26.10.2004
US-Fusionskontrolle: Justizministerium veröffentlicht Leitlinien über Abhilfen
USA
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https://www.usdoj.gov/atr/public/guidelines
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Das Department of Justice (DoJ) hat am 23. Oktober 2004 einen "Antitrust Division Policy Guide to Merger Remedies" veröffentlicht (25 Seiten und 8 Seiten Anmerkungen und Fußnoten). Er stellt die wettbewerbspolitischen Erwägungen der Behörde und ihre ökonomischen Grundlagen dar. Für die Parteien eines Zusammenschlusses und ihre Berater ist dies eine Unterlage, auf die sie sich bei ihren Verhandlungen berufen können.
Die Federal Trade Commission hatte im Mai 2003 ein ähnliches Dokument veröffentlicht: "Statement on Negotiating Merger Remedies" (FIW Archiv, 2. Juni 2003).
Der Leitfaden des DoJ besteht aus fünf Teilen: einem Überblick, den Leitprinzipien, Hinweisen zur Festlegung der richtigen Abhilfe, Hinweisen zur Durchführung der Abhilfemaßnahmen und zum Enforcement.
Überblick
Verringert ein Zusammenschluss den Wettbewerb erheblich und verstößt er deshalb gegen sec. 7 Clayton Act, kann das DoJ ein gerichtliches Verbot erwirken, aber auch versuchen, den Zusammenschluss in Verhandlungen mit den Parteien so zu verändern, dass die Wettbewerbsbedenken ausgeräumt werden. Dafür gibt es zwei Wege:
- Die Parteien ändern den Zusammenschluss strukturell vor dem Vollzug und DoJ ist damit einverstanden: dann wird der Fall damit abgeschlossen ("fix-it-first remedy").
- Der Zusammenschluss wird vollzogen, aber die Parteien machen Zugsagen, die in einem Consent Decree niedergelegt und damit durchsetzbar werden.
Leitprinzipien
- Der Zusammenschluss muss sec. 7 Clayton Act verletzen.
- Die Abhilfe muss unter Anwendung rechtlicher und wirtschaftlicher Grundsätze dem Einzelfall angepasst werden.
- Ziel ist die Wiederherstellung des Wettbewerbs, nicht aber seine Verbesserung und auch nicht der Schutz einzelner Wettbewerber.
- Die Abhilfe muss durchsetzbar sein (eindeutige Formulierung der Verpflichtungen).
- DoJ wird genügend Ressourcen aufwenden, um die Erfüllung der Abhilfen zu überwachen.
Festlegung der Abhilfen (fashioning the remedy)
- Strukturelle Abhilfen werden vorgezogen. Verhaltensorientierte Abhilfen verursachen Überwachungskosten, geben dem Unternehmen Anreize zur Umgehung, sind manchmal wettbewerbsbehindernd (Beispiel: Verbot jeglicher Preisdiskriminierung) und tragen Änderungen des Marktgeschehens nicht immer Rechnung.
- Eine Veräußerung muss den Erwerber in die Lage versetzen, langfristig ein wirksamer Wettbewerber zu sein. Es muss aber auch hinreichend sicher sein, dass der Erwerber auf dem relevanten Markt und nicht anderswo tätig wird. Bei der Bestimmung der Abhilfe sollte mit einer gewissen Flexibilität vorgegangen werden, denn die Bedürfnisse potentieller Erwerber können durchaus unterschiedlich sein (different bidders´ needs).
- Die Veräußerung eines ganzen Unternehmensteils ist anzustreben. Dies erlaubt am besten die Abschätzung, ob dadurch der Wettbewerb wiederhergestellt werden kann. Das fusionierte Unternehmen wird hier so wenig wie möglich anbieten, gleichzeitig sind aber auch die Interessen des Erwerbers nicht mit dem Gemeinwohl identisch. Deshalb muss das DoJ hier mit großer Vorsicht vorgehen. In manchen Fällen verbietet sich diese Abhilfe (keine abtrennbaren Unternehmensteile vorhanden).
Es kann auch sein, dass der Erwerber bereits selbst über bestimmte eigene Einrichtungen verfügt (Vertriebssystem), die an sich zu dem Unternehmensteil gehören würden. Schließlich kann man die Veräußerung mehr als eines einzigen Unternehmensteils vorsehen, wenn etwa der Erwerber nur mit einer vollen Produktpalette wettbewerbsfähig ist, selbst wenn die Wettbewerbsbedenken nur hinsichtlich einzelner Produkte bestehen. - Die Veräußerung kann sich auf immaterielle Güter erstrecken, besonders auf Schutzrechte oder know-how. Bei Schutzrechten kommt Lizenzierung in Frage, kann aber im Einzelfall nicht ausreichen und eine Übertragung an den Erwerber notwendig machen (etwa bei Marken). Lizenzierung wird meist bei Verfahrenspatenten die richtige Abhilfe sein, weniger bei Produktpatenten, Marken oder Urheberrechten. Auch eine Lizenzierung an alle Nachfrager kann in Betracht kommen (die beiden größten Unternehmen fusionieren, alle anderen Wettbewerber liegen weit dahinter und sollten deshalb sämtlich gestärkt werden).
- Verhaltenszusagen sind nur in Einzelfällen angezeigt. Dies kann der Fall sein, wenn ohne solche Zusagen eine strukturelle Maßnahme nicht greifen würde (der Erwerber braucht eine Lieferzusage, die aber nur von kurzer Dauer sein sollte, oder der Erwerber muss für eine gewisse Zeit darauf verzichten, überlassenes Personal bei sich wieder einzustellen).
Als alleinige Maßnahme kommen Verhaltenszusagen am ehesten in Industrien in Frage, die bereits staatlich überwacht werden (kein großer zusätzlicher Aufwand) oder wenn eine strukturelle Maßnahme Effizienzen vernichten würde (Beispiel: Aufteilung eines Vertriebssystems). Häufigste Verhaltenszusage sind die Einrichtung von Firewalls (Beispiele aus der Rüstungsindustrie und bei vertikalen Zusammenschlüssen), Nichtdiskriminierungs-Zusagen (fair dealing) und Transparenz-Bestimmungen (Beispiel: Information an Überwachungsbehörde zwecks Preiskontrolle).
Durchführung der Zusagen (implementation)
- Eine "fix-it-first"-Lösung erlaubt Flexibilität, weil die Veräußerung auf einen bestimmten Erwerber zugeschnitten werden kann. Sie ist außerdem schneller, scheidet aber aus, wenn eine Überwachung durch das DoJ notwendig ist.
- Bei Consent Decrees ist fast immer eine Hold-Separate-Verpflichtung vorzusehen. Sie ist "extremely important".
- Eine zugesagte Veräußerung sollte so schnell wie möglich stattfinden, normalerweise innerhalb von 60 bis 90 Tagen mit Verlängerungsmöglichkeit.
- Das DoJ muss dem Erwerb zustimmen und den Erwerber billigen (er darf nicht zum Marktbeherrscher werden, muss die Absicht zum Wettbewerb im relevanten Markt haben und dazu auch in der Lage sein - "fitness test" - ).
- Der Preis, den der Erwerber zahlt, spielt für das DoJ in der Regel keine Rolle. Ist der Preis allerdings zu niedrig (Maßstab: Liquidationswert), kann dies darauf hindeuten, dass der Erwerber die Vermögensteile nicht im Markt belassen will, ist der Preis zu hoch, kann dies eine angestrebte Marktbeherrschung anzeigen oder die finanzielle Wettbewerbsfähigkeit des Erwerbers in Frage stellen.
- Einschränkungen hinsichtlich der Weiterveräußerung der erworbenen Unternehmensteile durch den Erwerber werden nicht zugelassen. Grund sind mögliche Veränderungen des Marktes, denen der Erwerbern entsprechen können muss.
- Die Finanzierung des Erwerbs durch den Veräußerer wird missbilligt (strongly disfavored).
- Dies gilt auch für den Rückgriff auf "Kronjuwelen", falls die ursprünglich vorgesehene Veräußerung nicht möglich ist (damit wird gegenüber der vorgesehenen Abhilfe entweder weniger Wettbewerb erreicht oder der Veräußerer unangemessen benachteiligt).
- In Consent Decrees müssen Vorschriften über Treuhänder enthalten sein (selling trustee, operating trustee, monitoring trustee).
Enforcement
Das DoJ unterstreicht seine Bereitschaft, Veräußerungsvorgänge, die Eignung des Erwerbers und alle Beziehungen zwischen Veräußerer und Erwerber so zu überwachen, dass die Wettbewerbsfähigkeit des Erwerbers sichergestellt wird.
Bei Verletzung eines Consent Decree kann das DoJ Verfahren wegen Missachtung des Gerichts (Contempt of Court) einleiten, die zu zivilrechtlichen oder strafrechtlichen Rechtsfolgen oder zu beidem führen können. Es werden Beispiele zitiert, wo dies bereits geschehen ist.