03.12.2003

Tagungsbericht über das XXXI. FIW-Seminar - Aktuelle Schwerpunkte des Kartellrechts

Deutschland
FIW
Kölner Seminar

Donnerstag, 20. November 2003

Nach Begrüßung und Einführung durch den Vorsitzenden des FIW, Herrn Dr. Hans Christoph von Rohr, referierte Herr Dr. Kurt Stockmann, Vizepräsident des Bundeskartellamts, zum Thema Entscheidungspraxis des Bundeskartellamtes 2002/2003.

Buß- und Ordnungswidrigkeitsverfahren spielen - so Herr Dr. Stockmann - mittlerweile eine immer größere Rolle (z. B. Zementindustrie, Pyrotechnik, Industrieversicherung). Problematisch sei in dem Zusammenhang, dass klassische Formen von Kartellabsprachen durch computergestützte Anwendungen seltener würden, andererseits die Ressourcen im Bundeskartellamt im IT-Bereich knapp seien.

Im Bereich der Freistellungen berichtete Dr. Stockmann kurz über die geplante Aufhebung der Freistellungstatbestände anlässlich der 7. GWB-Novelle (mit Ausnahme des Mittelstandskartells) sowie über aktuelle Verfahren, wie die Kooperation zwischen den Bundesländern Bremen und Niedersachsen zur Beschaffung von Dienstkleidung für Polizisten, die das Bundeskartellamt nicht freigestellt hat.

Im Bereich der Missbrauchsaufsicht ging Dr. Stockmann kurz auf aktuelle Fälle aus den Bereichen Elektrizitätswirtschaft, LKW-Maut und Flugverkehr ein.

Bei der Fusionskontrolle habe es in 2003 zwei Untersagungen gegeben (8. und 10. Beschlussabteilung) sowie eine Verweisung an die Kommission (Werkstoffprüfung). Viele Fälle seien innerhalb einer Woche freigegeben, andere mit Auflagen versehen worden. Laufende Verfahren beziehen sich auf den Pressebereich (z.B. Holtzbrinck, Ullstein Random House).

Im Kartellvergaberecht habe es bisher 126 Fälle gegeben; die Zahl wird bis zum Jahresende jedoch noch weiter ansteigen. Die Fülle der Fälle und eine damit einhergehende übliche Verlängerung sämtlicher Entscheidungsfristen mache daher die Einrichtung einer 3. Vergabekammer notwendig.

Im Anschluss referierte Herr Dr. Fritz Flanderka, Generalbevollmächtigter der Duales System Deutschland AG, Köln, zum Thema Kartellrechtliche Probleme mit dem Grünen Punkt.

Dr. Flanderka gab zunächst eine kurze Übersicht über die Unternehmensdaten sowie die Funktionsweise des Dualen Systems. Im Anschluss stellte er aktuelle Verfahren vor der Europäischen Kommission und vor dem Bundeskartellamt (insbesondere den Boykott-Vorwurf und das Untersagungsverfahren) vor. Gegenstand einer Entscheidung der Europäischen Kommission vom 20. April 2001 war der Zeichennutzungsvertrag, demzufolge die DSD AG verpflichtet wurde angesichts der Diskrepanz zwischen Entgeltbemessung und der vom Kunden tatsächlich nachgefragten Befreiungsdienstleistung, entsprechende Abzüge von den Lizenzentgelten für den "Grünen Punkt" zuzulassen, soweit eine andere Entsorgung nachgewiesen werden kann. Mit der mündlichen Verhandlung in der von der DSD AG gegen diese Entscheidung erhobenen Klage wird erst Anfang 2004 gerechnet.

In einer weiteren Entscheidung der Europäischen Kommission vom 17. September 2001 ist der standardisierte Leistungsvertrag befristet gegen Auflagen freigestellt worden. Auch gegen diese Auflagen hat die DSD AG Klage erhoben. Zwischenzeitlich hat die DSD AG die Leistungsverträge für LVP und Glas ausgeschrieben, wobei sich mittlerweile der Verdacht von Preisabsprachen im Bereich der Entsorgungswirtschaft erhärtet. Ein Teil der Verträge ist daher nachverhandelt worden, der Großteil der Verträge wird in 2004 jedoch neu ausgeschrieben werden.

Danach berichtete Herr Dr. Harald Lübbert, Leitender Regierungsdirektor im Bereich der Sonderkommission Kartellbekämpfung im Bundeskartellamt, über die Tätigkeit der Sonderkommission Kartellbekämpfung.

Die Beschlussabteilungen des Bundeskartellamts, die mit den laufenden Fragen beschäftigt sind, besitzen wenig Ressourcen für die Verfolgung von Kartellverstößen. Aus diesem Grund ist die Sonderkommission Kartellbekämpfung (SKK) als Stabsabteilung zur Unterstützung der Kartellabteilungen in Ordnungswidrigkeitsverfahren eingerichtet worden, die derzeit aus neun Personen besteht.

Ziel der SKK ist es, die Kartellverfolgung zu intensivieren und das Bundeskartellamt mit anderen Verfolgungsbehörden (BKA, LKA etc.) zu vernetzen. Tätig wird die SKK zur Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung von Durchsuchungen sowie zur Auswertung von Asservaten. Zudem ist sie zentraler Ansprechpartner für die Bonusregelung. Daten über Kartelle sind jedoch fast nur noch in elektronischer Form bei den Kartellanten vorhanden, so dass die SKK regelmäßig zusätzlich auf speziell ausgebildete IT-Experten zurückgreifen muss.

In dem Zeitraum von 4/2002 bis Ende 2002 sind 197 Unternehmen und 7 Privaträume im Rahmen von 9 Untersuchungen durchsucht worden, wobei zusätzlich 127 Informatiker, 325 Beamte des Bundeskartellamts und 346 Beamte der Kriminalpolizei im Einsatz waren. Im Zeitraum von 1/2003 bis zum 20. September 2003 hat es 7 Untersuchungen mit Durchsuchungen von 190 Unternehmen und 10 Privatwohnungen gegeben, bei denen 81 Informatiker, 197 Bundeskartellamtsmitarbeiter und 969 Beamte der Kriminalpolizei im Einsatz waren. Herr Dr. Lübbert schilderte ebenfalls, wie eine Durchsuchung normalerweise in der Praxis vonstatten geht.

Hieran schloss sich das Referat von Professor Dr. Ulrich Ehricke, Direktor für Europa- und Energierecht, Universität zu Köln, zum Thema Wettbewerb durch Regulierung auf dem Strom- und Gasmarkt an.

Professor Ehricke bettete das Thema der Regulierung zunächst philosophisch ein und unternahm es, im Laufe seines Vortrags den vom EG-Recht gestatteten Regelungsansatz zur Verwirklichung des Energiebinnenmarkts genauer herauszuarbeiten. Die Prämisse, dass der Staat funktionierende Regeln in dem Maße vorhalten müsse, dass die Marktstruktur erhalten bleibe und das Marktverhalten kontrolliert werden könne, reiche - so Ehricke - im Energierecht angesichts der mit dem Wettbewerb in Konflikt stehenden Prinzipien des Umweltschutzes und der Versorgungssicherheit nicht aus. Ziel müsse jedoch sein, sämtliche Prinzipien mit einem erträglichen Maß an Staat zu gewährleisten. Dabei sei stets zu beachten, dass die Begründung der Einschränkung des Wettbewerbs nur in der Schaffung von Freiheit liegen könne.

Der EG-Vertrag gestatte den Mitgliedstaaten bei der Einsetzung eines Regulators einen erheblichen Ermessensspielraum. Hinsichtlich der Frage, ob und wie sich diese Ermessensspielräume in Übereinstimmung mit dem EG-Recht gleichwohl reduzieren lassen, wies Professor Ehricke auf Artikel 98 Satz 2 und Artikel 100 EG sowie auf die effet-utile-Rechtsprechung hin, durch die eine Ermessenseinschränkung zu begründen sei.

Darüber hinaus sei im Prinzip eine ex-ante-Preisregulierung zur Regulierung von Netzzugangspreisen besser geeignet als eine ex post-Missbrauchskontrolle. Der Staat solle seine Regulierungsbefugnis im Übrigen nicht an den Regulator abgeben. Je geringer das Ermessen der Behörden sei, desto weniger würde der Markt belastet werden und desto mehr Freiheit hätten die Akteure im Markt.

Freitag, 21. November 2003

Professor Dr. Andreas Fuchs, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Handels- und Wirtschaftsrecht, Universität Osnabrück, setzte die Tagung mit dem Thema Die 7. GWB-Novelle, Grundkonzeption, Umsetzungs- und Folgeprobleme am nächsten Tag fort.

Professor Fuchs ging zunächst auf den Anlass und die Zielrichtung der GWB-Reform ein und stellte dann die Grundkonzeption der Novelle dar. Die Einführung des Prinzips der Legalausnahme im innerstaatlichen Recht diene vor allem der Vermeidung der Abgrenzung des Kriteriums der zwischenstaatlichen Handelsbeeinträchtigung. Trotz Abschaffung der speziellen Freistellungstatbestände sei eine Ausnahme für Mittelstandskartelle vorgesehen. Im Übrigen würden die Instrumente der Beschwerde und der privatrechtlichen Kartellrechtsdurchsetzung damit fortan noch wichtiger.

In dem Grundsatz der europafreundlichen Auslegung und Anwendung liege - so Professor Fuchs - die Gefahr der Einführung einer rechtlichen Bindung durch die Hintertür. Dieser sei noch einmal zu überdenken. Keine wesentlichen Änderungen ergäben sich im Bereich der Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende und marktstarke Unternehmen. Die besonderen Regelungen über Preisempfehlungen (§§ 22, 23 GWB) würden abgeschafft. Darüber hinaus soll das Bundeskartellamt nun zusätzliche Entscheidungsbefugnisse erhalten.

Im Rahmen der Verbesserung der zivilrechtlichen Durchsetzung des Kartellrechts soll der kartellrechtliche Unterlassungs- und Schadensersatzanspruch gestärkt, die Möglichkeiten zur Mehrerlösabschöpfung ausgeweitet und die Möglichkeit für Verbraucherverbandsklagen eingeführt werden. Problematisch sei dabei, dass nach der Vorstellung des Gesetzgebers der Kreis der schadensersatzberechtigten Personen eingeschränkt werden solle. Es sei fraglich sei, ob dies mit der EuGH-Rechtsprechung übereinstimme. Ganz risikolos wird die Implementierung der VO 1/2003 in innerdeutsches Kartellrecht jedenfalls nicht ablaufen.

Im Anschluss referierte Herr Dr. Stephan Simon, Generaldirektion Wettbewerb, Europäische Kommission, zum Thema "Wird SLC marktbeherrschend? Die Reform der europäischen Fusionskontrolle".

Dr. Simon ging zunächst auf die Entstehungsgeschichte des derzeitigen Marktbeherrschungstests ein. So sah vor Einführung der europäischen Fusionskontrollverordnung der EGKS-Vertrag noch einen anderen Test vor. Den SLC-Test („substantial lessening of competition") legen mittlerweile die USA, Kanada, Australien, Neuseeland, Irland und Großbritannien ihrer nationalen Fusionskontrolle zugrunde. Frankreichs Code de Commerce sehe beispielsweise einen dualen Test vor, bei dem die marktbeherrschende Stellung lediglich einen Unterfall darstelle.

Dr. Simon setzte sich im Verlauf seines Vortrags mit verschiedenen Argumenten und insbesondere mit der Frage auseinander, ob der SLC-Test oder der Marktbeherrschungstest näher an die ökonomische Realität heranreiche. Nach Ansicht von Dr. Simon ist der SLC-Test hierfür geeigneter, da er auf Marktmacht abstelle. Die Frage, ob unilaterale Effekte durch den Marktbeherrschungstest bereits erfasst werden könnten, bejahte er gleichwohl; es sei jedoch fraglich, ob der Europäische Gerichtshof diesem Konzept folgen würde. Zwar könne die Umstellung der europäischen Fusionskontrolle auf einen SLC-Test eine kurzfristig erhöhte Unsicherheit zur Folge haben. Hier könnten jedoch die Erwägungsgründe zur Verordnung sowie die Mitteilung horizontaler Fusionen Abhilfe schaffen. Ein weiteres Auseinanderdriften innerhalb der EU sei jedenfalls weder durch Beibehaltung des Marktbeherrschungstests noch durch die Übernahme des SLC-Tests zu verhindern.

Zum Schluss referierte Herr Dr. Andreas Lotze, Partner, Aulinger Rechtsanwälte, Bochum, zum Thema Kartellrechtliche Restriktionen der Verbandstätigkeit.

Dr. Lotze führte zunächst allgemein in das rechtliche Umfeld der Verbandsarbeit ein und wandte sich dann der Frage zu, in welchen Bereichen Verbände dem Kartellverbot des § 1 ff. GWB bzw. Artikel 81, 82 EG-V unterliegen können. Er wies darauf hin, dass das Verhalten eines Unternehmensvertreters einem Verband jedoch nur dann im Sinne des § 1 GWB zugerechnet werden könne, sofern sich dessen Tätigkeit im Verband funktional auf seine Verbands- und nicht auf seine Unternehmenstätigkeit beziehe.

Als Beispiele spezieller Verbandstätigkeiten mit kartellrechtlicher Relevanz nannte Dr. Lotze die Schnittstelle zwischen zulässiger Informationsweiterleitung und der Aufforderung zum Boykott sowie Marktinformationssysteme, Branchenstandardisierungen, den Abschluss von Tarifverträgen und Verbändevereinbarungen.

Beachtenswert sei, dass die neue Verordnung 1/2003 und die neue GWB-Novelle eine erhebliche Erhöhung des Bußgeldrahmens vorsähen. Artikel 23 VO 1/2003 wirft dabei eine Fülle von bisher nicht beantworteten Fragen, insbesondere im Zusammenhang mit der Zuwiderhandlung eines Verbandes und etwaiger Haftung seiner Mitgliedsunternehmen, auf. Problematisch seien in dem Zusammenhang vor allem die Heranziehung auch nicht verantwortlicher Verbandsmitglieder sowie die erschwerten Entlastungsmöglichkeiten von Mitgliedsunternehmen. Fraglich sei auch, ob das Bestimmtheitsgebot der Bußgeldvorschriften hinsichtlich ihrer Höhe, Eindeutigkeit und Vorhersehbarkeit der Sanktionen tatsächlich gewahrt werde.

Dr. Ulrike Suchsland-Maser, BDI