18.05.2009
Europäische Kommission legt Bericht über Funktionieren der Kartellverfahrensverordnung 1/2003 vor
Am 30. April 2009 legte die EU-Kommission ihre Mitteilung an das Europäische Parlament und den Rat über das Funktionieren der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vor. Sie war dazu verpflichtet, fünf Jahre nach Inkrafttreten der Verordnung, mithin zum 1. Mai 2009, eine Bewertung vorzulegen, wie gut die neuen Regeln für die Durchsetzung des EG-Wettbewerbsrechts in diesem Zeitraum funktioniert haben. Hierfür hatte die EU-Kommission zuvor eine Konsultation im letzten Jahr durchgeführt.
Mit der Verordnung 1/2003 hatte die EU-Kommission im Jahr 2004 einen Systemwechsel begründet. Es wurde ein System der dezentralen Kartellanwendung geschaffen: Nationale Gerichte und Wettbewerbsbehörden konnten seitdem das EG-Wettbewerbsrecht in vollem Umfang direkt selbst anwenden. Auch wurde durch Einführung der Legalausnahme das bürokratische und zeitintensive Anmeldeverfahren abgeschafft: Unternehmen mussten seitdem Vereinbarungen nicht mehr bei der EU-Kommission zur Genehmigung anmelden. Der EU-Kommission wurde dadurch die Möglichkeit gegeben, ihre Ressourcen auf ernste Wettbewerbsprobleme zu konzentrieren.
Die Bilanz fällt fünf Jahre nach Inkrafttreten der Verordnung 1/2003 weitgehend positiv aus. Die EU-Kommission kommt im Wesentlichen zu folgenden Schlussfolgerungen:
- Die Kartellverfahrensverordnung habe - nicht zuletzt aufgrund der erweiterten Untersuchungs- und Entscheidungsbefugnisse - zu einer strikteren Durchsetzung der kartellrechtlichen Vorschriften innerhalb der EU geführt.
- Die Verfahrensänderung (Einführung der Legalausnahme und Abschaffung des Freistellungsprivilegs der EU-Kommission) scheint keine besonderen Schwierigkeiten aufgeworfen zu haben. Dadurch könne die EU-Kommission nun pro-aktiver sein und ihre Ressourcen auf den Kampf gegen Kartelle und andere schwere Gesetzesverstöße konzentrieren, sowie Sektoruntersuchungen einleiten. Rund 1000 Fälle seien im Untersuchungszeitraum auf der Grundlage der EG-Wettbewerbsregeln von den Mitgliedstaaten untersucht worden.
- Das neu eingerichtete Europäische Wettbewerbsnetz (EWN) habe sich als erfolgreiches Modell der Zusammenarbeit erwiesen. Durch das Netz wurde die EU-Kommission über mehr als 300 geplante wettbewerbsrechtliche Entscheidungen innerhalb der EU informiert. Auch das Ziel, für eine kohärente und einheitliche Anwendung zu sorgen, sei durch die enge Zusammenarbeit im EWN weitgehend erreicht worden. Das EWN habe auch in erheblichem Maße dazu beigetragen, dass die Mitgliedstaaten oder die einzelstaatlichen Wettbewerbsbehörden eigene Kronzeugenregelungen ausgearbeitet und eingeführt hätten und dass die einzelnen Regelungen eine höhere Kohärenz auswiesen.
- Die Fallverteilung auf der Grundlage der Bekanntmachung über die Zusammenarbeit im Wettbewerbsnetz hätte nur in sehr wenigen Fällen Probleme aufgeworfen, die jedoch gelöst worden seien.
- Im Einzelfall stünde die EU-Kommission gemäß der Bekanntmachung über informelle Beratung Unternehmen, die neuartige oder ungelöste Fragen haben, mit konkreten Orientierungshilfen zur Seite. Im Berichtszeitraum seien jedoch kaum derartige Anfragen an die Kommission gerichtet worden.
Weiterer Evaluierung bedürften allerdings die Fragen,
- wie sich die Unterschiede in den nationalen Verfahren und in den Befugnissen, Geldbußen zu verhängen, auf die wirksame Durchsetzung der Wettbewerbsregeln auswirkten, und
- wie sich die nationalen Vorschriften auf dem Gebiet unilateraler Handlungen unterschieden. Insbesondere soll dem Einwand, dass die vorherrschenden unterschiedlichen Standards für die Beurteilung einseitiger Handlungen zu einer Fragmentierung der Geschäftsstrategien führten, nachgegangen werden. Hier sei zu prüfen, ob auf europäischer Ebene Handlungsbedarf im Sinne einer weiteren Konvergenz der Wettbewerbsregeln besteht,
- wie die Bearbeitung von Beschwerden, die nach der Rechtsprechung der Gemeinschaftsgerichte keine prioritären Verfahren auslösen, effizienter gestaltet werden könnten,
- ob bei Nachprüfungen Möglichkeiten für etwaige Sanktionen geschaffen werden sollten für den Fall irreführender oder unwahrer Antworten von natürlichen und juristischen Personen, die mit deren Einverständnis befragt worden seien, etwaige Sanktionen vorzusehen, und ob die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten häufiger aufgefordert werden sollten, in ihrem Namen Nachprüfungen vorzunehmen,
- ob es Alternativlösungen beim Informationsaustausch (im Hinblick auf unterschiedliche Sanktionsstandards in den Mitgliedstaaten) gebe, die die Verteidigungsrechte der Betroffenen nicht beeinträchtigen,
- wie die Möglichkeit der EU-Kommission, Amici-curiae-Stellungnahmen vor den einzelstaatlichen Gerichten abzugeben, weiterentwickelt werden könne,
- wie der Öffentlichkeit ein besserer Zugang zu den Urteilen einzelstaatlicher Gerichte ermöglicht werden könne, die auf der Basis von Art. 81 oder 82 EG erlassen würden.
Der Bericht lässt die Frage offen, ob eine Änderung der geltenden Regeln oder Verfahren erforderlich ist. Auf der Grundlage dieses Berichts wird die EU-Kommission zu einem späteren Zeitpunkt prüfen, ob es weiterer politischer Maßnahmen bedürfe.