02.12.2005
Susan Creighton (FTC): Ranking Exclusionary Conduct (Vortrag)
USA
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https://www.ftc.gov/speeches/creighton |
Ms. Susan Creighton leitet das Bureau of Competition der Federal Trade Commission. Sie hat am 15. November 2005 auf dem Herbstforum der American Bar Association in Washington über „Ranking Exclusionary Conduct“ gesprochen. Angesichts der Diskussion über die Anwendung von Artikel 82 EU, der Vorschrift über den Missbrauch marktbeherrschender Stellungen, sind ihre Ausführungen auch für die europäische Diskussion interessant, zeigen sie doch, dass man auch in den USA Schwierigkeiten hat, bei „unilateral conduct“ zulässige von unzulässigen Verhaltensweisen zu scheiden. Ms. Creighton gelangt zu einigen Schlussfolgerungen für die Verfolgungspraxis der Wettbewerbsbehörden, die auch bei uns Beachtung finden sollten:
- Zwei Ziele sind im Auge zu behalten: die Vermeidung falscher Beurteilungen (Zulassung wettbewerbswidriger oder Verbote wettbewerbsfreundlicher Praktiken) sowie die Verringerung von Transaktionskosten der Unternehmen, die vor allem durch aufwändige Beratung mangels Vorhersehbarkeit entstehen.
- Ausgangspunkt sollte die Eingruppierung (ranking) von Praktiken sein: klar wettbewerbswidrige, eindeutig zulässige und Praktiken in der dazwischenliegenden Grauzone. Von den beiden Extremen her könnte man versuchen, die mittlere Gruppe stärker einzugrenzen. Dies ist der Grundgedanke des Vortrages. Zur näheren Klassifizierung wird an drei Grundgedanken der amerikanischen Rechtsprechung erinnert.
- Erstens: Ein Monopol ist nicht ungesetzlich und darf ausgebeutet werden, wenn es durch „superior skill, foresight and industry“ (Alcoa) erworben wurde. Das Streben nach Alleinbesitz eines Marktes ist „an important element of the free market system“ (Trinko). „The successful competitor, having been urged to compete, must not be turned upon when he wins“ (Alcoa), auch wenn dies zum Schaden der Konsumenten ausschlägt. Die Wettbewerbsfreiheit ist wichtiger.
- Zweitens: Ein Monopol darf nicht mit unlauteren Mitteln erreicht oder verteidigt werden. Aber das Niederringen von Rivalen ist, was von Wettbewerbern erwartet wird. „Competition is a ruthless business“ (Ball Memorial Hospital, Judge Easterbrook). “The antitrust laws are not balm for rival’s wounds” (ebenda).
- Drittens: Wegen der unklaren Abgrenzung benötigen die Unternehmen umso dringender Handreichungen. Dies wird verfehlt, wenn die Wettbewerbsbehörde ankündigt, in jedem Fall alle Faktoren gehörig abzuwägen (in einer Fußnote fügt Ms. Creighton allerdings hinzu, dass dies immer noch besser sei als „bright line proxies“ oder „rules of thumb“.
- Ms. Creighton sieht die größte Gefahr darin, den Preiswettbewerb marktbeherrschender Unternehmen zu streng zu beurteilen, weil hier bei Fehlurteilen die Nachteile für Konsumenten sehr unmittelbar eintreten. Sie sieht sich dabei in Übereinstimmung mit dem Supreme Court (Matsushita, Brooke Group). Bei Niedrigpreisstrategien (predation) ist dies besonders offensichtlich, zumal in den USA verlangt wird, dass dadurch nachhaltige Marktmacht erreicht oder gesichert wird, was in der Praxis selten gelingt (sofern, wie in der Regel, Markteintritte möglich sind). Der Preiswettbewerb markiert deshalb das eine, „harmlosere“ Ende des Spektrums.
- Das andere, „durchweg schädliche“ Ende ist „naked exclusion“ (dazu Vortrag von Ms. Creighton vom 8.2.2005, ebenfalls auf der Website abrufbar). Es handelt sich um den Missbrauch staatlicher Verfahren mit dem Ziel der Benachteiligung von Konkurrenten. Als Beispiel wird die Erlangung eines Patentes mittels falscher Angaben in der Anmeldung genannt. Verwandt ist im nichtstaatlichen Bereich der Missbrauch des Prozesses zum Setzen von Industrienormen (Rambus, Unocal).
- Dazwischen liegen im großen Mittelbereich Vertriebspraktiken wie Ausschließlichkeitsverträge, Bezugsbindungen oder Bündelung. Die große Häufigkeit solcher Verträge spricht nach allem Anschein dafür, dass sie in der Regel wettbewerbsfördernd und effizient sind. Missbrauch kann in Einzelfällen nicht ausgeschlossen werden, ist aber wohl die seltenere Möglichkeit. Die Gerichte sollten deshalb Vorsicht walten lassen. „Asking courts to sort out the good from the bad may be simply asking too much given current empirical understanding“.
- Für die Wettbewerbsbehörden ist daraus abzuleiten, dass man sich vor allem um “abuse of governmental processes” kümmern sollte, zumal solche Praktiken die Unternehmen nur wenig kosten und deshalb eine gewisse Anziehungskraft ausüben. Hier ist auch der Gedanke von „competition on the merits“ abwegig. Es werden einige FTC-Fälle genannt: Unocal, Rambus, South Carolina Dentists, „Orange Book Cases“ (Marktzutritt von Generika).
- Bei Abwägung der Wahrscheinlichkeiten, konsumentenfreundliches Verhalten zu fördern oder verhindern, sollten die Wettbewerbsbehörden bei Preisstrategien sehr zurückhaltend sein. In der mittleren Gruppe, den Vertriebsstrategien, bedarf es offensichtlich weiterer empirischer Forschung und auch gewisser, an die Umstände des Falles anknüpfender Tests (fectual screens). Hypothetisches Beispiel: bei einem bestimmten geringen Marktanteil (innerhalb der Spanne der Marktmacht) sollten die Behörden Bundling nicht mehr prüfen (safe harbour). Anderes Beispiel (Aspen): Verdacht erregt es, wenn ein bestimmtes Verhalten erst begonnen wird, nachdem das Unternehmen marktbeherrschend geworden ist. Ebenso: der „no economic sense test“ (= but-for test) des Justizministeriums verfolgt einen ähnlichen Ansatz.
- Es sollte deshalb daran gearbeitet werden, durch bestimmte Testverfahren in der mittleren Gruppe mehr Boden unter den Füßen zu gewinnen. Dieses Fazit kann man als Auftakt der FTC zu den gemeinsamen Anhörungen mit DoJ über „unilateral conduct“ verstehen, die für das Frühjahr 2006 geplant sind.