31.07.2005

EU: Chefökonom Professor Röller zum ökonomischen Ansatz in der Wettbewerbspolitik

EU
Europäische Kommission
Wettbewerbspolitik

https://www.europe.eu.int/comm/competition (Vorträge

Prof. Lars-Hendrik Röller, Chefökonom der Generaldirektion Wettbewerb (und FIW-Referent in Innsbruck 2006), hat sich in vier Beiträgen zum „economic approach“ in der europäischen Wettbewerbspolitik geäußert, die jetzt auf der Website der GD COMP nachzulesen sind:

Der ökonomische Ansatz in der europäischen Wettbewerbspolitik (10 Seiten)

In diesem Vortrag, gehalten zum 30jährigen Jubiläum der Monopolkommission, werden zunächst die organisatorischen Änderungen in der GD dargestellt, bevor der neue Ansatz mit Bezug auf die Fusionskontrolle, Art. 82 EU und die Beihilfenpolitik erläutert wird.

In der Fusionskontrolle kommt das neue Konzept im SIEC-Test und in den Leitlinien für horizontale Zusammenschlüsse zum Ausdruck. Fusionen sollen nicht nur anhand von Veränderungen der Marktstruktur beurteilt werden, sondern oberster Maßstab ist die Konsumentenwohlfahrt. Bei diesem wirkungsorientierten Ansatz sind ökonomische Modelle hilfreich. Auch die Berücksichtigung von Effizienzen gehört in diesen Zusammenhang, aber dieses Instrument wird in der Praxis nur sehr sparsam eingesetzt werden können. Insgesamt nähert man sich hier stärker den USA an, ohne dass dies im konkreten Fall identische Ergebnisse garantierte.

In der Missbrauchskontrolle nach Art. 82 EU ist die Kommission, anders als in der Fusionskontrolle, von den europäischen Gerichten durchweg bestätigt worden. Dennoch gibt es Handlungsbedarf, weil manche Regeln – etwa die Zulässigkeit von Mengenrabatten und die Unzulässigkeit von Treuerabatten – einer stärkeren ökonomischen Begründung bedürfen. Ähnliches gilt für den Verkauf unter Herstellungskosten. Dabei soll die Missbrauchsaufsicht aber nicht „ökonomisiert“ werden, sondern man will klare und transparente Regeln entwickeln, die einer ökonomischen Betrachtungsweise besser standhalten.

Beihilfenkontrolle ist in der EU nötig, weil die Mitgliedstaaten es mitunter schwer haben, Forderungen nach Subventionen abzuwehren, und deshalb Unterstützung brauchen. Zudem entstehen durch Beihilfen Externalitäten, etwa Auswirkungen auf andere Länder, die manchmal schädlich sein können. Eine neue ökonomische Sicht ist bei der Beurteilung der Verfälschung des Wettbewerbs durch eine Beihilfe geboten. Sie kann hinzunehmen sein, wenn ein Staat Marktversagen korrigieren will oder ein öffentliches Gut durch Private gegen Kompensation herstellen lässt. Wenn wirklich negative Auswirkungen zu befürchten sind, kann die ökonomische Anslyse dazu beitragen, solche Fälle besser zu identifizieren.

Using economic analysis to strengthen competition policy enforcement in Europe (15 Seiten)

Auch dieser Vortrag vom März 2005 beschreibt ausführlich die Arbeit des Chefökonomen und seines Teams. Danach werden drei Felder behandelt, auf denen Ökonomen zur Verbesserung der Kartellverfolgung beitragen können.

Bei der Beurteilung konkreter Fälle kann die Ökonomie Theorien für die Feststellung von Beeinträchtigungen des Wettbewerbs (harm) aufstellen, die sich dann aber in der Wirklichkeit in ihrer Auswahl und ihrer Anwendung bewähren müssen (identification problem).

Freistellungsverordnungen und Leitlinien müssen einfache, aber ökonomisch begründete Regeln enthalten. Mehr Ökonomie darf hier jedoch nicht bewirken, dass die Regeln zu bloßen Ermessenskriterien werden.

Schließlich kann die Ökonomie bei Analysen ex post und ex ante nützlich sein. Die Betrachtung ex post kann bei Entscheidungen in Kartellsachen oder in der Fusionskontrolle angewendet werden, um deren Richtigkeit im nachhinein zu überprüfen. Die Ökonomie kann dabei helfen, das Vergleichsszenario zu bestimmen (Was wäre, wenn die Entscheidung anders getroffen worden wäre?). Die Betrachtung ex ante ist hingegen für die Marktbeobachtung brauchbar (market monitoring), indem ermittelt wird, ob ein Markt funktioniert oder gestört ist. Werden dabei Probleme festgestellt, kann die Ökonomie eingesetzt werden, um das Ausmaß und damit die Priorität und den Handlungsbedarf herauszuarbeiten.

Zum Schluß werden vier Herausforderungen an die ökonomische Analyse und die Ökonomen formuliert. Die Ökonomie darf nicht dazu führen, dass die Kartellverfolgung geschwächt wird (Ökonometrie muß sinnvoll eingesetzt werden) und dass die Verlässlichkeit von Rechtsregeln beeinträchtigt wird (legal certainty and economic principles are not substitutes but complements). Ferner müssen Ökonomen in der Lage sein, ihre Erkenntnisse verständlich zu vermitteln, und schließlich sollten genügend Ressourcen in die Organisation wirtschaftlichen Sachverstandes gesteckt werden (capacity building).

Ökonomische Analyse des Begriffs „Significant Impediment to Effective Competition“ (mit Andreas Strohm, 16 Seiten)

Dieses Papier beschreibt ausführlich, wie es zu der Aufnahme des SIEC-Tests in die FKVO gekommen ist. Während das Grünbuch der Kommission noch keinen Reformbedarf konstatierte, fand sich im Ministerrat dann doch eine Mehrheit für den SIEC-Test, der an den SLC-Test (significant lessening of competition) der USA und anderer Länder angelehnt ist.

Mit diesem Test ist man von einer hauptsächlich auf die Marktstruktur bezogenen Sichtweise zur Konsumentenwohlfahrt und damit dem Preis als Hauptkriterium übergegangen. Statt vom Oligopol und kollektiver Marktbeherrschung ist jetzt in den Leitlinien die Rede von koordinierten Effekten (Fusion schafft Umfeld, in dem koordiniertes Verhalten erleichtert wird) und nicht-koordinierten (unilateralen) Effekten (allein durch den Wegfall des Wettbewerbsdrucks unter den Fusionspartnern, die nicht zum Marktführer werden, kann es dem neuen Unternehmen möglich sein, dauerhaft höhere Preise durchzusetzen). Diese neue Fallgruppe, die mit dem SIEC-Test besser erfasst werden soll, wird in dem Papier an einem Beispiel anschaulich erläutert.

Die stärkere Ausrichtung der Fusionskontrolle auf die Konsumentenwohlfahrt hat auch zur Folge, dass Effizienzen, die dem Verbraucher zugute kommen, in der Analyse berücksichtigt werden müssen. Hier kommt der Ökonomie vor allem in Europa eine größere Bedeutung zu, da bei uns die Entscheidungen anders als in den USA durchweg begründet werden müssen und die Ökonomie dafür die Argumente liefern kann.

Efficiency Gains from Mergers (mit Johan Stennek und Frank Verboven, 139 Seiten)

Dieses aus einem (nicht genannten) Buch entnommene Kapitel diskutiert sehr ausführlich die Notwendigkeit und die Grenzen einer Einbeziehung von Effizienzen in die Zusammenschlusskontrolle.