19.11.2002
Thomas A. Leary: Efficiencies and Antitrust - A Story of Ongoing Evolution (Vortrag)
Mr. Thomas A. Leary, einer der fünf Commissioners der Federal Trade Commission, hat am 8. November 2002 in Washington vor dem kartellrechtlichen Herbstforum der American Bar Association einen Vortrag über Effizienzen im Kartellrecht gehalten. Das Schwergewicht lag dabei auf der Fusionskontrolle. Für die europäische Diskussion ist seine Analyse interessant:
- Zunächst wurden im amerikanischen Kartellrecht Effizienzen als Nachteil angesehen. Größere Unternehmen waren tendenziell unerwünscht. Organisatorische Effizienz wurde mit Marktmacht im Sinne von Sec 7 des Clayton Act angesehen.
- Andere Effizienzen wurden gar nicht erkannt, etwa economies of scale.
- Die Wende kam mit Ronald Coase (The Nature of the Firm, 1937) und Oliver Williamson (Economics as an Antitrust Defense, 1974): Fusionen können zu erheblicher Senkung der Transaktionskosten beitragen (etwa Fusionen mit einem Zulieferer).
- Heute ist die Konvergenz von Recht und Ökonomie herrschende Lehre: Antitrust policy should be based on whatever it is we know at any particular moment about the economics of industrial organisation (William Baxter, 1985).
- Diese Linie hat der Supreme Court in der Entscheidung Cargill vs. Montfort 1986 bestätigt. Dort ging es um multiplant efficiencies, die zu Preissenkungen und damit zur Erhöhung des Marktanteils führten. Sie wurden von den Richtern als günstig beurteilt.
- Das Department of Justice und die Federal Trade Commission haben das Problem in den Merger Guidelines behandelt. Die Revision von 1997 hat anerkannt, dass der Hauptzweck eines Zusammenschlusses die Möglichkeit ist, Effizienzen zu erzielen (the pontential to generate efficiencies). Unter Commissioner Pitofsky setzte sich folgende Auffassung durch: Effizienzen können die Vermutung der Wettbewerbswidrigkeit (Anwendung des HHI-Indexes) einer Fusion entkräften (prima facie case), sind aber keine eigenständigen Verteidigungen. Dies hat Bedeutung für die Beweislast (nach deutscher Terminologie für das Beweismaß: Wahrscheinlichkeiten genügen, um die prima-facie-Wirkung auszuschalten).
- Effizienzen spielen hauptsächlich in der Fusionskontrolle eine Rolle, es gibt sie aber auch bei Wettbewerbsbeschränkungen.
- Frage ist: wenn bei der durch eine Fusion erhöhten Konzentration das neue Unternehmen die Preise erhöht, kann dies durch Effizienzen aufgewogen werden (quantifizierbare Effizienzen, an denen die Verbraucher partizipieren)? Beispiel: Skaleneffekte, höheres Innovationspotenzial, besseres Management, geringere Kosten für die Kapitalbeschaffung.
- Hauptproblem ist die Abschätzung der Folgen einer Fusion und damit auch der Effizienzen. Selbst wenn man die relevanten Marktdaten hat, müssen unsichere Umstände wie die Elastizität der Nachfrage oder das Verhalten der Konkurrenten eingeschätzt werden. Die Parteien des Zusammenschlusses müssen die Effizienzen geltend machen. Viele Untersuchungen belegen, dass ein beträchtlicher Teil der Fusionen nicht die Ziele erreicht, die sich die Parteien vorgestellt hatten. Wenn man allein auf Daten und Erwartungen der Unternehmen angewiesen ist, kann man deshalb nicht selten in die Irre geführt werden, jedenfalls sind Zweifel angebracht. Außerdem gibt es kein kontradiktorisches Verfahren, in dem die Angaben des Unternehmens erhärtet werden könnten.
- Wenn die Effizienzen den Kunden oder Konsumenten nutzen sollen, müssen sie an sie weitergegeben werden (Leary hat Zweifel an diesem Kriterium: sind Verkäufer stets reicher als Käufer?). Dies einigermaßen plausibel zu belegen, ist ebenfalls mit vielen Unsicherheiten behaftet. Man wird aber vermuten können, dass Synergien einer Fusion auch den Abnehmern nutzen werden - wenn nicht in Form eines niedrigeren Preises, dann durch größeres Innovationspotenzial oder Qualitätsverbesserungen.
- Es gibt Effizienzen einer Fusion, die meist ignoriert werden: innovation or managerial economies. Wenn ein Unternehmen ohne Zuhilfenahme unlauteren Verhaltens die Marktführerschaft erringt und behauptet, lässt sich oft nicht genau bestimmen, woran dies liegt. Es ist wie bei einer Fußballmannschaft, die meist gewinnt: sie muss irgend etwas richtig machen. Diese Art der Effizienzen lässt sich am besten aus den Leistungen der beteiligten Parteien in der Vergangenheit erschließen und in die Zukunft projizieren, aber belegen und im Einzelnen beweisen lassen sie sich kaum.
- Der Artikel schließt trotz aller Skepsis positiv:
„This article, then, should not be understood as a cry of alarm. The much more modest objective is to isolate issues and hopefully clarify what we know and what we still do not know, in an effort to stimulate further study and debate.”