05.10.2004

Bericht über die XXXIII. Brüsseler Informationstagung des FIW

FIW
Brüsseler Informationstagung

Eigener Bericht

Die traditionelle Informationstagung des FIW fand am 29. und 30. September 2004 statt und war wiederum "Neueren Entwicklungen des europäischen Wettbewerbsrechts" gewidmet, konzipiert von den Rechtsanwälten Dr. Ferdinand Hermanns und Johann Brück (der auch die Veranstaltung moderierte). Mit über 100 Teilnehmern war der Zuspruch ungewöhnlich groß.

Meinungsvielfalt und Wettbewerb

Bei einem Abendessen am Vortag im Restaurant "Cygne" sprach der Chefredakteur des "Handelsblatts", Bernd Ziesemer, in sehr anschaulicher Weise über den Wettbewerb auf den Pressemärkten, besonders unter den wirtschaftlich ausgerichteten Blättern:

Das "Handelsblatt" hatte viele Jahre lang eine monopolähnliche Stellung inne. Einzige Konkurrenten waren überregionale Tageszeitungen mit ihren Wirtschaftsteilen. Der Markteintritt der "Financial Times Deutschland" hat diese Situation verändert, insgesamt aber die Qualität des "Handelsblatts" verbessert (das immer noch die Nase vorn hat).

Es geht gegenwärtig nicht darum, die Zahl der Medien aufrecht zu erhalten, sondern um den Schutz der publizistischen Vielfalt (keine Einfalt in der Vielfalt). Der Wettbewerb ist besonders groß, wenn wenige Zeitungen miteinander um eine Lesergruppe konkurrieren. Dies führt erfahrungsgemäß zu einem harten Qualitätswettbewerb.

In wettbewerbsrechtlicher Hinsicht sind die Marktdefinitionen der Wettbewerbsbehörden in der Regel zu eng, was zu sehr hohen Marktanteilen mit entsprechenden Konsequenzen führt. Käme man hier zu einer etwas realistischeren Betrachtungsweise, würden sich viele Probleme anders stellen, etwa hinsichtlich einer Erleichterung von Kooperationen, die zu den Zielen des Regierungsentwurfs zur GWB-Novelle gehört.

Die neue Fusionskontrollverordnung - Erste Erfahrungen

Dr. Stephan Simon, Generaldirektion Wettbewerb, gab einen Überblick über die neuesten Entwicklungen:

Die Kommission hat neue Mitteilungen zum Verweisungssystem, zu den Nebenabreden und zum vereinfachten Verfahren am 20. Juli 2004 "im Grundsatz" beschlossen, aber sie treten erst in Kraft, wenn alle Übersetzungen vorliegen. Es steht jetzt noch die Mitteilung über nicht-horizontale Zusammenschlüsse aus.

Seit dem 1. Mai 2004 sind 11 Anträge auf Verweisung eines Falls von den Mitgliedstaaten an die Kommission gestellt worden. Bisher sind 2 an nationalen Vetos gescheitert (ein Veto bedarf keiner Begründung). In der Gegenrichtung ist noch kein Antrag eingegangen.

Die Mitteilung über die Nebenabreden von 2001 war durch das EuGH-Urteil Lagardère unwirksam geworden und wird jetzt neu aufgelegt. Änderungen gibt es bei der Dauer von Bezugs- und Lieferverpflichtungen (von 3 auf 5 Jahre verlängert) und bei der Dauer von Wettbewerbsverboten bei Gemeinschaftsunternehmen (zulässig für die gesamte Lebensdauer des GU).

In der Mitteilung über das vereinfachte Verfahren wird vorgesehen, dass die Parteien nicht mehr alle denkbaren, sondern nur noch die plausiblen Marktdefinitionen vortragen müssen. Ferner wird zugelassen, dass das vereinfachte Verfahren mit Verweisungsanträgen kombiniert werden kann, was bisher umstritten war.

Zum SIEC-Test ist noch nichts zu sagen. Es gibt kein Fallmaterial. In einigen Fällen, die sich in der Phase II befinden, sind bereits Fristverlängerungen beantragt worden.

Die Entscheidung des GEI zu Worldcom / Sprint betrifft kein grundsätzliches Problem des materiellen Rechts, sondern einen technischen Punkt, nämlich die Auslegung von Erklärungen einer Partei.

Im übrigen ist die Oracle-Entscheidung des kalifornischen Bezirksgerichts (US v. Oracle) lesenswert (über die Website des DoJ zu finden: die Pressemeldung des DoJ enthält einen Link zum Text).

Ökonomische Analyse

Dr. Hans Friederiszik, Generaldirektion Wettbewerb, sprach über die "Bedeutung der ökonomischen Analyse im Wettbewerbsrecht". Er ist Ökonom und gehört zum Team des Chefökonomen Professor Röller (der beim nächsten Symposion des FIW in Innsbruck einen Vortrag halten wird):

Das "Chief Economist´s Team" (CET) besteht aus 10 Mitarbeitern, von denen 4 aus der Merger Task Force, 4 aus Beratungsunternehmen kommen. Sie betreuen Einzelfälle, arbeiten an Leitlinien mit und halten Kontakt zur Wissenschaft (es ist jetzt eine Economic Advisory Group on Competition Policy eingerichtet worden, die 15 renommierte Wissenschaftler umfasst und die Berichte zu Einzelthemen erarbeitet: der erste betrifft die Beihilfenkontrolle). Mit dem CET wird kein interdisziplinärer Ansatz verfolgt, sondern man nähert sich dem amerikanischen Vorbild an (Zusammenarbeit DoJ / FTC).

In der nächsten Zukunft wird der ökonomische Ansatz auf weitere Probleme angewendet werden: die Leitlinien für nicht-horizontale Zusammenschlüsse, die Reform des Artikel 82 EU, die Beihilfenkontrolle und die Betrachtung einzelner Wirtschaftssektoren.

Reform des Artikels 82 EU

Mr. Ali Nikpay, Director for Competition Policy des britischen Office of Fair Trading, sprach über die Reform des Artikels 82, der Vorschrift über den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung, und bezog sich dabei auf einen Vortrag von Dr. Vickers, dem Chairman des OFT zu diesem Thema (darüber Bericht in FIW-Aktuelles):

Artikel 82 stellt eine schwierig zu beantwortende Frage: was ist Diskriminierung und was ist echter Wettbewerb (competition on the merits)? Dabei muss man auch nach dem Zweck von Artikel 82 fragen. Die Antwort ist heute: Schutz des freien und fairen Wettbewerbs, bei dem marktbeherrschende Unternehmen anderen Unternehmen keine künstlichen Hindernisse in den Weg legen dürfen. Es kommt nach der Rechtsprechung (Michelin II, BA / Virgin: Rabatt-Fälle) nicht darauf an, ob schädigende Wirkungen tatsächlich eintreten. Dies kann dazu führen, dass Verhalten verboten wird, von dem die Verbraucher profitieren, dass statt des Wettbewerbs die Wettbewerber geschützt werden und dass nicht genügend auf Effizienzen geachtet wird. Insgesamt bestehen erhebliche Unterschiede zu den USA, wo untersucht wird, welche Teile des Marktes von dem diskriminierenden Verhalten überhaupt betroffen sind (35 bis 40 Prozent sind noch akzeptabel). Das OFT arbeitet übrigens an Leitlinien zu 82-Problemen in Großbritannien (auf der Website des OFT zu finden).

Bei der EU-Reform geht es um die Durchsetzung des ökonomischen Ansatzes, der auch sicherstellen muss, dass nicht ineffiziente Mitbewerber geschützt werden. Generell empfiehlt sich nach britischer Ansicht, nicht auf freien und fairen Wettbewerb als Hauptzweck abzustellen, sondern auf ein Funktionieren des Marktes im Interesse der Verbraucher (make markets work well for consumers).

Zivilrechtliche Kartellrechtsdurchsetzung

Darüber sprach Dr. Konrad Ost vom Bundeskartellamt:

Zivilverfahren in Kartellsachen werden dem Bundeskartellamt mitgeteilt. In den letzten 2 ½ Jahren waren siebzig Klagen zu verzeichnen. Die Ashurst-Studie geht deshalb zu Unrecht von sehr niedrigen Zahlen aus. Der Bereich ist keineswegs "völlig unterentwickelt". Zivilrechtliche Schadensersatzklagen sollen durch die GWB-Novelle erleichtert werden. Der neue § 33 GWB hält aber daran fest, dass die Anspruchsnorm den Kläger schützen muss (Schutzgesetz). Bei Artikel 81 und 82 EU ist dies der Fall, wobei es sich um europäische Normen handelt, die nach europäischen Standards ausgelegt und angewendet werden müssen (Courage-Urteil des EuGH ist einschlägig).

Bei Schadensersatzklagen wird es sich immer um follow-on-Verfahren handeln, die sich an Verwaltungsentscheidungen der Kartellbehörden anschließen. Deshalb ist auch die Bindungswirkung von Entscheidungen der Wettbewerbsbehörden ein zentraler Punkt der GWB-Novelle.

Ein anderes Problem ist, ob nicht nur der unmittelbare Abnehmer, sondern jeder Geschädigte auf den nachfolgenden Vertriebsstufen klagen kann. Nach dem Courage-Urteil muss dies möglich sein, aber es bestehen sehr große Schwierigkeiten bei der Schadensberechnung. Umstritten ist die passing-on-Verteidigung (Schädiger macht geltend, der Geschädigte habe den höheren Kartellpreis an seine Abnehmer weitergegeben). Die GWB-Novelle überlässt die Lösung der Rechtsprechung. Einige sehen dies als Problem der Schadensentstehung an, andere als Frage der Vorteilsausgleichung. Verglichen werden müssen nicht die Preise, sondern der tatsächliche mit dem hypothetischen Gewinn des Geschädigten.

Die Vorteilsabschöpfung findet nach der GWB-Novelle entweder über die Bußgelder oder isoliert statt. Auf Schadensersatzansprüche ist dies anzurechnen.

In der Kommission wird die zivilrechtliche Rechtsdurchsetzung diskutiert. Man arbeitet an einem Grünbuch (vorbereitet durch die Ashurst-Studie). Ob es zu einer Harmonisierung kommt, ist noch offen. Es gibt Möglichkeiten, über das internationale Zivilprozessrecht und das internationale Privatrecht zu befriedigenden Lösungen zu kommen, mit denen man eine Vereinheitlichung vielleicht vermeiden könnte. Ob dies aber ein politisch gangbarer Weg ist, wird sich zeigen müssen.