05.06.2002

Bonner Kolloquium: Daseinsvorsorge aus ökonomischer und EU-rechtlicher Sicht

Tagungsbericht





Professor Dr. Charles B. Blankart,
Humboldt-Universität Berlin


Prof. Blankart sprach über „Modelle der Daseinsvorsorge" (sein Aufsatz zu diesem Thema ist in WuW 2002, 340 nachzulesen):

Artikel 86 EU-V schränkt die Souveränität der Mitgliedstaaten ein. Die Wettbewerbsregeln des Vertrages gelten auch für öffentliche Unternehmen. Sind sie allerdings mit „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse" betraut, so gelten die Wettbewerbsregeln nur, soweit dies die Erfüllung dieser Aufgaben nicht verhindert (nicht lediglich behindert!). Die Vorschrift, die ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt enthält, ist allerdings durch den Europäischen Gerichtshof etwas eingeschränkt worden: die Beweislast für die Ausnahme trägt die Kommission, nicht der Mitgliedstaat.

Ferner ist in Artikel 16 EU-V festgelegt, dass Daseinsvorsorge gemeinsame Sache von EU und Mitgliedstaaten ist. Hinzuweisen ist auf Artikel 36 der Charta der Grundrechte. Man wird sehen, was der Konvent über eine EU-Verfassung bringt.

Die Kommission hat bereits zurückgesteckt, denn sie strebt offenbar keine Richtlinie mehr an, sondern begnügt sich mit einer Mitteilung über die Daseinsvorsorge. Danach sollen drei Prinzipien gelten:


Wenn man an die Verhältnismäßigkeit anknüpft, sind verschiedene Modelle denkbar und zu erörtern:
 
1.    Versorgermodell
Wettbewerb nicht im Markt, sondern um den Markt: Ausschreibung im Wettbewerb, Festlegung der Qualität der Leistung im Vertrag; Beispiel: Müllabfuhr,

2.    Universaldienstmodell
Flächendeckende Versorgung muss zu Defiziten führen (Telekom, Post): Vergabe nach dem geringsten Subventionsbedarf,

3.    Betreibermodell
Der Staat betreibt nur (teueren) Anlagen, der Betrieb wird ausgeschrieben,

4.    Versorgermodell mit Regulierung
Trennung von Anlage und Betrieb ist nicht sinnvoll, sondern beide werden privat finanziert: Ausschreibung mit staatlicher Regulierung (essential facilities),

5.    Qualitätssicherungsmodell
Wo es sich nicht um Inspektionsgüter oder Erfahrungsgüter, sondern um Vertrauensgüter (Kunde hat keine Möglichkeit der Nachprüfung) handelt, kann man auf Zertifikate und Kennzeichnungspflichten zurückgreifen, sollte allerdings den Marktzutritt nicht davon abhängig machen. Wird der Marktzutritt durch Ausschreibung geregelt (Versorgermodell), kann man die Qualität bei Ausschreibung oder im anschließenden Vertrag festlegen.

6.    Quersubventionierung
Die Bündelvergabe ist ökonomisch ineffizient. Besser ist eine Trennung der einzelnen Bereiche.



Dr. Heinz Hetmeier,
Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie


Daseinsvorsorge ist auch ein Problem der Beihilfenkontrolle. Dazu gibt es Rechtsprechungen des Europäischen Gerichtshofes, aber die Diskussion ist damit noch nicht beendet. Der Bundesregierung geht es in diesem Bereich um größere Rechtssicherheit.

Deutschland strebt an, dass die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse so konkret wie möglich definiert werden und dass es so wenige solcher Dienstleistungen wie möglich gibt. Dies unterscheidet uns von Frankreich, das darauf besteht, dass mit zunehmender Marktöffnung den Besonderheiten des Service public immer größere Rechnung getragen wird.

Die Kommission prüft, ob es eine Rahmenrichtlinie für Daseinsvorsorge geben sollte. Im Mittelpunkt stünde die Evaluierung. Brüssel möchte die Definitionshoheit durchaus den Mitgliedstaaten belassen, aber die Wirkungen der nationalen Entscheidungen überprüfen können. Deutschland sieht darin die Gefahr des Einstieges in eine Gemeinschaftspolitik.


Dr. Andreas Möhlenkamp,
Wirtschaftsverband Stahl- nund Metallverarbeitung e.V. (WSM)


Die Mitgliedstaaten haben das eindeutige Ziel, im Bereich der Daseinsvorsorge Kompetenzen zurückzugewinnen. Statt einer Prüfung der Verhältnismäßigkeit wollen sie der Kommission allenfalls noch eine Missbrauchskontrolle zugestehen. Die Diskussion im Verfassungskonvent wird schwierig werden.

Zur Beihilfenkontrolle ist auch auf die Transparenzrichtlinie zu verweisen, mit der das Finanzgebaren der öffentlichen Unternehmen durchsichtiger und eine Quersubvention erkennbar gemacht werden sollen.

Schließlich ist ein neues Urteil des Bundesgerichtshofs vom 25.04.2002 zu erwähnen, wonach private Unternehmen nicht gegen öffentliche Unternehmen, die gegen die Gemeindeordnung verstoßen, unter dem Gesichtspunkt des Vorsprungs durch Rechtsbruch vorgehen können.

Im Übrigen wird das Thema Daseinsvorsorge auch auf dem 64. Deutschen Juristentag vom 17. bis 20.09.2002 in Berlin behandelt (Gutachter Professor Ehlers, Münster).