17.10.2003
Bundeskartellamt: Professorenkonferenz diskutiert GWB-Ausnahmebereiche
Deutschland
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Die jährliche Tagung des Arbeitskreises Kartellrecht des Bundeskartellamts, oft als "Professorenkonferenz" tituliert, fand diesmal am 29. September 2003 in Bonn statt. Mit Blick auf die bevorstehende Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) erörterte man die Ausnahmebereiche dieses Gesetzes. Das Bundeskartellamt hat dafür ein "Diskussionspapier" von 43 Seiten vorgelegt, das auf der Website mit einer Pressemeldung ("Presse 2003", Meldung vom 30.9.2003) veröffentlicht ist.
Das Bundeskartellamt erwähnt zunächst, dass durch die VO 1/2003 nationale Gerichte und Wettbewerbsbehörden EG-Recht zwingend anwenden müssen, wenn der zwischenstaatliche Handel betroffen ist. Kann danach eine Verhaltensweise nicht untersagt werden, darf sie auch nicht durch deutsches Recht verboten werden. Nur soweit der zwischenstaatliche Handel nicht berührt wird, kann das deutsche Recht zu einem Ergebnis kommen, das vom europäischen Recht abweicht. Letztlich hängt damit die Anwendung deutschen Rechts von einem formalen Kriterium ab (das in der Rechtsprechung des EuGH zudem sehr weit ausgelegt wird, was das deutsche Recht noch mehr zurückdrängt). Bei dieser Ausgangslage ist eine kritische Überprüfung der deutschen Ausnahmebereiche angezeigt. Das Diskussionspapier untersucht sieben Bereiche, wobei jeweils das europäische Recht, das keine Ausnahmenbereiche kennt, dem deutschen Recht gegenüber gestellt wird:
- Umwelt, Entsorgung
Umweltkartelle sind heute nach § 7 GWB freistellbar. Dies entspricht im Großen und Ganzen Artikel 81 Abs. 3 EU-V. Forderungen nach einer ausdrücklichen Ausnahme von Umweltkartellen vom Kartellverbot ist entgegen zu halten, dass wegen des Vorrangs der europäischen Wettbewerbsregeln dies nur für lokale, allenfalls regionale Umwelt- und Entsorgungssysteme Bedeutung gewinnen könnte. Aber selbst davon ist bei einer Betrachtung des DSD abzuraten (das Bundeskartellamt bezieht sich hier auf seine Auseinandersetzungen mit dem DSD und erwähnt auch das Sondergutachten der Monopolkommission - siehe FIW-Archiv "Monopolkommission"). - Banken, Versicherungen
Die seit 1957 bestehende Ausnahmevorschrift des § 102 GWB ist durch die 6. Novelle mit einem neuen § 29 GWB durch eine eng begrenzte Sonderregelung ersetzt worden. Sie betrifft die Mitversicherung und das Konsortialgeschäft. Nach § 29 Abs. 1 können Freistellungen von der Preis- und Konditionenbindung und vom Empfehlungsverbot gewährt werden. Die Versicherungswirtschaft hat seit 1999 103 Vereinbarungen, Beschlüsse und Empfehlungen dieser Art angemeldet.
Im EU-Recht ist vor allem die GFVO für die Versicherungswirtschaft zu beachten. Für die Kreditwirtschaft gelten hingegen die allgemeinen Freistellungsvoraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 EU-V. Die meisten Vereinbarungen werden wegen ihrer zwischenstaatlichen Wirkung vom EG-Recht erfasst.
Das Bundeskartellamt plädiert für eine Aufhebung der Ausnahmevorschrift, gibt auch zu bedenken, ob nicht § 29 Abs. 5 Satz 4 GWB durch eine Nachfolgeregelung ersetzt werden sollte (Verfügungen der Kartellbehörde werden im Benehmen mit der zuständigen Aufsichtsbehörde getroffen, in diesem Fall mit dem Bundesaufsichtsamt für Finanzdienstleistungen BAFin). Alles Übrige kann entfallen, weil es im deutschen Recht durch eine Art. 81 Abs. 3 EU-V nachgebildete Freistellungsvorschrift aufgefangen wird. - Verwertungsgesellschaften im Urheberrecht
Die Ausnahme gilt, soweit dies für die wirksame Wahrnehmung der Urheberrechte erforderlich ist. § 30 GWB stammt aus der 6. GWB-Novelle. Die europäische Rechtsprechung erkennt Verwertungsgesellschaften an. Wettbewerbsbeschränkungen durch Verwertungsgesellschaften sind tatbestandlich vom Kartellverbot ausgenommen, soweit sie zur Wahrnehmung der Urheberinteressen unerlässlich sind. Um Einrichtungen, die der Staat mit besonderen Aufgaben betraut hat, handelt es sich bei Verwertungsgesellschaften nicht. Deshalb ist mehrfach gegen Verwertungsgesellschaften aus Art. 82 EU-V vorgegangen worden. Angesichts dieser Sachlage erscheint es nicht erforderlich, an dem Ausnahmetatbestand des deutschen Rechts festzuhalten. - Vermarktung von Sportrechten
Die zentrale Vermarktung von Rechten an TV-Übertragungen von Sportereignissen wird durch § 31 GWB (6. Novelle) vom Kartellverbot ausgenommen. Dies war von Beginn an umstritten. Die Kommission ermittelt gegen den DFB, eine Entscheidung steht noch aus. Das europäische Recht kennt keine Sonderregelungen, respektiert aber eine gewisse Sonderstellung des Sports angesichts seiner sozialen Bedeutung. Grundsätzlich fällt er jedoch unter das Wettbewerbsrecht. Die zentrale Vermarktung war deshalb bereits Gegenstand mehrerer Fälle (UEFA Champions League, Premier League, DFB). Im Falle UEFA hat die Kommission eine Freistellung nach erheblichen Änderungen der betreffenden Verträge ausgesprochen. Da in solchen Fällen fast immer das europäische Recht anzuwenden sein wird, ist die Aufrechterhaltung von § 31 GWB nicht erforderlich. - Landwirtschaft
Vorrangig sind die EG-Regeln über die Landwirtschaft. Die Sonderregelung in § 28 GWB wird wie bisher nur geringe Bedeutung haben. Das Bedürfnis für diese Vorschrift ist deshalb infrage zu stellen. - Wasserwirtschaft
Nach § 131 Abs. 8 GWB gilt die Vorzugsstellung der öffentlichen Wasserversorgung fort, die weiterhin Demarkations- und Konzessionsverträge abschließen darf. Dadurch und durch den Anschluss- und Benutzungszwang wird Wettbewerb verhindert. Das europäische Recht keine solche Ausnahmeregelung. Es ist umstritten, inwieweit Artikel 86 Abs. 2 EU-V auf die Wasserversorgung angewendet werden kann. Darüber wird im Zusammenhang mit dem Grünbuch der Kommission zur Daseinsvorsorge diskutiert (s. FIW-Archiv "Daseinsvorsorge"). Allgemein ist eine stärkere Marktöffnung zu befürworten. In Betracht kommt vor allem der "Wettbewerb um den Markt" mittels Ausschreibungen. Obwohl "Wettbewerb im Markt" durch produkt- und marktspezifische Faktoren erheblich erschwert ist, sollte an § 131 Abs. 8 GWB nicht festgehalten werden, da dadurch jeder tatsächliche und potenzielle Wettbewerb von vornherein ausgeschlossen wird. - Gesundheitswesen
Durch § 69 des Sozialgesetzbuches V wird ein Ausnahmebereich vom Kartellverbot für die Rechtsverhältnisse der gesetzlichen Krankenversicherung zu ihren Leistungserbringern (Ärzte, Krankenhäuser, Apotheken) geschaffen. Nur außerhalb dieses Bereiches ist das Kartellrecht anwendbar. Im europäischen Recht kommt es darauf an (so der EuGH), ob ein Sozialversicherungsträger ein Unternehmen ist (was der Fall ist, wenn die Aufgabe ausschließlich sozialen Charakter hat und das System auf dem Prinzip der nationalen Solidarität basiert). Dem EuGH liegen mehrere Vorlagebeschlüsse vor, in denen es darum geht, ob die deutschen gesetzlichen Krankenkassen Unternehmen sind (bejahend der Generalanwalt in einem ersten Fall, die Entscheidung steht aber noch aus). Da § 69 SGB V das europäische Kartellrecht nicht ausschließen kann, und die Zwischenstaatlichkeitsklausel weit ausgelegt wird, bleibt für das deutsche Recht nicht mehr viel übrig. Das Bundeskartellamt sieht § 69 in diesem Zusammenhang sehr kritisch und stellt einen Bezug zu den laufenden Reformüberlegungen her.
Am Schluss zieht das Bundeskartellamt folgendes Fazit:
"Den grundlegenden Konflikt zwischen dem Wettbewerbsprinzip und nicht-wettbewerblichen Politikzielen, der in einigen Bereichen immer wieder beschworen und als Grund für einen Ausschluss des Wettbewerbs vorgebracht wird, gibt es nicht. Vom Gesetzgeber formulierte politische Ziele, etwa im Umweltschutz oder im Gesundheitswesen, lassen sich in aller Regel im Wettbewerb am effizientesten erreichen.
Für die Aufrechterhaltung branchenspezifischer Privilegien auf nationaler Ebene bestehen entweder keine sachlichen Gründe oder es bleibt - angesichts der weiten Auslegung des Zwischenstaatlichkeitskriteriums im europäischen Wettbewerbsrecht - hierfür praktisch kein Raum.
Mit dem neuen europarechtlichen Regime der VO 1/2003 bestehen vielmehr sehr gute Voraussetzungen, um den Weg der Rückführung und Abschaffung von Ausnahmebereichen zu beschreiten. Mit der durchgreifenden Wirkung der europarechtlichen Regeln auch für traditionelle nationalrechtliche Ausnahmebereiche reduziert sich der Spielraum für kartellrechtliche Sonderstellungen erheblich. Der Gesetzgeber sollte dies nutzen und aus der kritischen Analyse der Ausnahmebereiche die Konsequenzen ziehen: Bestehende Sonderregelungen im nationalen Recht sollte er aufheben, von der Schaffung neuer Ausnahmen von den allgemeinen Regeln des Kartellrechts sollte er absehen."