16.11.2017

Veranstaltung des BDI zu „Private Kartellrechtsdurchsetzung in Deutschland – U.S. Amerikanisierung oder Effektivierung?“

D
BDI
Veranstaltung
Private Rechtsverfolgung
Sammelklagen

Am 12. Oktober wurden in Berlin auf einer vom BDI organisierten Veranstaltung die Balance zwischen privater und behördlicher Kartellrechtsdurchsetzung u. a. vor dem Hintergrund der derzeit diskutierten kartellrechtlichen Sammelklagen thematisiert. Bei der Diskussion kamen Vertreter aus Wirtschaft und Wissenschaft mit dem Präsidenten des Bundeskartellamts zusammen. Die Veranstaltung beleuchtete die aktuelle Dynamik von Kartellschadensersatzklagen in Deutschland im Nachgang der 9. GWB-Novelle, die dazu beitragen soll, dass Unternehmen und Verbraucher effektiver Schadensersatzansprüche durchsetzen können, wenn sie durch einen Kartellverstoß geschädigt wurden. Es wurde diskutiert, ob die Voraussetzungen für Schadensersatzklagen, vor allem das Verfahren zur Geltendmachung der Ansprüche, mit Inkrafttreten der GWB-Novelle tatsächlich einfacher geworden seien, so dass aller Erwartung nach künftig erheblich mehr Geschädigte Schadensersatzklagen gegen Kartellanten einreichen und durchfechten werden. Über die Bandbreite, Effektivität und Risiken privater Rechtsverfolgung haben folgende Experten gesprochen und diskutiert:

 

Veranstaltungsverlauf:

Die Veranstaltung wurde durch den Rechtsabteilungsleiter des BDI, Niels Lau, eröffnet, der davor warnte eine Sammelklage nach US-Amerikanischem Modell einzuführen, weil das dortige System Missbrauch begünstige, etwa über den hohen Vergleichsdruck. Auch in Europa stünden die Verbraucher den Auswüchsen von Sammelklagen kritisch gegenüber. Die Position der Wirtschaft sei einfach: Die Missbrauchsmöglichkeiten aus den USA sollen nicht nach Europa importiert werden.

Prof. Dr. Rainer Bechtold stellte dar, wie die „schleichende Verschärfung" des materiellen Kartellrechts und der Bußgeldhaftung sich auf die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen auswirkt. Die Kombination von europarechtlich vorausgesetzter Konzernhaftung, Zusammenfassung ggf. als Einzelakt nicht einmal zu beanstandender Hand-lungen zu einer einzigen und fortgesetzten (nunmehr rechtswidrigen) Handlung, Ausdehnung des Kartellverbots insbesondere auf Fälle des Informationsaustauschs, die nicht zwangsläufig mit einer Verhaltenskoordinierung einhergehen sowie der Tatsache, dass die bezweckte Wettbewerbsbeschränkung keinerlei tatsächlichen Auswirkungen voraussetze, führe dazu, dass eine kartellbehördliche Bußgeldentscheidung keinerlei Aussagen über einen etwaig erlittenen, zivilrechtlich relevanten Schaden treffen könne. Vor diesem Hintergrund erscheine die eingeführte widerlegliche Schadensvermutung als zu weitgehend.

Im Anschluss berichtete Dr. Till Schreiber, Geschäftsführer von Cartel Damage Claims, wie die 9. GWB-Novelle zwar die Rechte der Kläger stärke, aber nicht den Gerichtsstandort Deutschland. Deutschland sei aus seiner ehemals vorhandenen Vorreiterrolle zurückgefallen. In Zukunft sei zu erwarten, dass bei Cross-Border-Fällen eher außerhalb von Deutschland geklagt werde. Innerhalb von Deutschland seien lange Verfahren zu erwarten, die zwar mit fundierten Urteilen enden würden. Angesichts der Arbeitsbelastung der Gerichte und deren für Prozesse dieser Komplexität eher unzureichenden Ausstattung solle aber überlegt werden, ob nicht auch in Deutschland Sonderzuständigkeiten für Kartellschadensersatzstreitigkeiten eingeführt werden könnten. Auch sei kollektiver Rechtsschutz notwendig, wenn auch die Musterfeststellungsklage aus Klägersicht aufgrund der notwendigen Beweisstruktur problematisch erscheine.

Als nächster Redner warf Prof. Dr. Fabian Stancke, Brunswick European Law School, die Frage nach der „Industrialisierung" der privaten Kartellrechtsdurchsetzung auf. Der Trend zur Industrialisierung zeige sich an der Zunahme von Phänomenen wie Prozessfinanzierern, Öffentlichkeitsarbeit, frühen Vergleichsaufforderungen und forum-shopping. Parallel ließe sich ein Trend zur Schadenspauschalierung feststellen. Die Entkoppelung vom individuellen Schaden führe zum größten Zielkonflikt im deutschen Kartellrecht.

Der Präsident des Bundeskartellamts, Andreas Mundt, erläuterte die behördliche Sicht. Die zentrale Frage sei, wie das Gesamtgefüge austariert werde - es müsse eine Balance gefunden werden zwischen behördlicher und privater Kartellrechtsdurchsetzung. Insoweit machte er deutlich, dass die „private [Kartellrechtsdurchsetzung] zu 100 Prozent von der behördlichen" abhängt. Bei einem Überwiegen der privaten Kartellrechtsdurchsetzung leide die behördliche Kartellrechtsdurchsetzung. Dies könne Auswirkungen auf die Bonusregelung haben. Ziel sei, in jedem Fall die Aufdeckungsmöglichkeiten hoch zu halten. Ein anderes Konfliktfeld sei, dass nunmehr auch schon Schadensersatzansprüche gegen Unternehmen anhängig seien, die Verpflichtungszusagen - „einer simplen Änderung des Geschäftsgebarens" - abgegeben haben. Dies sei „neu im Bewusstsein" und insoweit glaube er, „dass die Bereitschaft zu einer einvernehmlichen Verfahrensbeendigung abnehmen" könne. Problematisch sei auch, dass die Beschränkung der Akteneinsicht auf den Bußgeldbescheid mit den allgemeinen Einsichtsrechten nach dem Informationsfreiheitsgesetzt kollidiere. Im Zusammenhang mit der Sensibilisierung für die Folgen einer Selbstanzeige sei auch das Wettbewerbsregister eine „Bombe mit enormer Sprengkraft". Die damit möglich gewordenen fakultativen Vergabesperren kämen für einige Unternehmen einer „Todesstrafe" gleich - die vom Bundeskartellamt nie beabsichtigt worden sei. Vor diesem Hintergrund erwartet Mundt eine „Delle" in der Anzahl der Bonusanträge. Auch diese habe ein enormes Loch in die Kartellverfolgung gerissen. Das Bundeskartellamt könne indes aber andere Ermittlungsmethoden stärken, etwa das anonyme BKMS-Hinweisgebersystem oder Vergabestellen sensibilisieren. Nicht zu unterschätzen sei auch die Möglichkeit eines Screenings" - ein solches habe in der Vergangenheit (neben anderen Beweismitteln) bereits einen Durchsuchungsbeschluss gestützt.

Im letzten Vortrag skizzierte Rüdiger Schütt vom US-Department of Justice die Perspektive der Vereinigten Staaten. Schütt sieht - anders als der Titel der Veranstaltung - keine Dichotomie zwischen Effektivierung und U.S.-Amerikanisierung. Insoweit sei zu beachten, dass das U.S.-amerikanische System insgesamt anders ausgestaltet sei als die europäischen Systeme. Des Weiteren würden bestimmte Merkmale des U.S.-Systems das Kartellrecht gerade effektiv werden lassen, z. B. die Pre-Trial-Discovery. Andere Elemente wie Class Actions würden auch in den USA kontrovers gesehen. Aber auch Sammelklagen hätten Vorteile, etwa bei kleineren einzelnen Streitwerten, wenn sonst gar kein Verfahren zustande käme. Er gestand zu, dass gerade Sammelklagen auch Raum für Missbrauch eröffneten. Etwaige Missbrauchsmöglichkeiten und tatsächliche Missbräuche könnten aber korrigiert werden, entweder durch den Gesetzgeber (hier nannte Schütt etwa den Class Action Fairness Act) oder durch die Rechtsprechung.

Es folgte eine von Dr. Karenfort, Dentons, moderierte Podiumsdiskussion, an der zusätzlich Michaela Kay, Bombardier Transportation, teilnahm. Diskutiert wurde u. a. über die Rechtsabteilung als Profit-Center und Auswirkungen der GWB-Novelle auf Due-Diligence-Prozesse in M&A-Transaktionen.