06.02.2004
Kommission: Bekanntmachung der Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse
EU
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https://www.europa.eu.int/comm/competition |
Mit der neuen Fusionskontrollverordnung hat die Generaldirektion Wettbewerb "Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse gemäß der Ratsverordnung über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen" in Form einer Bekanntmachung der Kommission vom 28.1.2004 veröffentlicht (Umfang 27 Seiten). Die Leitlinien erläutern den analytischen Ansatz, der aber entsprechend den Gegebenheiten des Einzelfalles angewendet und von Zeit zu Zeit überarbeitet werden soll.
Der nachfolgende Überblick über den Inhalt der Leitlinien stellt deshalb keine Checkliste dar, lässt aber erkennen, welche Überlegungen die Generaldirektion Wettbewerb bei der Prüfung eines Zusammenschlusses anstellt.
Grundsatz
Die Kommission vergleicht die Wettbewerbsbedingungen, die sich durch die angemeldete Fusion ergeben, mit den Bedingungen, die ohne den Zusammenschluss herrschen würden (9). Dies umfasst (10):
- Abgrenzung der sachlich und räumlich relevanten Märkte (Anwendung der einschlägigen Bekanntmachung der Kommission von 1997),
- Wettbewerbliche Würdigung des Zusammenschlusses (darauf beziehen sich die vorliegenden Leitlinien).
Marktanteile
- Gegenwärtige Marktanteile der beteiligten Unternehmen werden zusammengerechnet (15),
- Entwicklung der Marktanteile in der Vergangenheit kann eine Rolle spielen (15),
- Gemeinsame Marktanteile von 50 Prozent oder mehr können Nachweis für Marktbeherrschung sein, die Kommission hat aber auch unterhalb von 50 Prozent und sogar unterhalb 40 Prozent Wettbewerbsbedenken angenommen (17),
- Bei Marktanteilen unter 15 Prozent spricht eine Vermutung für die Zulässigkeit (18).
Konzentrationsgrad
- Anwendung des Herfindahl-Hirshman-Index (Summe des Quadrats der Marktanteile aller Unternehmen in einem Markt, 16),
- Unbedenklich: HHI unter 1000 (19),
- Unbedenklich auch (20): HHI unter 2000 und Veränderung des HHI durch die Fusion kleiner als 250 oder HHI über 2000 und Veränderung kleiner als 150, dies allerdings nicht beim Vorliegen besonderer Umstände (neu eingetretenes Unternehmen wird übernommen, hohes Innovationspotential der beteiligten Unternehmen, Überkreuz-Beteiligungen, Übernahme eines "Einzelgängers", Anzeichen für Marktkoordinierung, ein Unternehmen hat mehr als 50 Prozent Marktanteil),
- HHI-Berechnung gibt nur ersten Hinweis, begründet allein keine Vermutung für Wettbewerbswidrigkeit (21).
Nicht koordinierte Wirkungen einer Fusion
Der Wettbewerb zwischen den fusionierenden Unternehmen geht verloren, dadurch mindert sich der Wettbewerbsdruck und es kann Marktbeherrschung entstehen (24). In oligopolistischen Märkten kann eine Fusion nicht nur zur Beseitigung von Wettbewerbszwängen, die von den fusionierenden Unternehmen untereinander ausgeübt worden sind, führen, sondern der Wettbewerbsdruck auf die verbleibenden Mitbewerber kann sich ebenfalls mindern, und zwar ohne dass eine Abstimmung wahrscheinlich ist (unilaterale Effekte, 25).
Für die Beurteilung von nicht koordinierten Wirkungen nennen die Leitlinien (nicht erschöpfend) folgende Faktoren:
- Hohe Marktanteile der fusionierenden Unternehmen (27),
- Die fusionierenden Unternehmen sind nahe Wettbewerber (28: je näher die Produkte, desto größer die Wahrscheinlichkeit von Preiserhöhungen nach Fusion, jedoch kann dies anders sein, wenn die verbleibenden Wettbewerber nahe Substitute anbieten,
- Begrenzte Möglichkeit für Kunden, zu einem anderen Anbieter zu wechseln (31),
- Geringe Wahrscheinlichkeit, dass Wettbewerber bei Preiserhöhungen ihr Angebot ausdehnen (32): Prüfung der Kapazitäten und des Kostenaufwandes,
- Das fusionierte Unternehmen hindert Wettbewerber am Wachstum (36): starke Stellung beim Bezug von Vorprodukten oder im Vertrieb, Einsatz von Schutzrechten kann Marktzutritte oder Erweiterungen der Wettbewerber erschweren,
- Beseitigung einer wichtigen Wettbewerbskraft durch die Fusion (37): in manchen Fällen spiegelt der Marktanteil des übernommenen Unternehmens nicht seine wahre Position wider (Aufkauf eines Unternehmens, von dem zu erwarten ist, dass es künftig einen starken Wettbewerbsdruck auf die anderen ausüben wird).
Koordinierte Wirkungen
Die Marktstruktur macht es für die Unternehmen möglich und wirtschaftlich, ihre Produkte zu überhöhten Preisen abzusetzen. Eine Fusion kann diese Situation gemeinsamer Marktbeherrschung herbeiführen oder verstärken und die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass sich Unternehmen in dieser Weise verhalten, ohne eine Vereinbarung abzuschließen oder ihr Verhalten im Sinne von Artikel 81 EUV untereinander abzustimmen (39):
- Eine solche Koordinierung muss nachhaltig sein,
- Die Unternehmen müssen sich gegenseitig ausreichend überwachen können,
- Es müssen glaubwürdige Abschreckungsmechanismen greifen, wenn ein Unternehmen von der Koordinierung abweicht,
- Reaktionen Außenstehender (potentielle Wettbewerber, Kunden) dürfen die Koordinierung nicht gefährden (41).
Die Kommission berücksichtigt bei ihren Feststellungen alle verfügbaren Informationen über die Besonderheiten der Märkte. Einige Faktoren werden ausdrücklich behandelt:
- Verhalten der Unternehmen in der Vergangenheit (43),
- Stabilität der Marktanteile als Anzeichen für Koordinierung (43),
- Geringe Komplexität und große Stabilität des wirtschaftlichen Umfeldes (45),
- Homogenität der Produkte (45),
- Nachfrageschwankungen, starkes inneres Wachstum einiger Wettbewerber, häufiger Marktzutritt, große Bedeutung von Innovationen können Gegenindikatoren darstellen (45),
- Leichte Erkennbarkeit jeder Lieferbeziehung (46),
- Informationsaustausch unter den Unternehmen, auch mittels Überkreuz-Beteiligungen oder Gemeinschaftsunternehmen (48) oder über Verbände (51),
- Transparenz des Marktes zwecks leichter Überwachung (50),
- Vergeltungsmaßnahmen ohne zeitliche Verzögerung umsetzbar (53), es muss auch ein Vergeltungsanreiz bestehen, wobei die durch die Vergeltung entstehenden Verluste (Preiskrieg) zu berücksichtigen sind (54); die Vergeltung muss nicht auf dem selben Markt erfolgen (55),
- Marktzutritte und Nachfragemacht der Kunden spielen eine Rolle (57), dazu gibt es in den Leitlinien aber gesonderte Betrachtungen.
Fusion mit potentiellem Wettbewerber
- Auch der Zusammenschluss mit potentiellen Wettbewerbern kann Marktbeherrschung begründen oder verstärken (58),
- Von dem potentiellen Wettbewerber müssen bereits spürbare Wirkungen ausgehen, die den Verhaltenspielraum der am Markt tätigen Unternehmen begrenzen, oder es müssen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass dieses Unternehmen sich zu einer wirksamen Wettbewerbskraft entwickeln wird (60),
- Ferner dürfen keine anderen potentiellen Wettbewerber vorhanden sein, die nach der Fusion den Wettbewerbsdruck aufrecht erhalten würden (60).
Begründung von Nachfragemacht
- Nachfragemacht kann zu Preisdruck auf den vorgelagerten Märkten führen, was positive oder negative Wirkungen haben kann, je nachdem, ob das fusionierte Unternehmen diese Preisvorteile an die Abnehmer weitergibt oder nicht (61 – 63).
Nachfragemacht der Abnehmer
- Nachfragemacht der Kunden kann es einem fusionierten Unternehmen unmöglich machen, trotz hoher Marktanteile den Wettbewerb spürbar zu behindern (64),
- Es reicht aber nicht aus, dass lediglich ein starkes Segment von Kunden mit besonderer Verhandlungsstärke vor höheren Preisen nach der Fusion bewahrt wird (67),
- Die Fusion kann auch die Nachfragemacht der Abnehmer in Frage stellen, wenn nämlich dadurch eine Bezugsalternative für die Kunden wegfällt (67).
Marktzutritt
- Um ausreichenden Wettbewerbsdruck auf das fusionierte Unternehmen auszuüben, muss der Markteintritt neuer Wettbewerber wahrscheinlich sein (69), was in erster Linie hinreichende Gewinnchancen voraussetzt; dazu gehören auch die Kosten eines fehlgeschlagenen Eintritts (sunk costs),
- Der Marktzutritt hängt auch von der Höhe der Zutrittsschranken ab (71): dies können rechtliche Vorteile sein (Marktregulierung, 71), technische Vorsprünge der angestammten Unternehmen (Zugang zu Ressourcen, Eigentumsrechte, Schutzrechte, Vertriebsnetz, Skalenvorteile, 70) oder sich aus der Stellung der angestammten Unternehmen im Markt ergeben (Kundenbindung, Reputation, 71),
- Der Marktzutritt muss ausreichend zügig und anhaltend möglich sein, nämlich in der Regel innerhalb von zwei Jahren (74),
- Der Marktzutritt muss auch in seinem Umfang hinreichend sein (75).
Effizienzgewinne
- Effizienzgewinne können Nachteile einer Fusion ausgleichen (76),
- Die Effizienzgewinne müssen den Verbrauchern zugute kommen, sie müssen erheblich sein und sich rechtzeitig einstellen (79),
- Sie haben um so geringeres Gewicht, je weiter sie in die Zukunft projiziert werden (83),
- Es muss noch genügend Wettbewerbsdruck herrschen, um das fusionierte Unternehmen zu veranlassen, die Vorteile auch weiter zu geben (84),
- Die Effizienzvorteile müssen fusionsspezifisch sein und nicht in ähnlichem Umfang auf weniger wettbewerbsschädliche Weise erzielt werden können (85),
- Die Vorteile müssen nachprüfbar sein (86), beweispflichtig sind die Anmelder (87).
Sanierungsfusion
- Würde das übernommene Unternehmen ohne die Fusion aus dem Markt ausscheiden müssen, kann dies einen bedenklichen Zusammenschluss rechtfertigen, denn die Verschlechterung der Wettbewerbsstruktur wäre dann nicht auf den Zusammenschluss kausal zurückzuführen (89),
- Es darf zur Fusion aber keine weniger wettbewerbsschädliche Verkaufsalternative geben (90),
- Die Vermögenswerte des gescheiterten Unternehmens würden ohne die Fusion zwangsläufig aus dem Markt genommen werden (90),
- Beweispflichtig sind die Anmelder (91).