01.08.2002
Vorschlag einer neuen EU-Fusionskontrollverordnung
EU
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www.europa.eu.int/comm/competition |
Die Verordnung wird vom Ministerrat beschlossen und soll am 1. Mai 2004 in Kraft treten. Das Europäische Parlament wird vorher konsultiert.
Mit ihrem Vorschlag schließt die Kommission eine einjährige Diskussion ab, die im Dezember 2001 mit einem Grünbuch begann und intensive Beratungen mit den Mitgliedstaaten und Erörterungen mit den interessierten Kreisen einschloss. Es handelt sich um eine tief greifende Reform, wenngleich die Struktur der Fusionskontrolle im Ganzen unangetastet bleibt.
Die Vorschläge betreffen vor allem die Zuständigkeitsverteilung zwischen Kommission und Mitgliedstaaten, den Prüfungsmaßstab und den Verfahrensablauf. Zusätzlich hat die Generaldirektion Wettbewerb Maßnahmen zur Verbesserung der Entscheidungsqualität angekündigt.
Zuständigkeit
- Die Zuständigkeit der Kommission für die Prüfung von Zusammenschlüssen wird entgegen dem Wunsch vieler Interessenten nicht ausgedehnt. Statt dessen sollen die Verteilung und Zuweisung von Fällen zwischen Brüssel und den nationalen Behörden verbessert werden.
- Dazu werden zunächst die Verweisungsverfahren der Artikel 9 und 22 erleichtert. Statt auf die Marktbeherrschung kommt es künftig darauf an, ob eine Fusion den Wettbewerb in einem Land wesentlich beeinträchtigt (... significantly affects competition). Ein Fall kann an die Kommission verwiesen werden (Artikel 22), wenn er diese Voraussetzung für mehrere Länder erfüllt und mindestens drei Länder einen Verweisungsantrag stellen.
- Schon vor der eigentlichen Anmeldung können die Parteien in einem Vorverfahren klären lassen, ob eine Fusion, die mehrere Mitgliedstaaten berührt und unterhalb der Schwellenwerte des Artikels 1 bleibt, der europäischen oder der nationalen Ebene zugewiesen wird. Voraussetzung ist ein Antrag an die Kommission (reasoned submission). Die betroffenen Mitgliedstaaten werden unterrichtet und müssen sich binnen zehn Arbeitstagen äußern. Schweigen gilt als Zustimmung. Die Kommission entscheidet dann innerhalb von weiteren zehn Arbeitstagen über die Zuständigkeit (Artikel 4 Abs. 4 und 5 neu).
Prüfungsmaßstab
- Die Auseinandersetzungen über den europäischen oder den amerikanischen Maßstab (Marktbeherrschung oder „substantial lessening of competition") werden mit einem Kompromiss beendet (Artikel 2 Abs. 2 neu). Unternehmen haben eine marktbeherrschende Stellung „if, with or without coordinating, they hold the economic power to influence appreciably and sustainably the perameters of competition ...".
- Effizienzen sollen berücksichtigt werden. Dies wird in Leitlinien für horizontale Zusammenschlüsse deutlich, die gleichzeitig mit dem neuen Vorschlag veröffentlicht worden sind (dazu folgt ein besonderer Überblick).
Verfahren
- Die Anmeldefrist für einen Zusammenschluss (eine Woche nach dem Vertragsschluss, Artikel 4 Abs. 1) wird gestrichen. Fusionen müssen vor ihrem Vollzug (implementation) angemeldet werden. Die Anmeldung kann auch schon vor Vertragsschluss eingereicht werden, wenn die Absicht des Vertragsschlusses feststeht (a good faith intention to conclude an agreement).
- Die Frist für eine Entscheidung in Phase I, die nach 25 Arbeitstagen (AT) zu treffen ist, kann um 10 AT aufgeschoben werden, wenn ein Mitgliedstaat einen Verweisungsantrag nach Artikel 9 stellt oder die Parteien Zusagen angeboten haben (Artikel 10 Abs. 1 neu).
- Die Frist für die Entscheidung in Phase II, die nach 90 AT zu treffen ist, kann um 15 AT hinausgeschoben werden, wenn die Parteien Zusagen anbieten. Phase II kann auf Antrag der Parteien oder durch die Kommission mit Zustimmung der Parteien in schwierigen Fällen um bis zu 20 AT verlängert werden. Ein Antrag der Parteien muss innerhalb von 15 AT nach Beginn der Phase II gestellt werden.
- Erklärt das EuG eine Fusionsentscheidung der Kommission für nichtig (was hin und wieder vorkommt), so beginnt nicht mit der Entscheidung ein neuer Fristlauf (so jetzt Artikel 10 Abs. 5), sondern die Parteien reichen eine neue oder ergänzte Anmeldung aufgrund der jetzt bestehenden Marktverhältnisse ein, die dann innerhalb der normalen Fristen geprüft wird.
- Die Durchsetzungs- und Ermittlungsbefugnisse der Kommission werden parallel zu den neuen Regelungen der Verordnung über das Kartellverfahren („VO 17") ausgedehnt. Dies schließt die Befragung aller Personen ein, die zustimmen (Artikel 11 Abs. 7 neu), nicht aber die Durchsuchung von Privaträumen. Der Rahmen für Geldbußen und Zwangsgelder wird erweitert: bei Geldbußen für Verstöße gegen korrekte Information oder Dokumentenvorlage statt 50.000 Euro künftig 1 % des Jahresumsatzes (Artikel 14 Abs. 1 neu), bei Geldbußen für Verstöße gegen die Anmeldepflicht oder die Erfüllung von Zusagen bleibt es bei 10 % vom Jahresumsatz (Artikel 14 Abs. 3), bei Zwangsgeldern für Verzögerungen von Informationen oder anderen Maßnahmen sind künftig 5 % eines Tagesumsatzes die Obergrenze (Artikel 15 Abs. 1 neu).
Verbesserungen der Entscheidungsqualität
- Die Kommission darüber hinaus eine Reihe von Maßnahmen angekündigt, mit denen sie die Qualität ihres Entscheidungsprozesses verbessern will. In der Pressemeldung vom 12. Dezember 2002 ist dazu nachzulesen:
- Schaffung des Postens eines Chefökonomen in der Generaldirektion Wettbewerb. Der Chefökonom und sein Mitarbeiterstab werden in die Prüfung von Zusammenschlüssen und anderen Wettbewerbsangelegenheiten einbezogen. Der Inhaber dieses Postens wird ein anerkannter Wirtschaftsexperte sein, der vorübergehend zur Kommission abgestellt ist und der direkt dem Generaldirektor untersteht. Die Stelle wird in den nächsten Wochen ausgeschrieben.
- Für alle umfassenden Prüfungsaufträge soll ein Kontrollforum aus erfahrenen Beamten bestellt werden, das die Schlussfolgerungen der mit dem Fall befassten Bediensteten an zentralen Stellen des Verfahrens unvoreingenommen noch einmal überprüft.
- Der Mitarbeiterstab der Anhörungsbeauftragten wird aufgestockt.
- Innerhalb der Generaldirektion Wettbewerb wird ein Verbindungsbeamter für Verbraucherfragen eingesetzt, um Verbraucheranliegen stärker Gehör zu verschaffen.
- Den Unternehmen, deren Fusionsvorhaben geprüft wird, wird zu einem früheren Zeitpunkt Gelegenheit zur Akteneinsicht gegeben; dies gilt vor allem für Fälle, in denen die zweite Prüfungsphase eingeleitet worden ist.
- Ebenso wird den Unternehmen jetzt - unter Wahrung der Vertraulichkeit - früher Gelegenheit gegeben, Einsicht in Stellungnahmen Dritter zu nehmen, in denen Bedenken angesichts der Auswirkungen des geplanten Zusammenschlusses auf den Wettbewerb geäußert werden. Soweit möglich, sollen die fusionierenden Unternehmen diese Bedenken auch direkt mit den betreffenden dritten Unternehmen und mit der Kommission erörtern können.
- Die Kommission beabsichtigt, systematisch an zentralen Punkten des Verfahrens so genannte Verfahrensstands-Zusammenkünfte mit den beteiligten Unternehmen anzubieten. Damit soll gewährleistet werden, dass die beteiligten Unternehmen über den Stand der Untersuchung auf dem Laufenden gehalten werden und Gelegenheit erhalten, ihren Fall mit höherrangigen Kommissionsbediensteten zu erörtern.