01.02.2019

BGH legt Kartellgeschädigten höhere Darlegungs- und Beweislast auf (Schienenkartell)

D
BGH
Kartellschadensersatz
Leistungsklage
Schienenkartell

BGH, Urteil vom 11. Dezember 2018 - KZR 26/17:  

http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&sid=45084427821ad018ef9fcf1e812969f4&nr=90845&pos=0&anz=1

Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat am 11.12.18 in einem Revisionsverfahren in einem Schadensersatzprozess zum Schienenkartell geurteilt, dass bei einem Quoten- und Kundenschutzkartell die Voraussetzungen für einen Anscheinsbeweis, weder hinsichtlich des Eintritts eines Schadens noch hinsichtlich der Kartellbefangenheit einzelner Aufträge, erfüllt seien (BGH, Urteil vom 11. Dezember 2018 - KZR 26/17). Das Gericht hat weiter festgestellt, dass es bei Quoten- und Kundenschutzkartellen keinen typischen Geschehensverlauf von Kartellen gibt. Aus diesem Grund sei auch kein Anscheinsbeweis zulässig, um eine individuelle Betroffenheit von kartellrechtswidrigen Absprachen und die Entstehung eines Schadens darzulegen. Der Richter muss tatsächlich die rechtlich gebotene umfassende Würdigung aller Umstände selbst vornehmen. Das heißt, er muss künftig eigene Feststellungen zu den Kartellrechtsverstößen, dem Marktumfeld, den Produkten und Kartellbeteiligten treffen, ohne dass er sich - im Rahmen des Anscheinsbeweises und somit eines typisierten Indizienbeweises - auf die Ermittlungen und die Entscheidung der Kartellbehörde stützen könnte. Damit bleibt die Beweislast für Kartellschäden und Kartellbetroffenheit beim Kläger. Allerdings kann der Richter im Rahmen der umfassenden Gesamtwürdigung des Klägervortrags und der freien Beweiswürdigung weiter auf tatsächliche Vermutungen zurückgreifen.

Im Urteil heißt es dazu wie folgt:

[61] Zwar sind, wie bereits ausgeführt, Quoten- und Kundenschutzabsprachen grundsätzlich auf eine möglichst umfassende Wirkung ausgerichtet. Dies kann eine tatsächliche Vermutung dafür begründen, dass Aufträge, die sachlich, zeitlich und räumlich in den Bereich der Absprachen fallen, von diesen erfasst wurden und damit kartellbefangen waren.

[62] Es ist jedoch nicht hinreichend gesichert, dass eine sehr große Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass solche Absprachen tatsächlich in jedem einzelnen Fall beachtet und umgesetzt werden, die Kartellbefangenheit der je einzelnen Aufträge mithin als typischer Geschehensablauf anzusehen ist. Neben den bereits oben im Zusammenhang mit dem Eintritt eines Schadens angesprochenen Umständen können weitere Faktoren eine Rolle spielen. So kann etwa die Umsetzung der Absprachen insbesondere in der Anfangsphase auf praktische Schwierigkeiten stoßen. Dabei kann etwa der Umstand Bedeutung erlangen, dass der für die Umsetzung wettbewerbsbeschränkender Absprachen erforderliche Informationsaustausch Einschränkungen unterliegt, die sich daraus ergeben, dass die Beteiligten wegen der Gefahr der Entdeckung besondere Vorsicht walten lassen.

[63] Mit Recht rügt die Revision in diesem Zusammenhang, dass sich das Berufungsgericht nicht hinreichend mit Besonderheiten auseinandergesetzt hat, die die Aufträge der Klägerin an die Beklagte betreffen, auf welche die Klage gestützt wird. Nach den Feststellungen des Bundeskartellamts beruhten die Absprachen maßgeblich darauf, dass den einzelnen Kartellanten bestimmte Unternehmen als "Altkunden" oder "Stammkunden" zugeordnet waren. Nach dem Vorbringen der Beklagten, das revisionsrechtlich zugrunde zu legen ist, war die Klägerin keine "Stammkundin" der Beklagten. Das Berufungsgericht hat dazu lediglich bemerkt, daraus lasse sich nicht der Schluss ziehen, die Geschäfte anderer Kunden seien von den Absprachen unbeeinflusst geblieben. Die Anwendung der Grundsätze des Anscheinsbeweises wäre jedoch nur gerechtfertigt, wenn auch für die Aufträge, die nicht von "Stammkunden" erteilt werden, von einem typischen Geschehensablauf hinsichtlich der Kartellbetroffenheit ausgegangen werden könnte, wofür sich dem angefochtenen Urteil nichts entnehmen lässt.

[64] Gerade bei Kartellabsprachen, die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken und ein großes Gebiet abdecken sollen, ist zudem damit zu rechnen, dass sie zeitlich und räumlich unterschiedliche Intensität aufweisen. Dies zeigt sich auch im Streitfall, denn nach den Feststellungen des Bundeskartellamts, die das Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, änderten sich die Absprachen hinsichtlich Struktur und Teilnehmer mit den Marktgegebenheiten und wiesen zudem regional unterschiedliche Intensität aus. Dies hat das Berufungsgericht im Ansatz auch nicht verkannt, sondern ausdrücklich festgehalten, dass Veränderungen und Abweichungen insbesondere bei einem über einen längeren Zeitraum durchgeführten Kartell "geradezu den Normalfall" darstellen. Danach ist aber eine Anwendung der Grundsätze des Anscheinsbeweises nicht gerechtfertigt. Weder aus den Entscheidungsgründen des Berufungsgerichts noch aus den dort in Bezug genommenen früheren Entscheidungen ergibt sich, dass solche Veränderungen oder Abweichungen unerheblich sind, noch dass ungeachtet solcher Modifikationen jeweils ein typischer Geschehensablauf angenommen werden kann.

Der BGH hat weiter festgestellt, dass für die Feststellung eines Schadens der Beweismaßstab des § 287 Abs. 1 ZPO gelte. In diesem Rahmen müsse der Tatrichter den gesamten Vortrag umfassend würdigen und könne sich nicht auf die Frage beschränken, ob einzelne Einwände einen Anschein erschüttern könnten. Für die Existenz eines Kartellschadens streitet nach dem Urteil des Bundesgerichthofs im Schienenkartell allerdings eine tatsächliche Vermutung, die an den ökonomischen Erfahrungssatz anknüpft, wonach ein Preis-, Quoten- und Kundenschutzkartell häufig zu einer Kartellrendite der beteiligten Unternehmen führe. Es spreche demnach eine tatsächliche Vermutung dafür, dass die im Rahmen eines Kartells erzielten Preise im Schnitt über denen lägen, die sich ohne die Absprache bildeten. Im Urteil heißt es dazu:

[65] (...) Nach ökonomischen Grundsätzen wird bei Kartellen vielfach eine Kartellrendite entstehen. Treffen Unternehmen trotz der damit einhergehenden erheblichen Risiken solche Absprachen, streitet danach eine tatsächliche Vermutung dafür, dass die im Rahmen eines Kartells erzielten Preise im Schnitt über denen liegen, die sich ohne die wettbewerbsbeschränkende Absprache bildeten (...)

Darüber hinaus sei vom Kläger darzulegen und zu beweisen, dass seine Aufträge und Geschäftsabschlüsse von dem Kartell betroffen waren. Für diese Feststellung müsse das Gericht den strengen Maßstab des § 286 ZPO zugrunde legen. Hier hilft zukünftig auch nicht die mit der letzten GWB-Novelle eingeführte Schadensvermutung. Diese erstreckt sich nach der Gesetzesbegründung (zu § 33a Abs. 2 GWB) nämlich nicht auf die Feststellung, „dass der Schadensersatz Beanspruchende von dem Kartell betroffen ist. Der Anspruchsteller trägt auch weiterhin die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er Waren oder Dienstleistungen abgenommen oder geliefert hat, auf die - gegebenenfalls auch als Vorprodukt - sich der Verstoß bezogen hat."