03.01.2003
Leitlinien für Beihilfen zu Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse
EU
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Da darüber auch mit den Mitgliedstaaten auf Arbeitsebene diskutiert werden soll, hat die Generaldirektion Wettbewerb unter dem 12. November 2002 ein „Non-Paper“ über Dienste von allgemeinem Interesse und staatliche Beihilfen veröffentlicht.
Schließlich hat der zuständige Direktor, Humbert Drabbe, am 7. November einen Vortrag über „Wettbewerbspolitik: Kontrolle staatlicher Beihilfen und Daseinsvorsorge“ gehalten (auf der Website unter „Vorträge“). Die Probleme, um die es geht, werden darin besonders anschaulich erläutert.
Aus diesen Dokumenten ergibt sich folgendes Bild:
- Die Kommission wird demnächst ein Grünbuch herausgeben. Ein genauer Termin ist noch nicht genannt worden. Danach soll ein „Rahmen für staatliche Beihilfen für mit den Verpflichtungen von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse beauftragte Unternehmen „verabschiedet werden“.
- Die Mitgliedstaaten haben einen großen Ermessensspielraum, wenn sie festlegen, was Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse (Art. 86 Abs. 2 EUV) sind. Die Kommission sieht zwei Gefahren: nachteilige Folgen für Unternehmen, die auf demselben Sektor unter Wettbewerbsbedingungen tätig sind, und Beihilfenprobleme, besonders die Möglichkeit, dass geförderte Unternehmen der Daseinsvorsorge Vergünstigungen in nicht gemeinwirtschaftliche Tätigkeitsbereiche umlenken (Quersubventionierung). Den Schwerpunkt legte die Kommission auf dieses zweite Problem.
- Dem beauftragten Unternehmen dürfen nicht Vergünstigungen gewährt werden, die über das Maß hinausgehen, das zur Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Aufgaben notwendig ist. Soweit dieser Rahmen eingehalten wird, kann es sich um Beihilfen handeln. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes ist aber nicht so eindeutig (Entscheidung „Ferring“: Ausgleich zusätzlicher Kosten ist keine Beihilfe). Zwei weitere Entscheidungen sind zu erwarten. Im Fall „Altmark“ hat der Generalanwalt für das Gegenteil (Ausgleich ist Beihilfe) plädiert. Im Fall GEMO wird von der Generalanwältin eine differenzierte Betrachtungsweise vorgeschlagen. Bevor diese Fälle nicht entschieden sind, kann die Kommission ihren „Rahmen“ nicht fertig stellen.
- Leistungen der Daseinsvorsorge haben zwei Voraussetzungen: Sie werden im Interesse der Allgemeinheit erbracht. Sie sind deshalb mit besonderen Verpflichtungen verknüpft.
- Der Staat muss dem Unternehmen die Aufgabe der Daseinsvorsorge besonders übertragen (klarer, öffentlich zugänglicher Übertragungsakt). Es reicht nicht aus, dass der Staat allgemein die Tätigkeit von Gesellschaften regelt, die in solchen Bereichen tätig sind. Dem Unternehmen müssen konkrete Verpflichtungen auferlegt werden.
- Es muss sich um eine wirtschaftliche Tätigkeit handeln. Die Übernahme sozialer Aufgaben fällt nicht unter die Wettbewerbsregeln des EU-Vertrages. Die Kommission hebt hervor, dass der Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit dynamisch ausgelegt werden muss. So kann der Staat beschließen, bestimmte traditionelle Aufgaben an Unternehmen zu übertragen. Er kann auch die Voraussetzungen dafür schaffen (etwa durch Gesetzgebung), dass für ein Produkt und eine Dienstleistung ein Markt überhaupt erst entsteht, den es ansonsten gar nicht geben würde. Auch dann handelt es sich um wirtschaftliche Tätigkeiten.
- Zum Begriff der Beihilfe gehören vier Elemente: Einsatz öffentlicher Mittel gleich welcher Form, Begünstigung eines bestimmten Unternehmens (Selektivität), Verfälschung des Wettbewerbs, Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten (Ausschaltung lokaler Fälle). Für die Förderung gilt eine Bagatellegrenze von 100.000,- € innerhalb von drei Jahren.
- Für die Vergabe staatlicher Mittel für die Daseinsvorsorge gilt beihilferechtlich: klare Definition von Leistungen der Daseinsvorsorge (weiter Spielraum der Mitgliedstaaten, nur Missbrauchskontrolle durch die Kommission), Beauftragung eines bestimmten Unternehmens, Ausgleichszahlungen gehen nicht über das hinaus, was unbedingt für die Erfüllung der Leistungen der Daseinsvorsorge erforderlich ist.
- Bei der Auswahl der Unternehmen muss der Staat darauf achten, dass das Unternehmen keine Überkompensation seiner Sonderkosten erhält. Er muss das Unternehmen in Übereinstimmung mit den Vorschriften des Vergaberechts auswählen. Aber auch soweit das Vergaberecht nicht eingreift, ist der Staat nach Binnenmarktregeln (Dienstleistungsfreiheit, Niederlassungsfreiheit) verpflichtet, die Gebote der Transparenz, der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit bei der Auftragsvergabe einzuhalten.
- Ob Zahlungen an ein Unternehmen Beihilfen sind, ist nach der Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofes noch nicht endgültig geklärt. Es geht letztlich nur darum, ob sie als Beihilfen notifiziert werden müssen oder nicht.
- Überkompensation wird zum einen durch ein korrektes Vergabeverfahren verringert, zum anderen durch Transparenz (Transparenzrichtlinie: getrennte Buchführung für die gemeinwirtschaftlichen und die anderen Tätigkeitsbereiche eines Unternehmens).
- Die Finanzierung von Aufgaben der Daseinsvorsorge kann aber nicht nur durch direkte staatliche Zuwendungen erfolgen, sondern auch auf anderen Wegen, etwa über Gebühren oder durch die Verleihung ausschließlicher und besonderer Rechte an das beauftragte Unternehmen.
- Im Falle einer Überkompensation ist nicht immer eine Rückzahlung erforderlich, sondern es kann auch eine Verrechnung mit künftigen Zahlungen stattfinden.