29.03.2004
Monopolkommisssion: Sondergutachten zur GWB-Novelle
Deutschland
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Die Monopolkommission hat am 23. März 2004 ein Sondergutachten "Das allgemeine Wettbewerbsrecht in der Siebten GWB-Novelle" veröffentlicht. Sie nimmt darin zu dem Referentenentwurf des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit vom 17. Dezember 2003 Stellung. Das 71 Seiten starke Gutachten ist ein wichtiger Beitrag für das Gesetzgebungsverfahren, das in den nächsten Wochen eingeleitet werden wird.
Den Schwerpunkt legt die MK auf einen Bereich, der in der Fachdiskussion bisher etwas vernachlässigt worden ist: die Vorschläge des BMWA zur zivilrechtlichen Durchsetzung des Kartellrechts werden auf 35 Seiten einer ausführlichen Analyse unterzogen. Hingegen enthält das Gutachten keine Ausführungen zur geplanten Erleichterung von Pressefusionen, weil die MK dazu bereits in den beiden Sondergutachten zum Fall Holtzbrinck/Berliner Verlag (Ministererlaubnisverfahren) ihre kritische Haltung kundgetan hat.
Im Einzelnen ist aus dem Gutachten hervorzuheben (die Zahlen in Klammern beziehen sich auf die Nummerierung der Absätze):
Anpassung des GWB an das EU-Kartellrecht
- Die MK hatte das System der Legalausnahme bisher abgelehnt. Nachdem es nun aber durch die VO 1/2003 für die Mitgliedstaaten verbindlich eingeführt worden ist, soweit Sachverhalte den zwischenstaatlichen Handel berühren, schließt sich die MK der Auffassung des BMWA an und befürwortet eine Ausdehnung dieses Prinzips auch auf Fälle ohne zwischenstaatliche Auswirkungen. Die Vorteile einer solchen Anpassung des deutschen Rechts überwiegen die Nachteile (12).
- Die MK unterstützt auch die Beibehaltung der deutschen Regeln zur Missbrauchsaufsicht, für die sich die Bundesregierung in den Brüsseler Verhandlungen mit Erfolg engagiert hatte (15).
- Die MK empfiehlt die sofortige Vollziehbarkeit aller kartellamtlichen Missbrauchsverfügungen in Fällen des § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB (Netzzugang), nicht nur für den Energiebereich, für den die Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes dies vor kurzem eingeführt hat (17).
Befugnisse der Kartellbehörden
- Die neue Enquete-Befugnis des Bundeskartellamtes empfindet die MK nicht als Konkurrenz, sondern als ergänzendes zweckmäßiges Instrument, weil sie selbst bei ihren Untersuchungen auf die freiwillige Mitarbeit der Unternehmen angewiesen sei (22).
- Die MK hält es auch für richtig, durch Ausschluss von § 30 Abs. 4 OwiG für das Kartellrecht selbstständige Bußgeldverfahren gegen Unternehmen zu ermöglichen (27).
Zivilrechtliche Durchsetzung des Kartellrechts
- Die MK spricht sich für Verschärfungen aus, die über die Vorschläge des BMWA teilweise weit hinausgehen. Sie stellt dies unter die Stichworte: Ausweitung des klagebefugten Personenkreises, Verringerung des Prozessrisikos (Beweiserleichterungen, Minimierung des Kostenrisikos), Erhöhung der Schadensersatzleistung (37).
- Der Schadensersatzanspruch soll nicht mehr von einer Schutzgesetzverletzung abhängen. Es ist klarzustellen, dass zu den "Betroffenen", die klagen können, auch die Endverbraucher gehören (38, 39, 72).
- Der Nachweis einer Kartellabsprache soll dem Kläger erleichtert werden. Das BMWA tendiert in dieselbe Richtung (40).
- Sehr eingehend setzt sich die MK mit dem Vorschlag auseinander, die Zivilgerichte sollten künftig an rechtskräftige Entscheidungen inländischer und ausländischer Gerichte und Wettbewerbsbehörden gebunden sein, soweit darin ein Kartellverstoß festgestellt wird. Für Entscheidungen der deutschen Wettbewerbsbehörden und der Europäischen Kommission hält die MK dies für zutreffend (42). Dies sollte dann aber nicht nur für Schadensersatzprozesse, sondern für alle Zivilverfahren (auch für Klagen aus einem Vertrag) gelten (45). Die Wirkung solcher Entscheidungen sollte nur gegenüber den Adressaten eintreten, nicht aber gegenüber allen anderen darin Genannten, damit Unternehmen nicht wegen dieser Bindungswirkung auf die Kronzeugenregelung verzichten (44).
Die Bindung an Entscheidungen ausländischer Gerichte und Behörden lehnt die MK ab. Dies wäre eine von der VO 1/2003 nicht geforderte deutsche Vorleistung und ginge über die normale Anerkennung ausländischer Urteile weit hinaus (49 – 52). Sind im ausländischen Verfahren Verfahrensgarantien verletzt worden, müssten die Entscheidungen gleichwohl anerkannt werden, was nach Ansicht der MK Gemeinschaftsrecht verletzt (54). Daher kann allenfalls in Betracht kommen, solchen Entscheidungen im deutschen Verfahren die Wirkung einer widerleglichen Vermutung beizulegen (55). - Im Verfahren soll der Kläger seiner Beweislast schon genügen, wenn er konkrete Anhaltspunkte für ein kartellwidriges Verhalten darlegt (56). Statt Liquidierung des eigenen Schadens soll der Kläger auch, wie der Entwurf vorsieht, den anteiligen Gewinn des Schädigers verlangen können (57, 58).
- Die MK schließt sich dem BMWA an, das den Verzicht auf die "Passing-On Defense" vorschreiben will (67). Diese Verteidigungsmöglichkeit (Kläger hat den erhöhten Kartellpreis an seine Abnehmer weitergeben können) verstößt gegen den Zweck der Schadensersatzpflicht und entlastet den Schädiger unbillig.
- Skeptisch beurteilt die MK die Erwartung, außer dem unmittelbaren Abnehmer würden sich auch weitere Abnehmer in der Verteilerkette zur Klage gegen die Kartellanten entschließen (70, 71). Wohl aus diesem Grund tritt die MK für Klagerechte von Verbraucherverbänden ein.
- Die MK hält es für angebracht, es nicht bei der bloßen Schadensersatzpflicht der Kartellanten zu belassen, sondern im Interesse von Prävention und Abschreckung darüber – ähnlich wie im amerikanischen Recht – hinauszugehen. Sie sieht dafür im deutschen Recht bereits Ansatzpunkte in anderen Bereichen (doppelter Schadensersatz der GEMA, Fangprämie beim Ladendiebstahl, Rechtsprechung zum Persönlichkeitsschutz, 79, 80). Sie orientiert sich an den "treble demages" des amerikanischen Rechts, meint aber, für Deutschland reiche der doppelte Schadensersatz aus (83).
- Die MK regt an, auch Verbraucherverbänden ein Recht auf Schadensersatz zu geben und es nicht bei Beseitigungs- und Unterlassungsansprüchen zu belassen (85, 86). Da die Feststellung, wie viele Verbraucher geschädigt sind, schwierig sein kann, will die MK Schätzungen zulassen. Ist es zu schwierig, die erstrittenen Beträge an die einzelnen Geschädigten auszuschütten, soll sie der Verband behalten dürfen (93). Die Gefahr des Missbrauchs sieht die MK nicht, weil das Verbandsklagengesetz nur "qualifizierten" Verbänden die Verbandsklage zugesteht.
- Auch die Vorteilsabschöpfung durch Verbände findet die Zustimmung der MK, aber den Mehrerlös sollte der Verband nicht an das Bundeskartellamt herausgeben müssen, sondern anderen Verbänden zuwenden oder für Verbraucherprojekte einsetzen dürfen (95).
Fusionskontrolle
- Die MK lehnt jede Einschränkung des Drittrechtsschutzes gegen Zusammenschlüsse ab (102). Zumindest müsste es Ausnahmen für Verbraucherverbände geben, damit sie ohne Darlegung einer subjektiven Rechtsverletzung gegen Fusionen vorgehen können (102). Auch hier sollte ein besonderes Klagerecht für Verbraucherverbände eingeführt werden (105). Missbräuche befürchtet die MK auch in diesem Bereich nicht (106).
- Die MK verlangt eine Regelung, die Verhaltensauflagen eindämmt: "Eine laufende Verhaltenskontrolle liegt im Zweifel dann vor, wenn die Bedingungen oder Auflagen Handlungen zum Gegenstand haben, die mehr als zwei Jahre nach Bestandskraft der Entscheidung des Bundeskartellamts vorzunehmen sind" (119).
Ausnahmebereiche
- Die Rückführung der Ausnahmebereiche in der Novelle findet den Beifall der MK (122).