29.11.2002

XXX. Kölner Seminar am 21. und 22. November 2002 - aktuelle Schwerpunkte des Kartellrechts

Deutschland
FIW
Kölner Seminar

XXX. Kölner Seminar am 21. und 22. November 2002 - aktuelle Schwerpunkte des Kartellrechts

Nach einer kurzen Begrüßung und Einführung durch den Vorsitzenden des FIW, Herrn Dr. Hans Christoph v. Rohr, begann Herr Dr. Kurt Stockmann, Vizepräsident des Bundeskartellamts, mit dem Vortrag „ Entscheidungspraxis des Bundeskartellamtes 2001/2002“.

Im Kartellbereich ist im Bundeskartellamt vor kurzem die neue Organisationseinheit SKK (Sonderkommission Kartellbekämpfung) entstanden, um die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten zu verbessern und zu vereinfachen. Darüber hinaus dient sie als Schnitt- und Clearingstelle ohne eigene Entscheidungsbefugnisse. Herr Dr. Stockmann stellte einige Fälle der letzten Zeit vor, bei denen die Untersuchungen noch nicht abgeschlossen sind. Betroffen sind u.a. die Bereiche „Papier“, „Transportbeton“ und „Möbel für Besatzungsgruppen“. Vom Kartellverbot sind vier Vereinbarungen in den Bereichen „Transportindustrie“, „Kooperation von Stadtwerken“, „Kfz-Wirtschaft“ und „Stellenmarkt Deutschland“ freigestellt worden.

Mit Umzug des Bundeskartellamtes nach Bonn hat das Bundeskartellamt die Zuständigkeit des Kammergerichts verloren, bei dem ca. 28 % der entschiedenen Fälle verloren wurden. Beim OLG Düsseldorf wird zur Zeit noch jeder zweite Fall verloren. Allerdings sei in letzter Zeit auf BGH-Ebene wieder mehr erreicht worden.

Die Missbrauchsaufsicht des Bundeskartellamtes sei, wie Herr Dr. Stockmann ausführte, ein gefährliches und weit unterschätztes Instrument. Intensiv sei sie bei der Preismissbrauchsaufsicht in der Energiewirtschaft eingesetzt worden. Dort sind von der 11. Beschlussabteilung 23 Verfahren eingeleitet worden, von denen aber derzeit nur noch 13 weiter betrieben würden. Für den Bereich des Behinderungsmissbrauchs nannte Herr Dr. Stockmann zwei Fälle, zum einen den Fall der Konkurrenten Lufthansa und Germania auf der Strecke Berlin-Frankfurt. Hier sei für das Bundeskartellamt ein Zwischenerfolg beim OLG erzielt worden, da dem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung noch nicht stattgegeben worden sei. Im zweiten Fall „Wal-Mart“ gehe es um eine Untersagung, unterhalb von Einstandspreisen zu verkaufen, die derzeit vor dem BGH anhängig ist. Darüber hinaus hat die 10. Beschlussabteilung gegen das Konzept „Grüner Punkt“ zahlreiche Verfahren eingeleitet, bei denen fraglich ist, ob das ursprüngliche Toleranzedikt, sofern ein diskriminierungsfreier Zugang vorliegt, aufrechterhalten werden kann.

Im Bereich der Fusionskontrolle seien sechs Vorhaben untersagt worden. Zwei Untersagungen betrafen die Ruhrgas AG, die anderen den pharmazeutischen Großhandel, „Wärmemesser“, „Liberty Media“ und die „Post“ (Schnelldienst, Versandhandel).

Lediglich zwei Fälle seien nach Art. 22 der EG-FKVO von den Mitgliedstaaten an die Kommission verwiesen worden (Promatech Sulzer AG und General Electric).

Im Hinblick auf die anstehende Reform der EG-Fusionskontrollverordnung habe sich das Bundeskartellamt gegen die automatische Zuständigkeit (3 + x-Regel) ausgesprochen. Die Kommission plant, die Fallallokation durch eine flexiblere Handhabung der Verweisungsinstrumente in den Griff zu bekommen.

Im Bereich des Vergabekartellrechts habe sich die Arbeit des Bundeskartellamtes verdoppelt. Bis zum Ende des Jahres wird das Bundeskartellamt mit ca. 100 Fällen befasst sein, die erhebliche Zeit und Ressourcen in Anspruch nehmen. Da der BGH nur über eine Divergenzkompetenz verfügt, entwickele sich das Vergaberecht derzeit eher partikular.

In der Diskussion gab Herr Dr. Stockmann an, dass sich die Durchsuchungen des Bundeskartellamtes angesichts fehlender Ressourcen höchstens auf acht bis neun im Jahr beliefen.


Der anschließende Vortrag von Herrn Prof. Dr. Ulrich Schwalbe von der Universität Hohenheim zum Thema „Die Airtours/First Choice-Entscheidung – ökonomische Grundlagen und politische Konsequenzen“ warf Licht auf die von Juristen oftmals vernachlässigten wirtschaftstheoretischen Grundlagen der Oligopol-Theorie.

Das EuG hatte die Untersagung der Kommission im Fall Airtours für nichtig erklärt, ohne jedoch die von der Kommission herangezogene Oligopol-Theorie näher zu beleuchten. Prof. Schwalbe analysierte die Entscheidung der Kommission und des EuG mit Hilfe der Wirtschaftstheorie, vor allem der Industrieökonomik, bei der das strategische Verhalten der Beteiligten, auffällig besonders bei starken Interdependenzen (Oligopole), eine große Rolle spielt.

Zwei Effekte seien bei der Frage, welche ökonomischen Effekte die geplante Fusion (Verringerung der Anbieter von vier auf drei) hat, zu unterscheiden, und zwar die einseitigen Effekte (unilateral effects) und die koordinierten Effekte (coordinated effects). Beide Arten seien zu trennen, was weder die Kommission noch das EuG getan hätten.

Die Theorie besagt: Nimmt die Zahl der im Markt vorhandenen Firmen ab, werden strategische Interdependenzen größer, was tendenziell zu Preiserhöhungen führt. Dies setzt aber voraus, dass durch die Fusion keine bedeutenden Synergieeffekte oder Effizienzvorteile entstehen. Sind jedoch sehr viele Firmen im Markt, hat dies keine Auswirken auf den Preis, da sich die Effekte auf viele Firmen verteilen. Ist hingegen nur eine Firma am Markt (Monopol ), kann diese eine größere Menge zu einem geringeren Preis absetzen. Eine Mengengesamterhöhung wirkt sich stets allein auf den Monopolisten aus. Da aber der Monopolist einen möglichst großen Gesamtgewinn erzielen möchte, muss der zusätzliche Erlös den zusätzlichen Kosten der Herstellung entsprechen. Im Ergebnis führt dies zu geringeren Mengen bei einem höheren Preis als wenn viele Unternehmen am Markt wären.

In einem oligopolistischen Markt wirkt sich eine Mengenerhöhung jeweils auch auf die anderen Oligopolisten aus. Eine einseitige Mengenerhöhung ist wegen der strategischen Interdependenz für jede Firma spürbar. Jede Firma berücksichtigt nur den Effekt auf den eigenen Gewinn, während der Gesamtgewinn nicht maximiert wird und auch spill-overs keine Rolle spielen. Welches Marktergebnis im Oligopol erzielt werden kann, kann gut anhand der Spieltheorie beantwortet werden, der die Annahme zugrunde liegt, dass sich Firmen und ihre Konkurrenten strategisch und rational verhalten und Firmen in stabilen Situationen keinen Anreiz haben, ihr Verhalten zu ändern. Im Oligopol liegen die angebotene Menge und die Gewinne zwischen vollkommener Konkurrenz und der Monopolsituation. Grundsätzlich wird eine geringere Menge angeboten als in einem Markt mit vollkommenen Wettbewerb. Verringert sich die Firmenanzahl aufgrund einer Fusion, nähert man sich einer monopolistischen Marktstruktur an, bei der die Verbraucher schlechter dastehen. Im Oligopol treten immer unilaterale Effekte auf.

Die Kommission und das EuG haben sich mit diesen unilateralen Effekten nicht auseinandergesetzt. Die Kommission hat hauptsächlich die Frage untersucht, ob ein kollusives Verhalten, das inhaltlich dem Begriff der kollektiven Marktbeherrschung (kein ökonomischer, sondern juristischer Begriff) entspricht, vorliegt. Prof. Schwalbe geht dem Phänomen der kollektiven Marktbeherrschung weiter nach und stellt anhand einer Berechnung dar, dass es selbst bei kollusivem Verhalten, das zu einer Gewinnmaximierung führt, gleichwohl stets auch einen Anreiz gibt, hiervon wieder abzuweichen. Denn durch einseitige Mengenausdehnungen ohne deutlichen Preisverfall kann eine Firma auf Kosten der anderen Firma immer noch einen höheren Gewinn erzielen. Es müssen aber einige Bedingungen und Vorgaben erfüllt sein, um kollektive Marktbeherrschung anzunehmen:
Laut Prof. Schwalbe wäre im Fall Airtours die Untersagung voraussichtlich zu rechtfertigen gewesen, hierfür hätte aber eine Feststellung einseitigen Verhaltens ausgereicht, ohne das Konzept der kollektiven Marktbeherrschung bemühen zu müssen. Diese Konzept sei ohnehin problematisch, da es nicht alle Fälle umfasse. So scheint eine Lücke in der Gesetzgebung vorzuliegen, wenn eine Fusion, die keine marktbeherrschende Stellung begründet, aber gleichwohl negative Auswirkungen auf den Wettbewerb hat, zugelassen werden würde. Zum Schluss bezweifelte Prof. Schwalbe, dass der Marktbeherrschungstest überhaupt noch für sinnvoll erachtet werden könne, und plädierte für eine Übernahme des amerikanischen SLC-Tests.


Hieran schloss sich der Vortrag von Frau Dr. Annette Kliemann, Abteilungsleiterin Postrechtsverfahren und EU-Verfahren, Deutsche Post World Net, zum Thema „ Richtungswechsel in der Beihilfenaufsicht? – neue Entwicklungen in Rechtsprechung und Praxis“ an.

Frau Dr. Kliemann gab zunächst eine kurze Übersicht über das Beihilferecht. Das Beihilfenrecht diene vor allem der Sicherung des unverfälschten Wettbewerbs in der EU. In der letzten Zeit hätten sich die Kommissionstätigkeiten auf diesem Gebiet verstärkt, was bereits an den hohen Rückforderungssummen (zum Beispiel gegenüber EdF) ablesbar sei. Innerhalb der Kommission sei eine Beihilfeabteilung eingerichtet worden, und auch der Beihilfenanzeiger sorge für mehr Transparenz. Geplant sei auch ein Rechtsrahmen für Beihilfen im Bereich der Daseinsvorsorge in Gestalt einer Rahmenrichtlinie oder von Gruppenfreistellungsverordnungen.

Nach einer kurzen Darstellung der Systematik des Beihilferechts anhand der Art. 87 Abs. 1, Art. 86 Abs. 2 EG-Vertrag ging Frau Dr. Kliemann auf einige Begrifflichkeiten näher ein. Nach der Auslegung des EuGH sei der Beihilfebegriff ein weiter, da er nicht nur Subventionen, sondern auch alle Maßnahmen, die diesen in Art und Wirkung gleichstehen, umfasst (st. Rspr. seit 1961). Dies gelte auch für Unterstützungen logistischer und kaufmännischer Art (vgl. EuGH, SFEI v. 11.7.1996) und selbst bei Zahlung kostengerechter Vergütung (vgl. EuGH, Chrono-post v. 19.10.2000). Im Anschluss stellte Frau Dr. Kliemann drei weitere richtungsweisende Urteile des EuGH, und zwar die Urteile Preussen-Elektra, Ferring und Stardust Marine, ausführlicher vor. Beihilfeentscheidungen – so Frau Dr. Kliemann - würden zunehmend auch außerhalb der juristischen Fachwelt wahrgenommen und kommentiert und genössen insgesamt eine erhöhte öffentliche Wahrnehmung.

Im Urteil Preussen-Elektra vom 13.3.2001 urteilte der EuGH, dass die gesetzliche Abnahmepflicht zu Mindestpreisen (hier ginge es um Strom aus erneuerbaren Energien) nicht zur Übertragung von staatlichen Mitteln führt, weshalb eine Beihilfe verneint wurde. Das Kriterium der Staatlichkeit der Mittel sei nur bei Belastungen des öffentlichen Haushaltes erfüllt. Eine gesetzliche Regelung, wie das Stromeinspeisungsgesetz macht einen privat verordneten Mittelzufluss jedoch nicht zu „staatlichen Mitteln“. Eine mögliche Konsequenz dieses Urteils könnte sein, dass die Rundfunkgebühren, die von Privatpersonen gezahlt werden, danach nicht mehr als Beihilfen anzusehen sind. Allerdings sei fraglich, wie zu beurteilen sei, dass diese Gebühren zunächst an das öffentliche Unternehmen GEZ gezahlt werden, das aber nur eine Durchleitungsfunktion habe. Ähnlich verhalte es sich mit Einnahmen aus dem im Postgesetz festgeschriebenen Briefmonopol, die danach nicht den Beihilfebegriff erfüllen dürften.

In dem Urteil Stardust Marine vom 16.5.2002 urteilte der EuGH, dass Art. 87 Art. 1 EG-Vertrag alle Geldmittel umfasst, auf die die Behörden tatsächlich zur Unterstützung von Unternehmen zurückgreifen können, ohne dass es eine Rolle spiele, ob diese Mittel auf Dauer zum Vermögen des Staates gehören. Die Herkunft der staatlichen Mittel wird hingegen nicht thematisiert. Fraglich sei, ob die Staatlichkeit der Mittel schon dann gegeben sei, wenn sie in die Verfügungsgewalt eines öffentlichen Unternehmens gelangt sind. Dies könne zu einer Schlechterstellung öffentlicher Unternehmen führen. Der EuGH legt hingegen den Schwerpunkt seiner Begründung auf das Kriterium der Zurechenbarkeit, wodurch er den Beihilfebegriff einzugrenzen sucht. Danach müssen Behörden in „irgendeiner Weise“ am Erlass der Maßnahmen beteiligt sein, damit man von einer Beihilfe sprechen könne.

In dem Urteil Ferring vom 22.11.2001 suchte der EuGH die Lösung nicht auf der Rechtfertigungs-, sondern auf der Tatbestandsebene. Die Beihilfe müsse zu einer Begünstigung eines bestimmten Unternehmens oder eines bestimmten Produktionszweigs führen. Die Frage, ob der Ausgleich der Kosten für gemeinwirtschaftliche Dienstleistungen eine Beihilfe sei, beantwortete der EuGH wie folgt: Der Beihilfetatbestand sei nur erfüllt, soweit der erlangte wirtschaftliche Vorteil die zusätzlichen Kosten der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse übersteigt.

Die Konsequenzen aus diesem Urteil sind vielfältig. In dogmatischer Hinsicht verliert Art. 86 Abs. 2 EGV bei Anwendung der Tatbestandslösung seine Bedeutung. In politischer Hinsicht verliert die Kommission mangels Notifizierungspflicht ihre beihilferechtliche Kontrollbefugnis, und in praktischer Hinsicht ergeben sich Auswirkungen auf die Beweislast. Die Kommission trägt die Beweislast für die Anwendung des Art. 87 Abs. 1 EGV, während der Mitgliedstaat die Beweislast für Art. 86 Abs. 2 trägt. Allerdings sei fraglich, ob die Ferring-Rechtsprechung nach den anhängigen Verfahren in Sachen Altmark/Gemo Bestand haben wird. Dort plädierten Generalanwalt Leger für eine Rückkehr zur Rechtfertigungslösung und Generalanwalt Jacobs für eine Zulassung der Tatbestandslösung nur in Fällen klar definierter Universaldienstverpflichtungen, ansonsten für eine Rückkehr zur Rechtfertigungslösung.

Die Kommission plant derzeit ein Grünbuch zur Daseinsvorsorge , um einen einheitlichen Standard für Umfang und Qualität der Daseinsvorsorge zu erarbeiten. Darüber hinaus plant sie Leitlinien für die Anwendung von Beihilferegeln, deren Ausgestaltung aber vom Ausgang der EuGH-Urteile in den Sachen Altmark und Gemo abhängen wird.

Zuletzt ging Frau Dr. Kliemann kurz auf die Kommissionsentscheidung vom 19.6.2002 gegenüber der Deutschen Post ein, wonach die Post zur Rückforderung von 572 Mio € plus Zinsen wegen vermeintlich zu Unrecht erhaltener Beihilfen zur Verlustdeckung im Paketbereich verpflichtet wurde. Hiergegen habe die Deutsche Post Rechtsmittel eingelegt.


Im Anschluss hieran berichtete Herr Dr. Thomas Mayen, Rechtsanwalt in der Kanzlei Redeker Sellner Dahs & Wiedmaier über „Aktuelle Entwicklungen im Telekommunikationsrecht“.

Das Telekommunikationsgesetz (TKG) ist zwar ein Sonderkartellrecht, das jedoch vom allgemeinen Kartellrecht abgeleitet sei und umgekehrt auch dem allgemeinen Kartellrecht Impulse gegeben hat. Herr Dr. Mayen sprach im Folgenden drei Bereiche an: den Netzzugang, den Zugang zu wesentlichen Einrichtungen und die Entgeltregelungen.

Die Gewährleistung des Netzzuganges ist im § 35, 37 TKG geregelt. § 33 Abs. 1 Satz 1 TKG verpflichtet ein marktbeherrschendes Unternehmen, diskriminierungsfreien Netzzugang zu gewährleisten, sofern die Leistungen wesentlich seien. Aus § 33 Abs. 2 Satz 1 TKG folgt, dass die Regulierungsbehörde das Unternehmen zu einem positiven Entgelt verpflichten kann. Es stellt sich insbesondere die Frage nach der Wesentlichkeit der Leistung. Ob zum Beispiel der Zugang zur Teilnehmeranschlussleitung eine wesentliche Leistung im Sinne von § 33 Abs. 1 TKG darstelle und ob hier die essential-facility-Doktrin anwendbar sei, ist umstritten. Dafür sprechen der Wortlaut und die Entstehungsgeschichte, sofern man die zu den §§ 22, 26 GWB ergangene Auslegung, an die § 33 TKG anknüpft, zugrunde legt. Dagegen spricht jedoch, dass eine solche Auslegung über die allgemeinen Bestimmungen weit hinaus geht. Offen gelassen wurde die Frage vom Bundesverwaltungsgericht, demzufolge Unternehmen bereits aus § 35 TKG zur Gewährung des Netzzuganges verpflichtet seien, weshalb es nicht der Wesentlichkeitsfeststellung bedurfte.

Dr. Mayen streifte kurz die Frage, ob sich aus der diskriminierungsfreien Zugangsverpflichtung auch ein Verbot unbilliger Behinderungen ableiten ließe. Während dem Unterschied zwischen Diskriminierung und Behinderung im Rahmen von § 20 GWB keine große Bedeutung zukommt, wird dieser Unterschied im Rahmen von § 33 TKG durchaus relevant. Im Anschluss untersuchte er die Befugnisse der RegTP im Verhältnis zum BKartA und zum GWB. Hier hat das OLG Düsseldorf beispielsweise in einer Entscheidung vom 19.12.2001 die Zuständigkeit des Kartellamts verneint, wenn bereits die RegTP entschieden habe und diese Entscheidung bindend sei. Das Kartellamt könne sich zivilgerichtlich nicht über die Entscheidung der RegTP hinweg setzen, damit es nicht zu divergierenden Entscheidungen komme.

Zum Schluss ging Dr. Mayen noch auf die Entgeltregulierung ein. Hier besteht eine Genehmigungspflicht für Vorleistungsentgelte (§ 39 TKG) und die Endkundenentgelte (§ 25 Abs. 1 TKG). Neben dieser Ex-Ante-Regulierung gebe es auch noch eine Ex-Post-Regulierung, sofern ein marktbeherrschendes Unternehmen involviert sei. Der Maßstab für die Entgeltkontrolle ist in § 24 TKG niedergelegt. Bei der Festsetzung des Entgelts müsse man sich demnach an den Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung orientieren. Die Definition findet sich in § 3 Abs. 2 TEntgV. Danach müssten diese Kosten für die Leistungsbereitstellung notwendig sein.

Strittig ist jedoch, ob § 24 Abs. 1 TKG einen eigenständigen Versagungsgrund darstelle. Verneint wird dies mit dem Argument, dass § 24 Abs. 1 TKG nur eine Bezugsgröße darstelle, die anhand § 24 Abs. 2 Satz 1 und 2 TKG (Aufschläge, Abschläge) überprüft werden muss. Weitere Bezugsgrößen zur Entgeltfestellung sind im übrigen Kostennachweise und das Vergleichsmarktprinzip. Die Verpflichtung zur Vorlage umfangreicher Kostennachweise ist in § 2 Abs. 1 TEntgV geregelt, während gemäß § 3 Abs. 3 TEntgV Vergleichsmärkte nur ergänzend heranzuziehen sind. Fraglich ist die Bedeutung des Vergleichsmarktskonzepts. Dr. Mayen ist der Ansicht, dass, wenn die Kostennachweise vollständig und ordnungsgemäß sind, das Vergleichsmarktkonzept nur ergänzend herangezogen werden dürfe. Ob die isolierte Betrachtung des Vergleichsmarktkonzepts unzulässig ist, wird allerdings unterschiedlich beurteilt. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts Kölns kommt das Vergleichsmarktkonzept überhaupt nicht mehr in Betracht, wenn die Kostennachweise nicht ordnungsgemäß sind. Das Oberverwaltungsgericht München hingegen, gestützt auf den Wortlauf von § 3 Abs. 3 TEntgV, möchte eine Ermessensausübung zugunsten der Answendung einer isolierten Vergleichsmarktbetrachtung zulassen.

Die RegTP beansprucht für den Anwendungsbereich des § 3 Abs. 2 TEntgV alleinigen Beurteilungsspielraum für die Frage der Notwendigkeit der Kosten für die effiziente Leistungsbereitstellung. Die Erforderlichkeit und Notwendigkeit müsste nach Auffassung von Herrn Dr. Mayen gerichtlich voll nachprüfbar sein. Ein alleiniger Beurteilungsspielraum der RegTP müsse mangels unternehmerischer Erfahrung der Behörde kritisch beurteilt werden.

Theoretische Kostenmodelle, deren Berücksichtigung nicht ausgeschlossen seien, sollten jedoch nur als ‚second-best’-Lösung ergänzend herangezogen werden.


Die Tagung wurde am 22. November 2002 mit dem Vortrag des leitenden Regierungsdirektors und Vorsitzenden der 11. Beschlussabteilung des BKartA, Herrn Dr. Markus Wagemann, mit dem Thema „Kartellrechtliche Missbrauchsaufsicht im Bereich der Elektrizitätswirtschaft“ fortgesetzt.

Herr Dr. Wagemann stellte zunächst kurz die Entwicklung des Kartellrechts bis zur gegenwärtigen Marktsituation dar. Vor 1998 sei bereits die Missbrauchsaufsicht im Gasbereich von einiger Relevanz gewesen. 1998 ist in § 6 EnGW das Recht auf unmittelbaren Netzzugang normiert worden. Mit der 6. GWB-Novelle 1999 ist § 19 Abs. 4 GWB und damit die ‚essential-facilities’-Doktrin eingeführt worden. Die Binnenmarktrichtlinie Strom aus dem Jahr 1996 und die Binnenmarktrichtlinie Gas aus dem Jahr 1998 seien seitdem Motor der Entwicklung gewesen. Allerdings sei die Marktöffnung asymmetrisch erfolgt, und die Märkte für Haushalts- und Industriekunden seien unterschiedlich geöffnet worden. Lediglich in Deutschland habe man auf die Regulierung dieser Bereiche verzichtet und das Konzept des verhandelten Netzzugangs in Gestalt der verschiedenen Verbändevereinbarungen für Strom und Gas und ihrer Nachfolger eingeführt.

Im BKartA habe man darauf hin die 11. Beschlussabteilung und im Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit eine eigene Task Force für den Energiesektor eingerichtet. Mit Einführung des Wettbewerbs auf dem Strommarkt (1998) seien zunächst deutliche Preissenkungen zu beobachten gewesen. Im Bereich der Industriekunden hätten zwar nur 10-20 % den Stromanbieter gewechselt, in 50% der Fälle sei jedoch erfolgreich nachverhandelt worden.

Im Rahmen der Entgeltfestsetzung sei das räumliche Vergleichsmarktkonzept zentral, das durch einen Erlösvergleich (Erlöse pro km Leitungslänge) bei Berücksichtigung etwaiger Boni und Mali (z.B. Querverbundvorteile) verfeinert worden sei. Unter Erlösen seien mengengerichtete Preise zu verstehen. Da es sich bei den Netzbetreibern nach wie vor um natürliche Monopole handelt und im Rahmen des Zugangs nur die Mitnutzung des existierenden Netzes in Frage kommt, ist jedoch fraglich, wie das Vergleichsmarktkonzept angewendet werden kann. Gemäß höchstrichterlicher Rechtssprechung reicht hier jedoch bereits der Vergleich mit einem einzigen Unternehmen (Monopolist) aus. Neben diesem Konzept findet aber auch eine Kostenkontrolle statt, bei der interne Kosten (zum Beispiel die Zuordnung von Personal) anhand kalkulatorischer Kostenansätze überprüft werden.

Derzeit steht die Verrechtlichung der Verbändevereinbarungen an. Nach dem vorliegenden Entwurf der Novelle für das Energiewirtschaftsgesetz sollen kartellrechtliche Verfügungen sofort vollziehbar werden. Gemäß § 6 EnWG soll künftig  vermutet werden, dass die Verbändevereinbarungen guter fachlicher Praxis entsprechen, wodurch ihnen kartellrechtliche Unbedenklichkeit bescheinigt würde. Die §§ 19, 20 GWB sollten jedoch im Übrigen anwendbar bleiben. Diese Novelle sei aber bislang dem Wahlkampf zum Opfer gefallen. Mit einer Neueinbringung in den Bundesrat, wie sie auch in der Koalitionsvereinbarung vorgesehen ist, sei daher erst im April 2003 zu rechnen.

Dr. Wagemann gab zu erkennen, dass das BKartA Bedenken gegenüber der Verrechtlichung der Verbändevereinbarung hat. Nach Ansicht des BkartA sei der Vorteil der Flexibilität der Verbändevereinbarung dadurch nicht mehr gegeben. Auch würden die Beweisanforderungen der Kartellbehörde hierdurch erhöht. Eine fachliche Prüfung der Vermutung guter fachlicher Praxis fände ebenfalls nicht statt. Rechtssicherheit könne auch anders erreicht werden, zum Beispiel durch die Möglichkeit einer abstrakten Missbrauchsprüfung.

Derzeit könne beobachtet werden, dass die strukturellen Marktzugangshemmnisse (zum Beispiel hohe Nutzungsentgelte) mittlerweile an Intensität nachgelassen hätten. Daneben hätten aber die Großfusionen zu einer Situation nachlassenden Wettbewerbs geführt, die mit Preissteigerungen verbunden sei. Das BKartA erwägt daher bei den Haushaltskunden und regionalen Kunden eine Rückkehr zur regionalen Marktabgrenzung. Es überlegt ebenfalls, ob das Tatbestandsmerkmal des „wettbewerblich erheblichen Einflusses“ in § 37 GWB enger ausgelegt werden sollte, um auch schon Beteiligungen von 20% oder darunter in den Anwendungsbereich von § 37 GWB gelangen zu lassen.

Probleme der Netzzugangsverweigerung, mit denen das BKartA bislang hauptsächlich befasst war, spielten heute so gut wie keine Rolle mehr. Aktuell gehe es mehr um die Bedingungen des Netzzugangs (Entgelte), Mess- und Verrechnungspreise und Regelenergie. Bei der Kontrolle der Netznutungsentgelte gemäß § 19 Abs. 4 Nr. 2 und 4 GWB gelte zunächst das räumliche und zeitliche Vergleichsmarktkonzept, dann die Subtraktions- oder Differenzmethode, die Kostenkontrolle und das Benchmarking, das vielfach auf der Grundlage von hypothetischen Vergleichsunternehmen von den Regulierungsbehörden angewendet würde.


Der nächste Referent war Herr Dr. Dirk Schroeder, Partner der Kanzlei Linklaters Oppenhoff & Rädler, der über das Thema „ Abhilfemaßnahmen in der europäischen und deutschen Fusionskontrolle “ sprach.

Abhilfemaßnahmen, worunter Auflagen und Bedingungen zu verstehen seien, können die Untersagung eines Zusammenschlusses verhindern, weil sie das Entstehen oder die Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung vermeiden oder weil sie zu Verbesserungen der Wettbewerbsbedingungen auf anderen Märkten führen. Die Perspektiven sind dabei verschieden. Aus der Sicht der Kartellbehörde kommt es für die Genehmigungsfähigkeit eines Zusammenschlusses auf eine gewisse Prognosesicherheit an, die durch „Markettesting“ ermittelt wird.
 
Seit der 6. GWB-Novelle kann das BKartA im Übrigen Auflagen und Bedingungen selbst festlegen. Nicht klar ist jedoch, ob diese von Amts wegen festgestellt werden oder diesen wie im EG-Recht „Zusagen“ vorhergehen müssen. In der Praxis ist der Unterschied nicht so groß, lässt doch auch die Kommission oft erkennen, welche Abhilfemaßnahmen sie sich konkret vorstellt.

Zusammenschlussbeteiligte, die sich oft in einem Prozess des „Bargaining“ befinden, müssen sich fragen, welche Konzession Erfolg versprechend, wirtschaftlich möglich, technisch und gleichzeitig rechtlich machbar ist. In der Praxis trifft die Auflage meistens den Erwerber und nicht den Veräußerer, es sei denn, es handelt sich um einen Oligopol-Markt. Abhilfemaßnahmen sind dann keine Lösung, wenn sie nicht passen, voraussichtlich nicht funktionieren, wenn sie wegen ihrer Komplexität nicht zu beurteilen sind (z.B. bei NCI-Worldcom-Sprint), wenn zu hoch gepokert wurde oder wenn sie zu spät erfolgen (z. B. bei Airtours/First Choice).

Auch der Dritte wird sich fragen, ob und auf welche Art er den Zusammenschlussvorhaben seiner Konkurrenten entgegen tritt, denn bei einem offenen Auftritt besteht immer die Gefahr von Repressalien.

Die Rechtsgrundlagen für Auflagen und Bedingungen befinden sich in Art. 6 Abs. 2 und Art. 8 Abs. 2 FKVO sowie § 40 Abs. 3 GWB. Bei den Abhilfemaßnahmen gibt es sowohl strukturelle als auch Verhaltenszusagen. Im EG-Recht hat sich eine Präferenz für strukturelle Zusagen herausgebildet, allerdings gebe es in Phase I oft auch Verhaltenszusagen . Eine Ausnahme stellt der Fall Boeing/Mc Donald Douglas dar, bei dem eine Reihe von reinen Verhaltenszusagen gemacht wurden. In letzter Zeit würden strukturelle Abhilfemaßnahmen von zusätzlichen und/oder absichernden Maßnahmen begleitet. Das deutsche GWB, das Verhaltenszusagen den Vorrang gibt, sollte nach Ansicht von Dr. Schroeder bald dem EG-Recht angepasst werden.
Abhilfemaßnahmen können in der juristischen Terminologie Veräußerungszusagen, Marktöffnungszusagen und sonstige Entflechtungszusagen sein. Aus ökonomischer Sicht differenziere man mehr nach der Wirkung, nämlich danach, ob Abhilfemaßnahmen zu einer vertikalen Desintegration, zur Auflösung horizontaler Verbindungen, besserem Marktzutritt und mehr Wettbewerb führen.

Im Oligopol gilt grundsätzlich das gleiche Instrumentarium. Allerdings erlangen Entflechtungszusagen besondere Bedeutung zur Intensivierung des Binnenwettbewerbs. Diese können dazu dienen, die Marktstellung der Zusammenschlussbeteiligten zu vermindern, neue Wettbewerber zu schaffen oder existierende zu stärken.

Wird eine solche Veräußerungszusage getroffen, kommt es darauf an, dass ein lebensfähiges Geschäft (viable Business) veräußert wird und der Käufer geeignet ist, dieses fortzuführen. Wichtig ist dabei die Fähigkeit zur Selbstständigkeit, der Zugang zu Rohstoffen und Märkten, und dass das Geschäft unabhängig von den Zusammenschlussbeteiligten existieren kann, es über eine genügende Größe verfügt und die Produktpalette vernünftig ausgestaltet ist. Ein Käufer gilt dann als geeignet, wenn er bereits auf dem Markt oder ähnlich gelagerten Märkten tätig ist, keine neuen Wettbewerbsprobleme schafft und über genügende Sachkenntnis verfügt. Während früher der ‚Upfront buyer’, d.h. die Präsentation eines Käufers vor Genehmigung eines Zusammenschlusses, eher eine Ausnahmeerscheinung war, wird er jetzt von der Kommission verstärkt gefordert. Der Erwerber bedarf stets der Genehmigung durch die Kommission und des Bundeskartellamtes.

Am 12. Juli 2002 hat die Kommission ein Standardmodell für Veräußerungszusagen vorgestellt, worin sie weite Rechte für Veräußerungs- und Sicherungstreuhänder vorsieht. Ein Veräußerungstreuhänder überwacht zunächst die Verkaufsbemühungen der Parteien für eine bestimmte Zeit. Findet ein solcher Verkauf nicht statt, erhält der Veräußerungstreuhänder regelmäßig den Auftrag, den Veräußerungsgegenstand zu jedwedem Preis selbst zu verkaufen.

Grundsätzlich ist es möglich, in jeder Phase des Verfahrens, d. h. auch bereits vor der Anmeldung, Zusagen abzugeben. Eine Verlängerung der Drei-Monats-Frist der Phase II in der europäischen Fusionskontrolle sei  jedoch nur unter außergewöhnlichen Zuständen möglich, während sie in der deutschen Praxis gar nicht vorkomme. Problematisch ist, dass Zusagen oft erst nach Bekanntgabe der Beschwerdepunkte abgegeben werden und die Parteien dann oft wenig Zeit haben, an solchen Zusagen zu feilen. Bei der anstehenden Reform der EG-Fusionskontrolle wird derzeit die Möglichkeit einer Fristenverlängerung in Phase I und II erwogen.

Im deutschen Recht sei umstritten, ob eine selbstständige Anfechtung von Bedingungen/Auflagen möglich ist. Im EG-Recht ist dies möglich. Bei Nichteinhaltung von Auflagen können diese sowohl im deutschen Recht als auch im EG-Recht widerrufen werden.


Das Seminar beschloss Herr Michael Baron, Referatsleiter im BMWA, mit dem Thema „Die Ministererlaubnis auf dem Prüfstand – Erfahrungen aus dem aktuellen Fall E.ON/Ruhrgas“.

Der Fall E.ON/Ruhrgas sei das aufwendigste Verfahren in der Fusionskontrollgeschichte. Es ist die erste Freigabe seit 12 Jahren, die Zahl der beteiligten Unternehmen sei mittlerweile auf 48 angestiegen. Eine Besonderheit ist, dass die Ministererlaubnis gleich zwei Mal erteilt worden sei. Die vom Gericht behaupteten Verfahrensfehler bei der ersten Ministererlaubnis seien jedoch durch die zweite Ministererlaubnis ausgeräumt worden. Diese „Heilung“ durch Erteilung der zweiten Ministererlaubnis habe die Auseinandersetzung weiter verschärft.

Neu sei nicht die Tatsache, dass die Ministererlaubnis angefochten worden sei, sondern dass die Vollziehung der Ministererlaubnis durch einstweilige Anordnung ausgesetzt worden sei. Das OLG Düsseldorf sei aber derzeit bestrebt, die endgültige Entscheidung so bald wie möglich zu treffen, eine mündliche Verhandlung sei bereits für Ende Januar 2003 avisiert worden. Die zwei Ministererlaubnisverfahren werden dort als eine Einheit behandelt. Für das Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz sei bereits eine Entscheidung Ende November/Anfang Dezember zu erwarten.

Im Weiteren untersuchte Herr Baron, ob sich die Ministererlaubnis insgesamt als Instrument bewährt hat. Da die Qualität der Entscheidungen von der Treffsicherheit der Prognosen abhänge, sei das Bundeswirtschaftsministerium gerade im Bereich der Energieprognosen sehr skeptisch. Allerdings hätten sich auch die Prognosen des Bundeskartellamtes nicht immer bewahrheitet.

Da auch einige Wettbewerbsbehörden anderer Länder oft nicht-wettbewerbliche Gesichtspunkte berücksichtigen, sollte – so Herr Baron – das deutsche System beibehalten werden, da es immerhin eine klare Trennung der Verantwortlichkeiten beinhaltet. Allerdings sei zweifelhaft, ob die Ministererlaubnis nach E.ON/Ruhrgas noch praxisrelevant sein könne. Die großen Fälle, die aufgrund des Zwei-Drittel-Kriteriums der EG-FKVO in Deutschland geprüft werden, sind nicht allzu häufig. Die Verweisungsfälle, die im Zuge der Reform der EG-FKVO in Deutschland wieder geprüft würden und damit auch dem Recht der Ministererlaubnis unterstehen, dürften jedoch eher zunehmen.

Daneben untersuchte Herr Baron eine Reihe weiterer Gesichtspunkte, die bei der Ministererlaubnis relevant wurden:
  1. Die Frage, ob die internationale Wettbewerbsfähigkeit ein eigenständiger Gesichtspunkt sein könne, habe sich im Laufe der Zeit verändert. Es geht nicht mehr darum, ob sich Unternehmen überhaupt erst im internationalen Wettbewerb behaupten können, sondern es käme jetzt darauf an, wie sich die internationale Wettbewerbsfähigkeit auf den nationalen Markt auswirkt und nachweisbar der Marktgegenseite zugute kommt.
  2. Die Versorgungssicherheit sei hingegen ein berechtigtes Gemeinwohlinteresse, das aber hohen Anforderungen an die Nachweisbarkeit unterliegt.
  3. Zum Umfang der Nachweisanforderungen der Gemeinwohlbelange: Während Prof. Möschel auf einer Nachweisbarkeit in vollem Umfang bestehe, sollte es – so Herr Baron - ausreichen, dass Prognosen lediglich plausibel und so verlässlich wie möglich sein müssten, da zukünftige Entwicklungen gerade nicht in vollem Umfang nachweisbar seien.
  4. Bindung des Bundeswirtschaftsministerium an die Feststellungen des Bundeskartellamts: Da das Bundeskartellamt und das Bundeswirtschaftsministerium beide Wettbewerbsbehörden seien, die im Sinne einer Arbeitsteilung tätig werden, findet keine Überprüfung der BkartA-Entscheidungen durch das Bundeswirtschaftsministerium statt. Das Bundeswirtschaftsministerium prüft gleichwohl das Vorhandensein von Gemeinwohlinteressen und zeitlich nachgelagerte Umstände, die das Bundeskartellamt nicht berücksichtigen konnte.
  5. Eine Gesetzesänderung zur Verankerung der Versorgungssicherheit und einer Bevorratungspflicht kann das Bundeswirtschaftsministerium nicht beauftragen, da der Gesetzgeber nicht weisungsgebunden sei.
  6. Das Bundeswirtschaftsministerium kann jedoch als Wettbewerbsbehörde eine Auflagenkontrolle durchführen.
  7. Während die Monopolkommission behauptet habe, die Ministererlaubnis verstoße gegen Art. 81, 82 EGV, könnten – so Herr Baron - die Ministererlaubnis und die Fusionskontrolle nicht von Art. 81 EGV ausgeschlossen sein.
  8. Da die Fristen in der europäischen und deutschen Fusionskontrolle nicht identisch seien, könnte dies problematisch werden, wenn nach rechtskräftiger Entscheidung des BkartA grundlegende Änderungen in der Zwischenzeit erfolgen, die bei sukzessiver Kommissionszuständigkeit noch einmal zu überprüfen wären. Hier wäre eine stärkere Abstimmung der Zeitpunkte der Fusionskontrollmechanismen wünschenswert.
  9. Zur Frage, ob bei Befangenheit des Ministers eine Ministererlaubnis in Vertretung durch einen anderen Minister oder einen Staatssekretär zu erfolgen habe, sprach sich Herr Baron für die Staatssekretär-Lösung aus, während die Monopolkommission für eine spezielle Regelung im Gesetz plädiert habe.
  10. Zur Frage, ob der Minister an der mündlichen Verhandlung im Vorfeld der Ministererlaubnis teilnehmen muss, wofür sich das OLG Düsseldorf ausgesprochen habe, spreche der Wortlaut des § 56 GWB dafür, das Bundeswirtschaftsministerium und nicht den Minister in Person ausreichen zu lassen.
  11. Die Heilung durch Erlass einer zweiten Ministererlaubnis muss zulässig sein, da die Heilung die Prozedur abkürzen soll. Es wäre wenig sinnvoll, erst die falsche Entscheidung bis zum Ende anzufechten. Gerade angesichts knapper Fristen kann eine Heilung zu einer rascheren Entscheidung beitragen.
  12. Hinsichtlich der Rechte der Verfahrensbeteiligten, insbesondere der Beiladung, hat die Verwaltungsbehörde grundsätzlich Ermessen. Allerdings sollte das Ermessen – so Herr Baron – stets die Durchführbarkeit des Verfahrens im Blick haben. So müssten bei Beiladungen je nach Umfang und Ausmaß der Beteiligungen unter Umständen Abstufungen hingenommen werden.
Am Ende stand das Fazit, die Ministererlaubnis beizubehalten . Es sei jedoch fraglich, ob sich der Rechtsschutz bewährt habe und im Rahmen der 7.GWB-Novelle hier nicht einige Korrekturen durchgeführt werden sollten.


Dr. Ulrike Suchsland-Maser, LL.M
BDI