die EU-Kommission gehalten, dem Rat bis zum 1. Juli 2009 über das Funktionieren der Aufgreifschwellen und des neuen Verweisungssystems (vor der Anmeldung eines Zusammenschlusses) Bericht zu erstatten. Zu diesen Fragen hat sie gerade eine Konsultation durchgeführt. Nach den 2004 eingeführten neuen Verweisungsmechanismen haben Unternehmen das Recht, die EU-Kommission um die Prüfung eines Zusammenschlusses zu ersuchen, der in mindestens drei Mitgliedstaaten anmeldepflichtig wäre, auch wenn die für eine Prüfung der Kommission vorgesehenen Schwellenwerte nicht erreicht werden. Umgekehrt wurde den Anmeldern das Recht gewährt, eine Verweisung an die Mitgliedstaaten zu beantragen, wenn der Zusammenschluss den Wettbewerb auf dem Markt innerhalb eines Mitgliedstaats, der alle Merkmale eines gesonderten Marktes aufweist, beeinträchtigen könnte. Bemerkenswert ist, dass eine erhebliche Anzahl von Unternehmen (ca. 160) auf der Grundlage der neuen Verweisungsvorschriften eine Verweisung an die EU-Kommission beantragt haben; dies spricht für einen dringenden Bedarf seitens der Unternehmen.

 

Überprüfung der Gruppenfreistellungsverordnungen

 

Im Jahr 2010 laufen diverse Gruppenfreistellungsverordnungen aus. Die Vertikal-GVO (VO Nr. 2790/1999) läuft am 31. Mai 2010 aus. Es laufen bereits Konsultationen über die Verlängerung oder Erneuerung der Vertikal-GVO über das ECN (European Competition Network). Eine öffentliche Konsultation ist für das Frühjahr 2009 geplant. Die Vertikal-GVO war am 1. Januar 2000 in Kraft getreten und hatte seinerzeit einen Strukturwandel eingeläutet. Verschiedene im Jahr 1999 auslaufende Gruppenfreistellungsverordnungen wurden unter einem „Schirm“ zusammengefasst, und automatische Freistellungen wurden für vertikale Vereinbarungen von Unternehmen an einen bestimmten Marktanteil geknüpft.

 

Zum gleichen Termin läuft die Kfz-GVO (VO Nr. 1400/2002) aus. Die EU-Kommission überlegt derzeit, ob eine spezielle Regelung für den KfZ-Sektor überhaupt beibehalten werden sollte; denn zum Teil werden die Vorschriften der Kfz-GVO mittlerweile auch von anderen Richtlinien oder Verordnungen erfasst. In dem von der EU-Kommission im Mai 2008 veröffentlichten Bericht über die bisherigen Erfahrungen mit der Kfz-GVO schildert sie, dass sich die Wettbewerbssituation im Automobilsektor deutlich verbessert habe. Allerdings sei dies nicht allein ein Verdienst der Gruppenfreistellungsverordnung, sondern auch auf andere Umstände zurückzuführen. Die Überregulierung im Kfz-Bereich habe sogar zum Teil kontraproduktiv gewirkt. Bis März 2009 wird die EU-Kommission auf der Grundlage des Berichts eingegangenen Stellungnahmen eine Auswertung vornehmen und einen Vorschlag für das weitere Vorgehen vorlegen. Sollte die Gruppenfreistellungsverordnung nicht verlängert werden, würden die allgemeinen Wettbewerbsregeln einschließlich der Vertikal-GVO, die aber ebenfalls einer Unterprüfung unterliegt, Anwendung finden.

 

Ebenfalls zur Überprüfung steht die Versicherungs-GVO (VO Nr. 258/2003) an, die am 31. März 2010 ausläuft. Die Versicherungs-GVO nimmt bestimmte Absprachen zwischen Versicherungsunternehmen vom Kartellverbot aus, so z.B. die gemeinsame Festlegung unverbindlicher allgemeiner Versicherungsbedingungen, den Austausch statistischer Daten zum Zwecke der Risikobewertung und die Bildung von Versicherungspools. Die EU-Kommission prüft derzeit die Option einer Verlängerung. Sie soll dem Rat und dem EU-Parlament hierzu einen Bericht mit einer Empfehlung übermitteln. Eine öffentliche Konsultation war bis Mitte Juli 2008 durchgeführt worden. Im Falle einer Überarbeitung oder Verlängerung der Gruppenfreistellungsverordnung wird noch einmal eine Anhörung durch die EU-Kommission stattfinden. Sollte die Gruppenfreistellungsverordnung jedoch auslaufen, wird die EU-Kommission hierzu eine Mitteilung vorlegen. Eine Verlängerung soll von der Frage abhängig gemacht werden, inwieweit die Regelung für den Wettbewerb und den Verbraucher tatsächlich förderlich sei. Wie sich die EU-Kommission entscheiden wird, ist derzeit noch nicht absehbar.

 

Die Spezialisierungs-GVO (VO Nr. 2658/2000) und Forschungs- und Entwicklungs-GVO (VO Nr. 2659/2000) laufen am 31. Dezember 2010 aus. Anfang Dezember 2008 hat die EU-Kommission hierzu eine Konsultation auf der Grundlage eines Fragebogens eingeleitet. Die Konsultation (Ende: 31. 01. 2009) bezieht sich zudem auf die Leitlinien über Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit (2001/C 3/02).

 

Legislativvorschlag für Schadenersatzregelungen im Kartellrecht

 

Es wird erwartet, dass die EU-Kommission ihrem in einem Weißbuch manifestierten Vorstoß, Schadenersatzklagen in größerem Umfang als bisher europaweit zu ermöglichen, noch 2009 einen Legislativvorschlag, voraussichtlich in Form einer Richtlinie, nachfolgen lassen wird. Im Weißbuch hatte die EU-Kommission u. a. die Einführung von Sammelklageinstrumenten und von Beweiserleichterungen für den Kläger vorgeschlagen. Das  Europäische Parlament bereitet derzeit einen Initiativbericht zum Weißbuch vor (Berichterstatter Klaus-Heiner Lehne), der in der Woche ab dem 9. März 2009 vom EU-Parlament verabschiedet werden soll. Im Gegensatz zur Entschließung des Europäischen Parlaments zum Grünbuch der EU-Kommission ist der Berichtsentwurf zum Weißbuch weitaus kritischer ausgefallen. Um der Rechtszersplitterung vorzubeugen, hat sich Berichterstatter Lehne insbesondere gegen einen Alleingang der GD Wettbewerb bei der Einführung von Sammelklagen ausgesprochen und ein gemeinsames horizontales Vorgehen mit der Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz angemahnt, die gerade ein Grünbuch zur Einführung von Sammelklagen im Verbraucherrecht vorgelegt hat.