10.12.2007

Fusionskontrolle: EU-Kommission erlässt Leitlinien für vertikale und konglomerate (nicht horizontale) Fusionen

Am 28. November 2007 hat die Europäische Kommission Leitlinien für die Prüfung nicht horizontaler Fusionen erlassen. Diese Fusionen betreffen entweder vertikale Fusionen (Zusammenschlüsse von Unternehmen mit Unternehmen auf einer anderen Ebene der Lieferkette, wie z.B. die Übernahme eines Eisenerzlieferanten durch einen Stahlhersteller) oder  konglomerate Fusionen (Zusammenschlüsse von Unternehmen mit Unternehmen, die in einem verbundenen Markt tätig sind, wie z.B. der Erwerb eines Rasierschaum herstellenden Unternehmens durch einen Rasierklingenhersteller). Die Leitlinien, die im Februar 2007 erstmalig der Öffentlichkeit zur Konsultation vorgestellt wurden, sollen die „Horizontalleitlinien“ ergänzen, den Unternehmen als Orientierungshilfe dienen und darüber hinaus Aufschluss geben, wie die Kommission die Auswirkungen derartiger Fusionen auf den Wettbewerb prüft.


Die Kommission beabsichtigt, vertikale und konglomerate Fusionen künftig großzügiger zu beurteilen, da sich in der Regel Wettbewerbsbedenken bei vertikalen und der konglomeraten Fusionen in geringerem Maße als bei horizontalen Zusammenschlüssen stellen; anders als bei horizontalen Fusionen ändert sich nicht sogleich die Anzahl der in einem Markt tätigen Wettbewerber. Außerdem können die Unternehmen im Falle der vertikalen und der konglomeraten Fusion durch bessere Koordinierung der einzelnen Produktionsstufen ihre Effizienz steigern.

In den Leitlinien werden Marktanteile unter einer Schwelle von 30 % und ein HHI-Wert unter 2000 als „sichere Häfen“ (‚safe harbours’) klassifiziert, unterhalb deren die EU-Kommission ein Zusammenschlussvorhaben grundsätzlich nicht intensiv untersuchen wird (Tz. 25).

Darüber hinaus identifizieren die Leitlinien verschiedene potenzielle wettbewerbsbeschränkende Wirkungen nicht horizontaler Fusionen, insbesondere den „Abschottungseffekt“ (‚foreclosure’), der in unterschiedlichen Fallgestaltungen auftreten kann. Bei vertikalen Fusionen könnten – so die Leitlinien - zum einen die Kosten für die nachgelagerten Wettbewerber durch die Begrenzung des Zugangs zu einem wichtigen Vorleistungsprodukt beschränkt werden (‚input foreclosure’ – Tz. 31-57), zum anderen könnten die vorgelagerten Wettbewerber ausgesperrt werden, indem ihr Zugang zu einer ausreichenden Kundenplattform limitiert würde (‚customer foreclosure’ – Tz. 58-77). Die Kommission wird diese Szenarien im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf den vor- und nachgelagerten Markt genau überprüfen. Auch bei konglomeraten Fusionen könnte in Einzelfällen eine Marktabschottung eintreten, sofern die starke Marktposition auf einem Markt auf den verbundenen Markt übertragen werden könnte (‚leveraging’ – Tz. 93 ff), z.B. durch Kopplungsgeschäfte (‚tying’/’bundling’) oder andere marktverschließende Praktiken.

Darüber hinaus setzen sich die Leitlinien auch mit den möglichen koordinierten und nicht koordinierte Effekten von vertikalen und konglomeraten Fusionen und deren wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen auseinander und ziehen dabei die in der Rechtsprechung der europäischen Gerichte dazu entwickelten Kriterien heran (z.B. Airtours-Urteil des EuG – Tz. 79 f).

Die Leitlinien konstatieren ebenfalls, dass vertikale und konglomerate Fusionen weitaus mehr Raum für Effizienzerwägungen als horizontale Fusionen ließen, da die Aktivitäten oder Produkte der Unternehmen ergänzenden Charakter hätten und dadurch erhebliche Effizienz mit sich bringen könnten. Allerdings besteht die EU-Kommission, wie auch bei den Leitlinien zu horizontalen Zusammenschlüssen darauf, dass die Effizienzen von den Parteien zu begründen seien (z.B. Tz.52). Im Gegensatz zur Entwurfsfassung der Leitlinien brauchen die Effizienzen zwar nicht mehr „identifiziert“ zu werden. Allerdings finden die in den Horizontalleitlinien entwickelten Grundsätze zu Effizienzerwägungen entsprechend Anwendung, wonach es ganz überwiegend den Zusammenschlussparteien obliegt, alle erforderlichen Angaben im Zusammenhang mit den behaupteten Effizienzvorteilen zu machen. Um Effizienzen berücksichtigen zu können, müssten diese zudem den Verbrauchern zugute kommen, fusionsspezifisch und überprüfbar sein.