21.10.2005

Bericht über die XXXIV. Brüsseler Informationstagung des FIW

FIW
Brüsseler Informationstagung

Eigener Bericht


Die Brüsseler Informationstagung des FIW über "Neuere Entwicklungen im europäischen Wettbewerbsrecht" fand am 6. Oktober 2005 im Hotel Meridien statt und war mit über 100 Teilnehmern wiederum sehr gut besucht. Die Tagung war erneut von den Rechtsanwälten Dr. Ferdinand Hermanns und Johann Brück (der die Veranstaltung auch moderierte) konzipiert worden.

Die Veranstaltung wurde am Vorabend mit dem traditionellen Abendessen im Restaurant "Cygne" am Grande Place eröffnet. Das FIW konnte dazu den Generaldirektor der Generaldirektion Wettbewerb, Philip Lowe, begrüßen, der auch die Tischrede hielt. Unter den Gästen waren zahlreiche seiner Mitarbeiter, was den Teilnehmern der Tagung Gelegenheit zu angeregtem Gedankenaustausch bot.

Modernisierung des EU-Beihilfenrechts

Dr. Dr. Wolfgang Mederer, in der Generaldirektion Wettbewerb für "Beihilfen-Netzwerk und Transparenz" zuständig, stellte den neuen Ansatz in der Beihilfenpolitik vor, der im "Aktionsplan für die Beihilfenkontrolle" angekündigt worden ist:

Mit einem ökonomischen Ansatz will sich die Kommission auf das Wesentliche konzentrieren, die Verfahren effizienter und transparenter gestalten und die Partnerschaft mit den Mitgliedstaaten ausbauen. Man hofft, damit den Trend sinkender Beihilfen, der sich zuletzt verlangsamt hat, wieder zu verstärken.

Für eine Beschränkung auf das Wesentliche setzt die Kommission auf Ausweitungen der de-minimis-Regelung und Gruppenfreistellungen, besonders für KMU-Beihilfen und im Bereich der Daseinsvorsorge. Der ökonomische Ansatz wird dabei zur Abwägung der Auswirkungen einer Beihilfe verwendet werden, was Untersuchungen der Zielgerichtetheit, der Notwendigkeit und der Minimierung einer Beeinflussung von Handel und Wettbewerb umfasst.

Bei der Verbesserung der Verfahren sind drei Felder in den Blick genommen worden: die Optimierung interner Abläufe, die Ausarbeitung von Leitlinien für bewährte Praktiken (best practice guidelines) und die Änderung der Verfahrensordnung (mehr feste Fristen im Verfahren, bessere Gliederung des Verfahrens, bessere Information über das Internet, Effizienzen durch Marktuntersuchungen, mehr Anwältedisziplin mit "Null-Toleranz".

Die Kommission will folgenden Zeitplan einhalten:

Die Verfolgung von Hardcore-Kartellen als neuer Schwerpunkt der Kartellbehörden

Dr. Markus Wagemann, Vorsitzender der 11. Beschlussabteilung des Bundeskartellamtes, referierte über die Konsequenzen, die sich aus den europäischen Rechtsänderungen für das Bundeskartellamt ergeben (zu den Plänen des Bundeskartellamts auch FIW-Aktuelles vom 29.9.2005):

2004/2005 hat das Bundeskartellamt zahlreiche Bußgeldentscheidungen erlassen (Papiergroßhandel, Partnerverträge, Pflegemittel, Transportbeton, verschiedene Verstöße gegen das Vollzugsverbot). Eine Reihe von Durchsuchungen hat stattgefunden (2002: 8 Durchsuchungen bei 149 Unternehmen, 2003 7 bei 198, 2004 11 bei 154, 2005 5 bei 50). Neu anhängige Bußgeldverfahren betreffen Zement, Abbruchunternehmen, Gussentwässerungsrohre, Papier, Fernwärmerohre, Entsorgung, Heizkörper, Parfümerien und Ferienflüge.

Die 7. GWB-Novelle hat Änderungen gebracht: die Verschärfung der Bußgeldvorschriften und die Erleichterung der privaten Rechtsdurchsetzung als Gegengewichte zum Prinzip der Legalausnahme. Mit dem Schadensersatz hat sich vor Kurzem die "Professorenkonferenz" des Bundeskartellamtes ausführlich befasst (vgl. FIW-Aktuelles vom 4.10.05).

Altfälle werden bußgeldrechtlich nach altem Recht, nicht abgeschlossene, in die Vergangenheit reichende Fälle nach neuem Recht beurteilt.

Das Bundeskartellamt überarbeitet die Bonusregelung von 2000. Der neue Text soll noch 2005 veröffentlicht werden ("Erlass und Reduktion von Geldbußen in Kartellsachen"). Die Kommission hat 2004 49 Anträge in 25 Fällen erhalten (für 2005 sind die Zahlen höher), das Bundeskartellamt seit 2000 12 Anträge.

Die wichtigsten Regelungsbereiche der neuen Bekanntmachung werden sein:

Das Bundeskartellamt arbeitet auch an Leitlinien zur Bußgeldbemessung. Hier ist noch manches ungeklärt, besonders der Anwendungsbereich (nur Hardcore-Kartelle und Artikel 82 oder alles?), die Zurechnung im Konzern, die Annahme eines Grundbetrages nach Schwere des Verstoßes mit schärfenden und mildernden Faktoren und unter Berücksichtigung der Dauer des Verstoßes; die Mitteilung der Kommission ist insgesamt für das Bundeskartellamt ein Vorbild.

Überlegungen zur künftigen Anwendung des Missbrauchsverbotes von Artikel 82 EU

Michael Albers, Leiter der Abteilung Kartellpolitik in der Generaldirektion Wettbewerb, sprach über die Überprüfung der Praxis zu Artikel 82 EU, die gegenwärtig in der Generaldirektion vorgenommen und mit den Mitgliedstaaten diskutiert wird:

Die Initiative hat drei Gründe: die Verwirklichung des ökonomischen Ansatzes, der auch hier stärker angewendet werden soll, eine effizientere Verteilung der Ressourcen und besserer Schutz der Verbraucher sowie die Entwicklung von Leitlinien zur Erhöhung der Berechenbarkeit.

Artikel 82 EU betrifft einseitiges Verhalten marktbeherrschender Unternehmen. Man unterscheidet üblicherweise Missbrauch durch Ausbeutung, Behinderung, Diskriminierung sowie Strukturmissbrauch. Die Überlegungen zum Behinderungsmissbrauch sind am weitesten fortgeschritten.

Behinderungsmissbrauch richtet sich auf Monopolisierung, die Abwehr vorstoßenden Wettbewerbs und die Ausweitung der Marktmacht auf Drittmärkte. Hauptproblem ist seine Abgrenzung zum Leistungswettbewerb ("competition on the merits"):

In der Diskussion sind mehrere Beurteilungsmaßstäbe entwickelt worden:

Bei den verschiedenen Praktiken sind diese Tests verschieden gut anwendbar, so der Test des effizienten Wettbewerbers am besten bei Kampfpreise, Treuerabatten oder Gesamtumsatzrabatten (Kann der Wettbewerber mithalten, oder muss er ausscheiden? Maßstab: Kosten des Marktbeherrschers).

Muss es bei Artikel 82 eine Rechtfertigung wie Artikel 81.3 geben? Dazu neigt die Kommission und will einen Effizienzeinwand zulassen (Eintritt von Effizienz wahrscheinlich, verhaltensbedingt, Nachteile des Ausschlusses werden aufgewogen, keine vollständige Beseitigung des Wettbewerbs). Wahrscheinlich wird diese Verteidigung aber in der Praxis eine geringe Wirkung haben. Die Generaldirektion Wettbewerb erörtert derzeit ihr "Thesepapier" mit den Mitgliedstaaten. Es ist noch ungeklärt, ob das Papier am Ende zu einer Leitlinie gedeihen wird.

Article 82: In Search of the Right Standard

Jean-Yves Art, Director of Competition Law von Microsoft in Brüssel, ergänzte das voraufgegangene Referat durch Überlegungen, die das Konzept der Kommission eher kritisch bewerteten:

Artikel 82 soll den Wettbewerb schützen. Dafür braucht man Wettbewerber, aber welche Wettbewerber? Die Maximierung der Konsumentenwohlfahrt soll durch Wettbewerber erreicht werden, aber durch welche Wettbewerber in welcher Weise?

Entscheidend sollte es auf die Effizienz ankommen, die ein unternehmerisches Verhalten mit sich bringt. Sind Effizienzen nachweisbar, sollte dies die Vermutung legalen Verhaltens begründen. Die Wettbewerbsbehörden hätten dann die Beweislast für einen Wettbewerbsverstoß. Ein Verhalten sollte nur dann verboten sein, wenn die Effizienzen notwendigerweise nur verwirklicht werden können, indem Wettbewerber ausgeschaltet werden.