31.01.2005
Bundeskartellamt veröffentlicht Beurteilungsgrundsätze zu langfristigen Gasverträgen
Deutschland
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https://www.bundeskartellamt.de |
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Das Bundeskartellamt führt den unzulänglichen Wettbewerb bei der Versorgung mit Erdgas auf die nicht ausreichenden Durchleitungsmöglichkeiten, aber auch auf die Vertragspraxis zwischen Lieferanten (Ferngasunternehmen) und Abnehmern (hauptsächlich Stadtwerke) zurück. Die langfristige Bindung der Kunden an ihre Lieferanten verhindert, dass Wettbewerb unter den Lieferanten in nennenswertem Umfang in Gang kommt.
Die Kritik des Bundeskartellamts an dieser Situation hat jetzt ihren Niederschlag in einem Papier "Kartellrechtliche Beurteilungsgrundsätze zu langfristigen Gasverträgen" der 8. Beschlussabteilung gefunden. Alle Interessenten werden aufgefordert, dazu dem Bundeskartellamt bis zum 28. Februar 2005 ihre Meinung mitzuteilen. Damit sollen die Vorstellungen zur Marktöffnung auch im Hinblick auf ihre Praktikabilität überprüft werden:
- Das Bundeskartellamt hat die Lieferverträge von 14 Ferngasgesellschaften und 4 Erdgasförderungsgesellschaften in den Jahren 2000/01 und 2001/02 ausgewertet. Fast drei Viertel der Verträge verpflichten den Abnehmer, 80 bis 100 Prozent seines Bedarfs bei seinem Vertragspartner zu decken (Gesamtbedarfsdeckungsverträge und Quasi-Gesamtbedarfsdeckungsverträge). Nahezu alle Verträge laufen länger als vier Jahre. Das Bundeskartellamt sieht darin einen Verstoß gegen deutsches und europäisches Wettbewerbsrecht, weil diese Vertragspraxis den Markt abschottet und Wettbewerb unter den Lieferanten so gut wie ausschließt. Eine Freistellung nach Artikel 81 Absatz 3 EU hält das Amt für nicht begründbar, wobei es sich durchaus mit den Argumenten der Lieferanten – Versorgungssicherheit, eigene langfristige Vertragsbindung gegenüber den Produzenten auf einer take-or-pay-Basis und die Notwendigkeit vertragsspezifischer Investitionen – auseinandersetzt.
- Das Bundeskartellamt räumt ein, dass seine ursprüngliche Vorstellung – Überführung aller 100 Prozent-Verträge in kurzfristige Verträge mit Laufzeiten bis zu 2 Jahren – nicht praktikabel ist und insbesondere der Planungssicherheit beider Partner nicht gerecht würde. Schwierigkeiten bei der Quotierung von Verträgen ergeben sich besonders daraus, dass die Partner im Vorhinein nicht genau wissen, wie groß der Gesamtbedarf sein wird und der Lieferant für ein Kaltjahr eine bestimmte Reservemenge vorhalten muss. Hier lässt sich das Risiko des Lieferanten allerdings auf verschiedene Weise reduzieren, etwa durch großzügigere Gestaltung von take-or-pay-Abmachungen, Übertragung der in einem Warmjahr bezahlten und nicht abgenommenen Menge auf das nächste Jahr oder durch Nachbestellungsrechte.
- Als nicht ausreichend wird ein Vorschlag der Erdgasunternehmen angesehen: erster Vertrag über 50 Prozent des tatsächlichen Bedarfs mit beliebiger Laufzeit, zweiter Vertrag über 30 Prozent für vier Jahre und dritter Vertrag über 20 Prozent für zwei Jahre. Damit stünden nach zwei Jahren nur 20 Prozent der Gesamtmenge für andere Lieferanten zur Verfügung. Außerdem sei zu befürchten, dass es bei dieser Vertragsgestaltung zu einer starken Sogwirkung zugunsten des Hauptlieferanten käme.
- Das Bundeskartellamt lehnt auch verschiedene Vertragsklauseln als wettbewerbshindernd ab. Dies gilt zum einen für stillschweigende Verlängerungen, wodurch große Mengen nach Ablauf der Vertragszeit weiterhin dem Wettbewerb entzogen blieben, zum anderen für die "englische Klausel", nach der ein Abnehmer seinem Lieferanten billigere Angebote eines Dritten mitteilen und ihn zu entsprechender Preisermäßigung auffordern kann (meet or release).
- Das Bundeskartellamt hält drei Modelle für rechtskonform:
Modell 1
Lieferant 2 liefert mindestens 20 Prozent der effektiven Jahresmenge in festgelegten Monatsmengen, der Hauptlieferant liefert die übrige Menge und deckt auch die Bedarfsschwankungen ab.
Modell 2
Lieferant 2 liefert wie bei Modell 1 mindestens 20 Prozent, Lieferant 1 deckt Bedarfsschwankungen bis zur Höhe der kontrahierten Leistung ab. Über verbleibende Leistungsspitzen wird eine zusätzliche Vereinbarung getroffen.
Modell 3
Beide Lieferanten liefern strukturgleiche Mengen (etwa 20 Prozent und 80 Prozent), die Bedarfsschwankungen decken beide nach der Größe ihres Lieferanteils ab.