13.04.2004
Sondergutachten der Monopolkommission zur Pressefusionskontrolle in der GWB-Novelle
Deutschland
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https://www.monopolkommission.de |
Nur wenige Tage nach dem ersten hat die Monopolkommission ein zweites Sondergutachten zur geplanten Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vorgelegt, diesmal zur "Pressefusionskontrolle in der Siebten GWB-Novelle". Auf 54 Seiten nimmt die MK ausführlich zu den Vorschlägen des Referentenentwurfs vom Dezember 2003 Stellung.
Aus dem Gutachten ist hervorzuheben (in Klammern die Randnummern des Gutachtens):
Rechtslage bei Pressefusionen und Reformvorschläge (17 – 21)
- Für die allgemeine Fusionskontrolle gelten zwei Schwellenwerte: 500 Mio. € Gesamtumsatz weltweit, 25 Mio. € Inlandsumsatz eines Beteiligten. Da die Umsätze im Pressebereich nach der Presserechenklausel des § 38 Abs. 3 GWB mit 20 multipliziert werden, senken sich die beiden Werte für diesen Markt auf 25 Mio. und 1,75 Mio. € ab.
Der Referentenentwurf schlägt den Multiplikator 10 vor, sodass sich die beiden Werte auf 50 Mio. und 3,5 Mio. € erhöhen würden und der Bereich der Pressefusionskontrolle dadurch eingeschränkt würde. - Die "Anschlussklausel" (§ 35 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 GWB) nimmt einen Zusammenschluss von der Fusionskontrolle aus, wenn sich ein kleines Unternehmen mit weniger als 10 Mio. € Weltumsatz mit einem anderen Unternehmen zusammenschließt. Dies gilt heute nicht für die Pressefusionskontrolle.
Der Referentenentwurf sieht hingegen für die Presse eine Anschlussklausel in Höhe von 2 Mio. € Gesamtumsatz vor. - Auf Bagatellmärkten findet die Fusionskontrolle nicht statt. Um einen solchen Markt handelt es sich, wenn die Gesamtumsätze aller Unternehmen 15 Mio. € nicht übersteigen (§ 35 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 GWB). Dies gilt heute auch für Pressefusionen, wobei der Betrag wegen der Presserechenklausel ein Zwanzigstel beträgt, also 0,75 Mio. €.
Der Referentenentwurf will diesen Betrag auf 1,5 Mio. € verdoppeln. - Bei Marktbeherrschung werden heute Zusammenschlüsse untersagt. Bei Pressefusionen soll dies nicht gelten, wenn der Veräußerer oder ein unabhängiger Dritter mit mehr als 25 Prozent am fusionierten Unternehmen beteiligt bleibt, ihm das Titelrecht der erworbenen Zeitung weiterhin gehört und ihm ein Mitbestimmungs- oder Vetorecht bei Entscheidungen zusteht, die für den selbstständigen Erhalt der erworbenen Zeitung wesentlich sind.
Anhebung der Aufgreifkriterien (64 ff)
- Die MK sieht die Anhebung "als noch hinnehmbar" an. Die Vorschläge liegen insoweit "im Rahmen des wirtschaftlich Vertretbaren" (73). Weitergehende Vorschläge der Verlegerschaft lehnt die MK ab. Dies würde weniger die Kooperationsmöglichkeiten kleiner Verlage verbessern als vielmehr großen Verlagen die Bildung flächendeckender Zeitungsketten erlauben (74).
- Die Abschätzung der wirtschaftlichen Konsequenzen des Referentenentwurfs auf den Zeitungsmarkt ist schwierig, denn dafür müssen Umsätze in Auflagen umgerechnet werden (69). Die MK räumt ein, dass ihre Zahlen die Auswirkungen "möglicherweise nur sehr verzerrt" wiedergeben (72).
- Bei Anhebung des allgemeinen Aufgreifkriteriums von 25 auf 50 Mio. € würden Zusammenschlüsse mit einer gemeinsamen Auflage von ca. 120.000 Stück (bisher ca. 60.000) kontrollfrei. Durch die Einführung einer Anschlussklausel in Höhe von 2 Mio. € könnten Zeitungen mit einer Auflage bis 5.000 Stück unkontrolliert erworben werden. Bei Verdoppelung der Bagatellmarktklausel auf 1,5 Mio. € könnten Zeitungen bis zu einer Auflage von 8.000 Stück (heute 5.000) aufgekauft werden (71).
- Zu den von der Änderung betroffenen Zeitungstiteln errechnet die MK folgende Zahlen (72): Erhöhung des Aufgreifkriteriums = 120.000 Stück Gesamtauflage kontrollfrei = 179 regionale Titel; Einführung der Anschlussklausel = 23 Titel (72)).
Ausnahmen vom Untersagungskriterium ("Vorkehrungs-Modell", 75 ff)
- Die Monopolkommission empfiehlt dem Gesetzgeber dringend, von der Einführung eines Ausnahmetatbestandes für Pressefusionen abzusehen. "Viele der ... Schwächen des Entwurfs sind nicht etwa Detailprobleme, die im weiteren Gesetzgebungsverfahren noch korrigiert werden könnten. Vielmehr resultieren sie aus dem grundlegenden Ansatz des Entwurfs, beim Schutz der publizistischen Vielfalt zukünftig nicht mehr auf den wirtschaftlichen Wettbewerb, sondern auf konzerninterne Vereinbarungen zu setzen" (125).
- Bei der Fusion von zwei Regionalzeitungen bestünde für den Verleger trotz redaktioneller Trennung aufgrund der Marktbeherrschung die Möglichkeit, die Preise für beide Zeitungen zu erhöhen oder die Qualität der Blätter abzusenken (77).
- Es ist unklar, was unter der "nachhaltigen Sicherung der publizistischen Vielfalt" zu verstehen ist (80 ff). Die Zeitung oder Zeitschrift soll "als selbstständige publizistische Einheit" erhalten bleiben. Sind Zeitungen, deren "Mantel" übereinstimmt, eine oder zwei solcher Einheiten? Wieviel redaktionellen Inhalt muss eine Zeitung selbst noch anfertigen, um als selbstständig zu gelten? Wieviel Inhalt darf nach der Fusion für alle Zeitschriften des Verlages zentral erstellt werden (82, 83)? Wann geht durch fortlaufende Änderungen schleichend oder stufenweise die Selbstständigkeit verloren? Wie berücksichtigt man Änderungen des wirtschaftlichen Umfelds (85)?
- Werden die Rechte des Minderheitsgesellschafters abgesichert (Vetorecht, Mitbestimmung), so soll eine Vermutung für den Erhalt der publizistischen Selbstständigkeit sprechen. Die MK sieht den Veräußerer oder einen Dritten in dieser Position nicht unbedingt als Garanten der Selbstständigkeit. Er verfolgt eigene wirtschaftliche Interessen. Warum sollte er sich in schwierigen Lagen gegen die Entscheidung des Erwerbers stellen? Wie verhalten sich Erbengemeinschaften, die an der Zeitung vielleicht weniger interessiert sind? Kann sich der Erwerber nicht von vornherein eine Art Strohmann aussuchen (106 – 110)?
- Wie verhält es sich, wenn der Erwerber die erworbene Zeitschrift aufrecht erhält, dafür aber ("zum Ausgleich") einen anderen Titel einstellt, den er bereits besitzt (113)?
- Theoretisch könnten nach dem Gesetzentwurf alle Blätter in Deutschland in einer Hand vereinigt werden, wenn nur entsprechende "Vorkehrungen" getroffen werden (118).
- Das Bundeskartellamt ist mit einer laufenden Verhaltenskontrolle überfordert. Sie bringt die Verlage zudem in eine Staatsnähe, die ihre Unabhängigkeit gefährden kann (92). Der Überwachungsaufwand wäre beträchtlich (93). Kann das Amt überhaupt prognostizieren, ob die privatrechtlichen Abmachungen zwischen Veräußerer und Erwerber zur Sicherung des Fortbestandes der Zeitung ausreichen (97, 98)? Kann es verlässlich prüfen, was gelten soll, wenn sich die Parteien für andere Abmachungen entscheiden, etwa für ein Stiftungsmodell (Vorschlag Holtzbrinck im Ministererlaubnisverfahren, 99).
- Ist die Entflechtung einer Fusion als Folge eines Verstoßes gegen die Auflagen überhaupt durchführbar (104), vor allem dann, wenn eines der beiden Blätter in die Insolvenz zu geraten droht? Wie lange soll das Amt überhaupt kontrollieren, wie trägt es geänderten Marktverhältnissen dabei Rechnung (105)? Wie ist die Gefahr von Ministerweisungen an das Amt einzuschätzen, wie geht das Amt mit politischem Druck um (123, 124)?
Vorschläge der Monopolkommission
- Eine Vorhersage der Entwicklung im Pressebereich ist schwierig. Verschlechtert sich die Nachfrage aber tatsächlich so sehr, dass einige Titel ausscheiden müssten, kann auch eine staatliche Verhaltenskontrolle diese Entwicklung nicht aufhalten (130). Die Übernahme deutscher Zeitungen und Zeitschriften durch ausländische Interessenten hält die MK für wenig wahrscheinlich, denn dies liefe praktisch auf den Erwerb zahlreicher kleiner Verlage hinaus, was mit hohen Transaktionskosten für den Erwerber verbunden wäre (132).
- Die Praxis des Bundeskartellamts sollte vielmehr in zwei Punkten fortentwickelt werden. Zum einen könnte eine veränderte Marktabgrenzung erforderlich sein (135, 136), zum anderen sollten Sanierungsfusionen großzügiger beurteilt werden, besonders hinsichtlich des Erfordernisses, dass dem Erwerber im Fall der Insolvenz alle Marktanteile des ausscheidenden Unternehmens zuwachsen würden (137 – 140).