28.07.2003
Bundeskartellamt: Jahresbericht 2001/2002 vorgelegt
Deutschland
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www.bundeskartellamt.de (Volltext; Pressemeldung)
Bundestagsdrucksache 15/1226 vom 27.06.2003 (mit Stellungnahme der Bundesregierung)
Der Jahresbericht des Bundekartellamtes, den Präsident Dr. Ulf Böge am 23. Juli 2003 der Öffentlichkeit präsentierte, gibt auf 271 Seiten ausführlich Auskunft über die Tätigkeit der Behörde in den Jahren 2001 und 2002. Er behandelt die wettbewerblichen Entwicklungen und die wettbewerbspolitische Lage (Erster Abschnitt), die einzelnen Wirtschaftsbereiche (Zweiter Abschnitt), das Vergaberecht (Dritter Abschnitt) und enthält ein umfangreiches Tabellenwerk (Vierter Abschnitt).
Der Jahresbericht ist wie üblich eine Fundgrube für alle, die am Wettbewerbsrecht und an der Wettbewerbspolitik interessiert sind. Aus dem Ersten Abschnitt sind einige Aussagen hervorzuheben:
Fusionskontrolle
- 2001 wurden 1 568, 2002 1 584 Zusammenschlüsse angemeldet. Dies ist weniger als in den Vorjahren, liegt aber immer noch über dem langjährigen Durchschnitt. 95 Fusionsfälle wurden im Hauptprüfungsverfahren förmlich abgeschlossen (62 Freigaben, 25 Freigaben mit Bedingungen und Auflagen, 8 Untersagungen), 23 Fusionen wurden im Hauptprüfungsverfahren aufgegeben. Die „Vorfeldkontrolle“ (Besprechung des Vorhabens mit dem Amt) funktioniert: 46 Vorhaben wurden in diesem Stadium aufgegeben oder modifiziert. Besonders viele Anmeldungen kamen aus der Energiewirtschaft (82) und der Entsorgungswirtschaft (78).
- In der Energiewirtschaft spielte der Fusionstatbestand des wettbewerblich erheblichen Einflusses eine große Rolle, nämlich beim Erwerb kleinerer Anteile an Stadtwerken durch Stromerzeuger. Das Bundeskartellamt hat bisher bei einem Erwerb von weniger als 20 % keine Bedenken gesehen, will aber über seine Praxis nun nachdenken und in diesem Sektor eine „Gesamtschau“ vornehmen.
- In der Stromwirtschaft werden für Stromlieferungen an Kleinkunden wieder regionale Märkte angenommen.
- Müssen Zusagen von den Parteien angeboten werden oder kann das Bundeskartellamt von sich aus Auflagen und Bedingungen anordnen? Ohne Kooperation der Parteien kann das Bundeskartellamt nur in ganz seltenen Fällen von sich aus tätig werden. Schon aus praktischen Gründen ist das Einverständnis der Parteien notwendig. Im Übrigen gibt das Amt der aufschiebenden Bedingung den Vorzug vor der Aufla-ge.
- Die Parteien können Befreiung vom Vollzugsverbot beantragen. Dies geschah aber nur in drei Fällen. In mehreren Fällen hat das Amt Buß-gelder wegen Verstoßes gegen das Vollzugsverbot verhängt.
- Nach wie vor ungeklärt ist, wann Dritte einen Freigabebeschluss anfechten können. Reicht dafür die bloße materielle Beschwer aus oder muss der Dritte vorher im Verfahren Beigeladener gewesen sein? Das Problem wird bekanntlich auch bei der 7. GWB-Novelle erörtert (Eckpunkte des BMWA vom Februar 2003).
Kontrolle wirtschaftlicher Machtstellungen
- Ein Schwerpunkt liegt bei der leitungsgebundenen Energie (Netzbenutzung, Netzentgelt). Dafür hat das Amt bekanntlich eine besondere Beschlusskammer gebildet.
- Fälle von Behinderungen: Tankstellenpreise (unterschiedliche Preise der Mineralölgesellschaften bei Abgaben an Wettbewerber und an ei-gene Tankstellen), Fährhafen Puttgarden als „essential facility“, Preisunterbietung im Flugverkehr (Lufthansa/Germania – Strecke Berlin – Frankfurt), Geldbußen für DSD und andere wegen Boykottaufrufs gegen Anbieter alternativer Entsorgungsleistungen.
- Telekommunikation: Zusammenarbeit des Amtes mit der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (RegTP) – die RegTP wird tätig, wenn das TKG anzuwenden ist, muss dabei aber §§ 19, 20 GWB berücksichtigen (bei der Marktabgrenzung wirkt das Bundeskartellamt mit), während das Bundeskartellamt für die Fusionskontrolle und das Kartellverbot allein zuständig bleibt.
- Post: Langsame Liberalisierung durch Entscheidung des Gesetzgebers (Monopol bei Briefsendungen bis 2007 verlängert), auch hier Zusam-menarbeit der RegTP und des Amtes, das bei der Marktabgrenzung mitspricht und die allgemeine Missbrauchsaufsicht ausübt.
- Energie: Bei Strom sind die Netznutzungsentgelte nach wie vor das Hindernis; die Gerichte lassen neben dem Vergleichsmarktkonzept auch die direkte Kostenkontrolle zu. Bei Gas kritisiert das Amt die Verbändevereinbarung II. In dem gesamten Sektor ist die sofortige Vollziehbarkeit von Missbrauchsverfügungen wichtig, die durch die Novelle zum Energiewirtschaftsgesetz eingeführt worden ist.
- Verkehr: Bei der Deutschen Bahn AG sollen Betrieb und Netz weiterhin in einer Hand bleiben, aber buchhalterisch getrennt werden. Eine „Trassenagentur“ soll für das Preissystem und die Trassenvergabe zuständig werden. Das Amt ist skeptisch, befürchtet Einschränkungen der Missbrauchsaufsicht.
- Handel: Konditionenanpassung nach Zusammenschluss Metro/Allkauf (Vorteile ohne gerechtfertigten Grund?), Wall-Mart (Verkauf unter Einstandspreis).
Kartellverbot und Kooperation
- Bußgelder 2001 42,6 Mio. €, 2002 4,5 Mio. €. Im März 2002 wurde die Sonderkommission Kartellbekämpfung (SKK) gebildet. Sie hat bisher 149 Betriebe und 20 Wohnungen durchsucht.
- Schwerpunkte lagen bei den Marktinformationssystemen (Entscheidung des OLG Düsseldorf), Einkaufskoopertionen (128 Anmeldungen), Rationalisierungskartellen (15 Freistellungen, meist auf fünf Jahre befristet). Zu § 7 GWB, dem allgemeinem Freistellungstatbestand, erging nur eine einzige Entscheidung (Stellenmarkt Deutschland).
- Vollfunktions-Gemeinschaftsunternehmen werden nach wie vor fusionsrechtlich wie auch nach § 1 GWB geprüft (Ost-Fleisch, vom BGH nach § 1 untersagt).
- Konditionenempfehlungen: nach der Schuldrechtsreform kommt es zu vielen Änderungen und Anpassungen (70 Anmeldungen). Insgesamt sind bisher 349 Empfehlungen angemeldet worden. Bei lediglich redaktionellen Änderungen genügt die Anzeige an das Amt, eine förmliche Anmeldung ist nicht notwendig.
Europäisches Wettbewerbsrecht
- Ausführliche Darstellung (62 Seiten): Zusammenarbeit der Kartellbehörden Forum European Competition Authorities), Modernisierung des Wettbewerbsrechts in der EU (VO 1/2003, Fusionskontrolle), Anwendung europäischen Wettbewerbsrechts durch das Bundeskartellamt, die Entscheidungen der Kommission zu Art. 81, 82 EUV und zur Fusionskontrolle, die Rechtsprechung der Europäischen Gerichte und die internationale Zusammenarbeit im International Competition Network.
- Wussten Sie, dass das Bundeskartellamt über seine ausländischen Besucher Buch führt? 2001/2002 kamen 182.