13.05.2004
Makan Delrahim (Department of Justice); Vortrag über Zwangslizenzen
USA
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https://www.usdoj.gov/atr/public/speeches |
Mr. Makan Delrahim ist Deputy Assistant Attorney General in der Wettbewerbsabteilung des amerikanischen Justizministeriums. Er hat am 10. Mai 2004 vor dem British Institute of International and Comparative Law in London einen Vortrag über die amerikanische Haltung zu Zwangslizenzen an gewerblichen Schutzrechten und Urheberrechten gehalten, der in Europa auf großes Interesse stoßen sollte ("Forcing firms to share the sandbox: compulsory licensing of intellectual property rights and antitrust").
Mr. Delrahim befasst sich mit Zwangslizenzen in Antitrust-Fällen, während er Zwangslizenzen in Fusionsfällen (als mildere Alternative zu einer Entflechtung) nur am Rande erwähnt. Ausgehend von der Rechtsprechung in den USA stellt er einen Vergleich mit der EU an, beschreibt dann die politischen Abwägungen bei der Anordnung von Zwangslizenzen, zählt verschiedene praktische Gesichtspunkte auf und schließt auch mit praktischen Hinweisen.
Geschichte
In den USA begriff man die Debatte über Zwangslizenzen sehr lange als eine Auseinandersetzung zwischen Patentrecht und Kartellrecht, wobei die eine oder andere Seite gewinnt oder verliert. Dieser Konflikt durchzieht die frühen Entscheidungen des Supreme Court (Besser Manufacturing 1952, General Electric 1953, Glaxo 1973), bis 1980 ein gewisser Umschwung festzustellen war (Dawson Chemical: Zwangslizenzen sind die seltene Ausnahme vom Patentsystem). Die Berufungsgerichte haben sich, außerhalb von Urheberrechtsfällen im Musikbereich, kaum mit Zwangslizenzen beschäftigt. Ausnahme ist Microsoft 2002. Insgesamt ist keine klare Linie zu erkennen ("a bit of a confusing record").
In der EU sind drei Entscheidungen zu erwähnen: Magill 1995 und die jüngste Entscheidung des EU-GH vom 29. 4. 2004 im Falle IMS Health, die ausspricht, dass die Verweigerung einer Lizenz für sich genommen noch keine missbräuchliche Ausnutzung einer marktberrschenden Stellung darstellt, sondern drei zusätzliche Faktoren erfüllt sein müssen:
- die Verweigerung verhindert das Entstehen eines neuen Produktes, für das Nachfrage besteht,
- die Verweigerung lässt sich objektiv nicht rechtfertigen,
- die Verweigerung verhindert Wettbewerb auf einem nachgelagerten Markt.
Daraus ist anscheinend zu entnehmen, dass der Marktbeherrscher auf seinem Primärmarkt eine Lizenz verweigern kann. Dies würde die EU-Lösung in die Nähe des US-Konzepts bringen.
Der dritte EU-Fall ist Microsoft. Soweit es um die Anordnung der Entbündelung geht, hat das DoJ Bedenken gegen die Entscheidung der Kommission, aber hinsichtlich der Zwangslizenz zur Herstellung der Interoperabilität konkurrierender mit Microsoft-Produkten gibt es eine Parallele zur US-Praxis.
Politische Erwägungen
Haupteinwand gegen Zwangslizenzen ist die Behinderung von Innovationen. Dies ist angesichts der hohen Investitionen, die für manche Neuerungen notwendig sind, sehr ernst zu nehmen. Das Patentsystem ist darauf angelegt, den Erfinder für sein Risiko zu belohnen. Die Wettbewerbsbehörden sollten dieses System mit einer gewissen Bescheidenheit betrachten (we do not want to kill the goose that lays the golden egg).
Damit steht ein Problem in Verbindung, das als "cost of false positives" bezeichnet wird. Es geht dabei um die Kosten, die eine Zwangslizenzerteilung den Wettbewerbsbehörden und den beteiligten Parteien auferlegt. Der Supreme Court hat in diesem Zusammenhang gerade in der neuesten Entscheidung Trinko 2004 warnende Hinweise gegeben: Wettbewerbsbehörden können im Prinzip Vertragsschlüsse erzwingen, sollten dabei aber äußerst vorsichtig vorgehen.
Praktische Fragen
Dies leitet zu praktischen Fragen der Erteilung von Zwangslizenzen über. Hilfreich ist dabei, dass solche Lizenzen hauptsächlich aus Verhandlungen der Beteiligten (consent decrees) hervorgehen und dadurch der nötige Sachverstand einfließen kann. Dabei können die Parteien so eingebunden werden, dass ihr Eigeninteresse mobilisiert wird. Dies erleichtert letztlich dann auch die Überwachung.
Vier Sachverhalte stehen im Vordergrund: Wie definiert man den Inhalt der Lizenz? Wie organisiert man die Überwachung? Was soll für künftige Patente des Patentinhabers gelten? Wie bestimmt man die angemessene Vergütung? Es gibt verschiedenen Maximen, an denen man sich ausrichten kann:
- Less is more: To minimize the policy objections and the practical concerns, an overriding goal should be to use the simplest, minimum necessary combination of transfer of rights and government oversight.
- Objective, verifiable criteria: Along the same lines, try as much as possible to make the benchmarks for compliance clear. If you do not, ancillary litigation is almost inevitable.
- Narrow scope: The coverage of a patent or copyright itself can be a matter of debate, so try to avoid that question by making the scope of the license narrow and clear as to field of use, products, or geography. Consider the question of future intellectual property, but also consider the negative consequences to innovation if future developments will automatically be licensed.
- Avoid "know-how" if possible: Transferring know-how requires ongoing collaboration, which increases the chances of ancillary litigation. Avoid this if you can have a successful license without it.
- Time-limited: There should be a sunset provision or at least a mechanism for reconsidering the license as market conditions change, particularly if future patents are involved.
- Clear royalty: The royalty term usually will be a "reasonable and nondiscriminatory" ("RAND") royalty. Be careful, however, to consider whether the defendant will try to make "reasonable" equate to "prohibitive".
- Clear status of licensees: In merger cases we often have specific, named licensees. In non-merger cases, we usually have nondiscriminatory licensing to any willing party. Consider which best fits your remedial goals, and make the choice as clear as possible.
Situationen für Zwangslizenzierungen
Drei Situationen bieten sich an: zunächst Fusionsfälle, bei denen die Veräußerung eines Unternehmensteils von einer Zwangslizenz begleitet werden muss, um die veräußerte Einheit lebensfähig zu erhalten, ferner die Zwangslizenz im Fusionsfall, wenn dadurch eine Entflechtung vermieden werden kann (milderes Mittel), schließlich in Kartellverfahren, aber nur wenn es keine weniger belastende Alternative gibt.
In diesem letzteren Fall ist Vorsicht angebracht. Zwei Umstände sollten vorliegen: ein außergewöhnliches Ausmaß von Marktbeherrschung und eine Vorgeschichte von Monopolisierung und Widerstand gegen Änderungen (extraordinary level of market dominance, demonstrated history of monopolization and resistance to reform). Selbst dann sollte eine Zwangslizenz so eng wie möglich definiert werden.