31.10.2003
Daseinsvorsorge: Herzog-Bericht unter massivem Beschuss
EU
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Quelle: BDI
Am 1.10. kam es im federführenden Wirtschafts- und Währungsausschuss des EP zu einer scharf geführten Aussprache über den von Herzog (Vereinigte Linke, F) vorgelegten Berichtsentwurf zur Daseinsvorsorge. Herzog plädierte für eine Rahmenrichtlinie (RRL) im Bereich von Dienstleistungen der Daseinsvorsorge, deren Geltungsbereich nicht alle Dienstleistungen von allgemeinem Interesse (DAI), sondern nur diejenigen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse (DAWI) umfassen solle. Wesentliche Punkte:
- Rechtsgrundlage für eine RRL sei Art. 36 der Charta der Grundrechte des EU-Verfassungsentwurfs oder Art. 95 EG (Binnenmarkt).
- Klarstellung des Begriffs Dienstleistungen von allg. wirtschaftlichem Interesse (DAWI).
- Schaffung von notwendigen Kompetenzen durch die Regierungskonferenz.
- Wesentliche Dienstleistungen Volksbildung, Volksgesundheit, Dienstleistungen der sozialen Sicherheit sowie nicht gewinnorientierte Dienstleistungen sollen nicht den Regeln des Binnenmarkts unterworfen werden.
- Angleichung der Qualitätsnormen und der Wirtschaftsgrundsätze bei den Wasser- und Abfalldiensten (Verursacherprinzip, Erzeugerhaftung, Umweltsteuer).
- Berücksichtigung der Finanzdienstleistungen als DAI
- Festlegung der Grundlagen des Verfahrens einer europäischen Regulierung in den Bereichen von Netzen von Diensten von gemeinwirtschaftlichem Interesse (Energie, Verkehr, Kommunikation).
- Erstellung besonderer europäischer Verpflichtungen für Netzindustrien.
- Angleichung der Grundsätze der Kostenberechnung, der Zugangstarife und der Effizienz.
- Anerkennung des Grundsatzes, dass staatliche Beihilfen für DAWI keine staatlichen Beihilfen im Sinne von Art. 87 EG sind.
- Pluralistische öffentliche Bewertung der Dienste in den Netzindustrien, Vorlagen von Jahresberichten durch die MS.
- Errichtung einer Generaldirektion durch die Kommission für die legislative und finanzielle Planung.
Der Berichtsentwurf wurde im Ausschuss von allen Seiten massiv kritisiert: Radwan (EVP, D) warf Herzog vor, weit über die bereits beschlossene Position im Langen-Bericht hinauszugehen und sprach sich gegen eine RRL aus. Der Berichtsentwurf führe zu einer Kompetenzverlagerung auf die EU, die so nicht akzeptabel sei und das Subsidiaritätsprinzip missachte. Daseinsvorsorge müsse weiterhin in den Mitgliedstaaten definiert werden. Qualitätsstandards aus Brüssel seien nicht sinnvoll.
Rapkay (SPE, D) sprach sich ebenfalls dafür aus, auf Grundlage des Langen-Berichts weiterzuarbeiten, ist aber für eine RRL. Es mache keinen Sinn, jetzt wieder von vorne zu beginnen. Der Berichtsentwurf konzentriere sich außerdem zu stark auf die Bereiche Netze und Netzzugänge, welche bereits hinreichend durch Sektorenrichtlinien geregelt seien.
Langen (EVP, D) bewertete den Bericht als weitgehend unbrauchbar und forderte Herzog auf, einen neuen Bericht vorzulegen. Der Begriff der Subsidiarität tauche in Herzogs Bericht so gut wie gar nicht auf. Außerdem gehe Herzog auf die besonders wichtigen beihilferechtlichen Grundsätze, welche der EuGH in seinem Urteil „Altmark Trans“ aufgestellt habe, überhaupt nicht ein.
Schmid (Vereinigte Linke, SWE) kritisierte ebenfalls eine drohende Kompetenzverlagerung auf die EU-Ebene. In seinem Land werde derzeit alles regionalisiert und dezentralisiert, um Leistungen möglichst bürgernah zu erbringen. Der Berichtsentwurf erreiche das Gegenteil.
Lipietz (Grüne, F) brachte hingegen zum Ausdruck, er verstehe die Kritik von Langen und Radwan nicht, die mit der „liberalen Walze“ alles platt machen wollten und warf ihnen eine rein deutsche Blockadehaltung vor.
Berichtsentwurf: https://www.europarl.eu.int/meetdocs/committees/econ/20030930/499262DE.pdf
Auf Grund der heftigen Kritik erklärte sich Herzog nach einer erneuten Aussprache im Wirtschaftsausschuss am 7.10. bereit, einen modifizierten Berichtsentwurf mit einer stärkeren Verankerung der kommunalen Autonomie vorzulegen. Eine völlige Neufassung seines Berichts lehnte er hingegen ab. Der Bericht ist am 21.10. erschienen und wird am 4.11. im Wirtschaftsausschuss diskutiert.
Weiterer Zeitplan: Frist für Änderungsanträge: 13.11., Abstimmung: 2.12., Plenum: 16./17.12.
Im mitberatenden Rechtsausschuss stellte Berichterstatter Koukiadis (SPE, GR) indes am 6.10. seinen Entwurf einer Stellungnahme vor. Er hält Art. 95 EG (Binnenmarkt) als Rechtsgrundlage für eine RRL ausreichend und betonte, diese stehe nicht im Widerspruch zur Existenz sektoraler Richtlinien, sondern könne zur besseren Koordinierung der niedergelegten Prinzipien dienen. Gleichzeitig forderte er die Kommission auf, bei der Erstellung einer RRL die Grundsätze des Universaldienstes, der Kontinuität, der Erschwinglichkeit und der Dienstequalität zu gewährleisten.
Lechner (EVP, D) bezweifelte die Notwendigkeit einer RRL und befürchtet einen Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht der Kommunen. Nach der gegenwärtigen Vertragslage halte er eine Rechtsgrundlage für nicht gegeben. Die unterschiedlichen Definitionen der Daseinsvorsorge in den MS ließen sich nicht durch eine RRL beseitigen. Die Gestaltungsspielräume vor Ort müssten bestehen bleiben.
Gil-Robles (EVP, S) forderte die Aufnahme des Wettbewerbsprinzips in die zu gewährleistenden Grundsätze von Punkt 1 der Stellungnahme.
Lord Inglewood (EVP, UK) erklärte, die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit seien bisher übergangen worden. Es bestehe auch im Bereich der Daseinsvorsorge wie bei anderen legislativen Vorhaben die Tendenz, zu überziehen.
Gebhardt (SPE, D) lobte die Stellungnahme und nannte die Bereiche Wasser, Verkehrsprobleme, Kommunikation, Versorgung als zentrale Themen, die durch eine RRL geregelt werden müssten.
Frist im Rechtsausschuss: 15.10. Abstimmung: 4.11.
Entwurf der Stellungnahme:
https://www.europarl.eu.int/meetdocs/committees/juri/20031006/507172DE.pdf