08.11.2004
30 Jahre Monopolkommission: Jubiläumsveranstaltung am 5.11.2004 in Berlin
Deutschland
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Eigener Bericht
Die Monopolkommission verdankt ihre Gründung der 2. GWB-Novelle, die am 8. August 1973 in Kraft trat. Wichtigste Aufgabe der MK ist die Begutachtung der Entwicklung bei der Unternehmenskonzentration und der Anwendung der Fusionskontrolle. Sie nimmt darüber hinaus zu wichtigen wettbewerbspolitischen Entwicklungen Stellung und wird auch in Verfahren der Ministererlaubnis gehört. Bis heute sind 15 Hauptgutachten und 42 Sondergutachten erschienen (zuletzt zwei Gutachten zur geplanten 7. GWB-Novelle). Sitz der MK ist Bonn.
Aus Anlass ihres 30jährigen Bestehens veranstaltete die MK am 5. November 2004 im Senatssaal der Humboldt-Universität in Berlin ein Kolloquium - vier Vorträge und eine Podiumsdiskussion - zu den "Zukunftsperspektiven der Wettbewerbspolitik". Es nahmen etwa 80 Gäste teil. Die FAZ berichtete am folgenden Tag über die Veranstaltung. Ein Tagungsband wird 2005 erscheinen.
Professor Ernst-Joachim Mestmäcker: Interdependenz von Recht und Ökonomie in der Wettbewerbspolitik
- Über der Diskussion um den "more economic approach" der EU-Kommission sollte man nicht vergessen, dass in Deutschland schon seit jeher in der Rechtsanwendung ökonomische Kriterien berücksichtigt werden (so schon der Titel des 5. Hauptgutachtens 1982/83 der MK).
- Rechtsnormen regeln auch im Wettbewerbsrecht Lebenssachverhalte. Es ist zu entscheiden, ob der Sachverhalt die Anwendung der Norm stützt. Die ökonomische Theorie beruht auf Modellen und Annahmen und will damit "Tatsachen zum Reden bringen". Darin liegt eine Gefahr, denn zukünftige Entwicklungen vorauszusagen, ist stets riskant.
- Es kommt hinzu, dass das Wettbewerbsrecht eine eigene Rationalität besitzt, die sich nicht allein mittels der Preistheorie oder mittels Effizienzerwägungen erschließt. Es verkörpert den Herrschaftsanspruch des Rechts über die Wirtschaftsordnung, bringt das Gemeinwohl zur Amoralität des Wettbewerbs in das richtige Verhältnis. Der Schutz der Wettbewerbsordnung ist damit ein Pendant zur politischen Demokratie, indem stets Freiheitsrechte mit dem Gemeinwohl zur Deckung gebracht werden müssen. Dabei ist das Recht nicht nur Schranke der Freiheit, sondern deren Voraussetzung.
- Im Sinne Hayeks bleibt der Wettbewerb ein Entdeckungsverfahren. Die Institution ist deshalb zu schützen, aber die Ergebnisse des Wettbewerbs lassen sich nicht zuverlässig beurteilen. Dies zeigt sich nicht zuletzt bei Fusionen, deren Ergebnisse oft nicht den Erwartungen der Parteien entsprechen. Deshalb ist es auch problematisch, Effizienzvorteile einer Fusion abschätzen zu wollen.
- (Professor Mestmäcker musste seinen Vortrag aus Zeitgründen kürzen. Auf die Veröffentlichung des vollständigen Textes darf man freudig gespannt sein).
Professor Lars-Hendrik Röller: Wettbewerbspolitik aus ökonomischer Sicht
- Der Chefökonom der Generaldirektion Wettbewerb ging in seinem Vortrag besonders auf seine Tätigkeit in Brüssel ein.
- Man spricht etwas ungenau vom "more economic approach", besser wäre das Adjektiv "modern".
- Hauptziel ist es, sich mehr auf Empirie als auf bloße Modelle oder Simulationen zu verlassen (die aber durchaus noch ihren Platz haben). Mehr Empirie ist durchaus möglich.
- Der neue Ansatz manifestiert sich in zahlreichen Projekten: VO 1/2003, neue FKVO, Überprüfung der Kommissionspraxis zu Artikel 82 EU, Beihilferecht (beansprucht etwa die Hälfte seiner Zeit). Organisatorisch sind die Aufteilung der Merger Task Force auf sektorale Abteilungen, die internen Review Panels und der Chefökonom und sein Team zu nennen.
- Ob der neue SIEC-Test in der Fusionskontrolle einen großen Unterschied machen wird, steht noch nicht fest, aber aus ökonomischer Sicht macht er die Prüfung leichter. Erfahrungen gibt es allerdings noch keine.
- Die Konsumentenwohlfahrt bleibt das Leitbild auch in der Fusionskontrolle. Zur Berücksichtigung von Effizienzen gibt es noch keine Fälle, aber dieses Kriterium veranlasst jedenfalls die Unternehmen, ihre Potentiale im Verfahren zu offenbaren. In der Fusionskontrolle kommen Fehler vom Typ II häufiger vor (es wird genehmigt, was eigentlich untersagt werden müsste). Das Abstellen auf Effizienzen kann dies etwas ausgleichen. Wichtig ist zudem der Gleichlauf mit den US-Guidelines.
- Die Leitlinien zu vertikalen und konglomeraten Zusammenschlüssen können für 2005 erwartet werden. Allerdings will die GD Wettbewerb die Luxemburger Entscheidung im Fall GE/Honeywell abwarten und berücksichtigen.
- Die Überprüfung der Praxis zu Artikel 82 EU schreitet voran: Was ist "competition on the merits"? Brauchen wir per-se-Verbote? Wird die "exclusion" richtig beurteilt?
- Ein besonderes Anwendungsfeld ökonomischer Theorien ist die Beihilfenkontrolle, wobei man vorsichtig sein sollte, zu schnell ein Marktversagen anzunehmen. Beihilfen verzerren den Wettbewerb, und diese Wirkungen müssen stets gegen mögliche Vorteile abgewogen werden. Hier wird die Ökonomie noch mehr leisten müssen.
Professor Josef Drexl: Wege zu einer internationalen Wettbewerbspolitik
- Die internationale Wettbewerbspolitik bleibt nach wie vor mangels einer zentralen Institution Sache der Nationalstaaten. In der Doha-Verhandlungsrunde der WTO wird sie keine Rolle mehr spielen. Die Koordination findet in der Unctad, der OECD, vor allem aber im ICN statt ("weiche Konvergenz").
- Dabei kommt man ohne verbindliche völkerrechtliche Regeln nicht aus, denn das Auswirkungsprinzip (Exkurs zum Fall Empagran in den USA) kann die Konvergenz nicht leisten: Entwicklungsländer sind oft nicht in der Lage, ihr Recht - so vorhanden - effektiv durchzusetzen. Deshalb wäre ein allgemeiner Verzicht auf Exportkartelle in den Ausgangsländern sinnvoll (Harmonisierung).
- Bei der Herstellung von Konvergenz greift ein handelspolitischer Ansatz zu kurz, weil die Verhandlungsergebnisse in der WTO (vielfältige Kompromisse) das Gleichgewicht der Wettbewerbschancen nicht herstellen können.
- Das Koordinationsmodell ist besser, denn man kann Kollisionen, etwa in der Fusionskontrolle, auf diesem Wege vermindern. Ein konstitutioneller Ansatz, also ein Zusammenwirken der Nationalstaaten, wäre hingegen besser, weil er dazu führen könnte, dass jeder den internationalen ebenso wie seinen eigenen nationalen Wettbewerb schützen muss ("Management der Globalisierung").
- Zentrale Elemente einer Regelung wären das Auswirkungsprinzip, die Nichtdiskriminierung, die internationale Zusammenarbeit (best placed authority) und ein Streitbeilegungsmechanismus (Vorbild WTO).
- Wichtig ist das gute Beispiel. Deshalb sollten die EU-Standards international unbedingt verteidigt werden. Dem ICN kommt hier eine wichtige Aufgabe zu.
Professor Dietmar Harhoff: Innovationen und Wettbewerbspolitik
- Das Thema wurde anhand einer ökonomischen Analyse des Patentsystems behandelt.
- Der Wert der Patente beläuft sich auf ca. 15 bis 20 Prozent der F+E-Aufwendungen, weltweit auf 100 bis 150 Milliarden Dollar. Der gesamte Patentbestand verkörpert einen Wertbestand von 1 bis 1,5 Billionen Dollar.
- Das Patentsystem minimiert durch Zuweisung von Eigentumsrechten Konflikte, belohnt Innovation und reizt dazu an und sorgt für die Zugänglichkeit von Informationen (Offenbarung der Erfindung).
- Wohlfahrtsverluste ergeben sich etwa durch Patentdickichte (Zusammenballung von Patenten auf einem technischen Gebiet) und durch hold-up-Situationen (für Innovation) und durch Marktmacht mittels Erfindungen (für den Wettbewerb), während die Vorteile in der Diffusion von Wissen (für Innovationen) und im leichteren Marktzutritt unter dem Schutz von Patenten (für den Wettbewerb) bestehen.
- Die Streitfälle haben mit der größeren Zahl von Patenten zugenommen: in den USA kommen 3 Prozent der Patente vor Gericht, jeder Prozess kostet im Schnitt 4 Millionen Dollar.
- Wettbewerbsrechtlich sind vier Problemkreise besonders interessant: Kreuzlizenzen, Patentpools, Settlements und die Lizenzverweigerung.
- Wettbewerbspolitisch ist zu fragen, ob das geistige Eigentum privilegiert oder wie jedes andere Eigentum behandelt werden sollte (der Referent war für das zweite), welche Konsequenzen aus der wachsenden Zahl von Schutzrechten zu ziehen sind und vor allem, ob Fehler im Patentsystem durch die Wettbewerbspolitik korrigiert oder im Patentsystem selbst behoben werden sollten (der Referent empfahl das zweite).
Podiumsdiskussion
- Dr. Ulf Böge, Präsident des Bundeskartellamts, betonte, dass seine Behörde in der Beurteilung der Industriepolitik mit der MK völlig übereinstimme. Die Industriepolitik kann manchmal ein spezifisches Problem lösen, verursacht aber fast immer andere und größere. Nationaler Champion kann im Grunde jedes Unternehmen aus eigener Kraft werden (Beispiel Microsoft), aber es ist falsch, Marktbeherrscher im Inland heranzuzüchten, deren Erfolg auf dem Weltmarkt durchaus fraglich sein kann.
Das Bundeskartellamt fundiert seine Entscheidungen seit jeher ökonomisch. Neuen Theorien steht es aufgeschlossen gegenüber, aber man muss dabei sorgfältig auch die Nachteile prüfen (Abwägung der Kosten umfassender Datensammlung gegen kurze Bearbeitungszeiten). Den "more economic approach" sollte man durchaus anwenden, aber mit Distanz und Augenmaß. - Professor Carl Christian von Weizsäcker gab zu bedenken, dass der Wettbewerb in der realen Welt nicht immer die beste Antwort auf die Probleme geben kann. Das Verfahren zur Entdeckung der besten Lösung benötigt Zeit. Als Ergebnis solcher Erfahrungen bilden sich Institutionen heraus, wie etwa der Wettbewerb. Wettbewerb ist keine ausschließlich juristische Angelegenheit, sondern ökonomische Gesichtspunkte müssen einfließen (Beispiel: Theorie der Märkte bei unvollkommener Information).
Es lässt sich nicht belegen, dass der Verzicht auf Industriepolitik immer die beste Politik ist: Gegenbeispiel ist die F+E-Politik. Nur weil Fehler gemacht worden sind, kann man nicht a priori sagen, Industriepolitik dürfe nicht stattfinden. - Dr. Ludolf von Wartenberg, Hauptgeschäftsführer des BDI und Vorstandsmitglied des FIW, nahm ebenfalls eine vermittelnde Position ein. Industriepolitik hat den Geruch des Interventionismus, man kann aber auch von einer "Politik für die Industrie" sprechen. Nationale Champions haben nur einen Platz, wenn sie sich selbstständig am Markt durchsetzen.
Wir stehen heute auch in einem Wettbewerb der Standorte. Für ein optimales Ergebnis ist das Zusammenwirken von Wettbewerbspolitik, Industriepolitik und Handelspolitik unerlässlich. - Professor Wernhard Möschel sieht die Aufgabe der Wettbewerbspolitik im Setzen von Rahmenbedingungen für den Marktprozess, während die Industriepolitik direkt Einfluss auf Unternehmen oder Branchen nimmt. Rechtliche Grenzen für die Industriepolitik ergeben sich aus dem EG-Recht und dem WTO-Abkommen. Die Industriepolitik hat ihren Ursprung in einem merkantilistischen Verständnis und stellt allein auf Wohlfahrtsgewinne im eigenen Land ab. Der Erfolg einer solchen nationalen Politik hängt aber davon ab, dass die anderen Länder darauf nicht reagieren, was unwahrscheinlich ist.
Die befürchtete Reserve gegenüber der Industriepolitik ist nach wie vor gut begründet. Dies gilt auch, wenn sie auf dem Prinzip der Reziprozität aufgebaut wird, weil dann letztlich das langsamste Schiff das Tempo bestimmt.
Der "more economic approach" begegnet verschiedenen Einwänden. So ist die angestrebte Genauigkeit eine Illusion (die überkommene Orientierung an der Handlungsfreiheit löst freilich auch nicht alle Probleme). Das neue Konzept bietet gewisse Chancen, die aber begrenzt bleiben werden. Die Risiken sollte man nicht überbewerten. Letztlich darf man auf die praktische Vernunft aller Beteiligten hoffen.