16.06.2023

11. GWB-Novelle: Sachverständigenanhörung im Wirtschaftsausschuss des Bundestags

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Bundestag
11. GWB-Novelle
Wettbewerbsdurchsetzung
Entflechtung
Sektoruntersuchung

Videostream:

Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen - YouTube oder Deutscher Bundestag - Konträre Meinungen zu neuen Befugnissen für das Bundeskartellamt 

Pressemitteilung: Deutscher Bundestag - Anhörung zu Änderungen im Wettbewerbsrecht

Liste der Sachverständigen: SV-Liste (bundestag.de)

Stellungnahmen der Sachverständigen: Deutscher Bundestag - Konträre Meinungen zu neuen Befugnissen für das Bundeskartellamt 

Am 14. Juni 2023 fand die öffentliche Anhörung des Wirtschaftsausschusses des Bundestags zu den von der Bundesregierung geplanten Änderungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) statt. Zur Anhörung waren acht Sachverständige eingeladen worden, die konträr diskutiert haben. Es handelte sich um folgende Sachverständige: 

Der Gesetzentwurf (20/6824) zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen und anderer Gesetze sieht unter anderem vor, die Wirksamkeit von sogenannten Sektoruntersuchungen im Kartellrecht zu erhöhen (vgl. FIW-Berichte vom 31.05.23, 10.05.23, 30.01.23 und 14.10.22). So sollen die Verfahren demnächst schneller ablaufen und das Bundeskartellamt die Befugnis erhalten, im Anschluss an eine Sektoruntersuchung eine „erhebliche und fortwährende Störung des Wettbewerbs festzustellen und auf dieser Grundlage verhaltensbezogene und strukturelle Abhilfemaßnahmen anzuordnen“. Mit der GWB-Novelle soll zudem unter anderem die Anwendbarkeit der kartellbehördlichen Vorteilsabschöpfung vereinfacht werden

Aus Sicht des Sachverständigen Böttcher entstehe durch die GWB-Novelle eine „hohe Rechtsunsicherheit“ auf Seiten der Unternehmen. Diese seien grenzenlosen Eingriffen durch das Bundeskartellamt ausgesetzt. Mit dem Gesetzentwurf gehe die Bundesregierung zudem einen europäischen Sonderweg. Er wies darauf hin, dass das Gesetz nicht nur Großunternehmen treffen werde, sondern auch kleinere und mittlere Unternehmen, die häufig als Hidden Champions in Nischenbranchen agierten. Das neue Gesetz werde fatale Auswirkungen auf Unternehmensentscheidungen haben. Wenn Deutschland so ein scharfes Wettbewerbsrecht habe, werde es dazu kommen, dass sich Unternehmen überlegen, wo sie stattdessen hingehen wollen.

Der Sachverständige Podszun verteidigte den Gesetzentwurf auf ganzer Linie. Es gebe wettbewerbliche Fehlstellungen, (hohe Marktmacht, gleichförmiges Verhalten, strukturelle Wettbewerbsarmut in einigen Sektoren), „an die man nicht drankommt“. Es sei Zeit für eine „progressive Wettbewerbspolitik“. Die neuen Tools sollen dazu dienen, mehr Wettbewerb zu schaffen für KMU und für Verbraucher. Der Begriff der Störung solle nicht näher definiert werden, da das Bundeskartellamt neue Wettbewerbsstörungen aufgreifen solle. Podszun meinte, dass das Gesetz sogar für die Entscheidung von Unternehmen hilfreich sein könne, nach Deutschland zu kommen, wo mit Hilfe des Gesetzes dann der Wettbewerb funktioniere. In der im Regierungsentwurf eingefügten Subsidiaritätsklausel sieht Podszun bloß einen „Stolperstein“. Für höheren Rechtsschutz könnten sich mehrere Beschlussabteilungen mit den Entscheidungen nach § 32 f GWB-E befassen. 

Die Sachverständige Schweitzer hatte hierzu eine konträre Haltung. Sie sagte, dass die Novelle nicht gebraucht werden und keine Lücken vorhanden seien. Sollten Probleme feststellbar sein, sollte man sich gezieltere Maßnahmen überlegen und ggf. das Missbrauchsverbot reformieren. Eigentlich sei Deutschland aber beim Missbrauchsverbot gut aufgestellt. Sie lehnte eine pauschale Eingriffsbefugnis, wie sie § 32 f GWB-E enthält, ab. Die Irrtumskosten seien hierfür zu hoch, hier stimme die Balance nicht. 32 f GWB-E adressiere im Übrigen keine konkreten und gut dokumentierten Probleme. Die Beispiele für eine Störung seien im Übrigen zu umfassend, da sie ohne Eingrenzung alles erfassen könnten. Als problematisch erachtete Schweitzer, dass das GWB in Zukunft sich für eine weitere „Aufladung von Zielen“ eigne, die über das klassische Wettbewerbsrecht (Freiheit des Wettbewerbs) hinausgingen. Sie warnte auch davor, das UK Market Investigation Tool für Deutschland als Vorbild zu nehmen. Das Wettbewerbsrecht in Großbritannien sei nicht vergleichbar. Es sei kein System subjektiver Rechte wie in Deutschland, sondern folge dem public interest. Man sei mit dem deutschen System immer „gut gefahren“. 

Der Sachverständige Andreas Mundt betonte, dass es in Deutschland Märkte gebe, die „verkrustet und vermachtet“ seien und auf denen ein Entdeckungsverfahren nicht mehr stattfinde. Es gehe nicht darum, Märkte im Sinne von Marktdesign zu gestalten, sondern darum, Wettbewerb überhaupt wiederherzustellen. 18 Monate für eine Sektoruntersuchung seien zu ambitioniert. Er lehnte die Subsidiaritätsprüfung ab und versuchte zu beschwichtigen, dass das Bundeskartellamt mit dem Gesetz „nicht marodierend durch die Gegend ziehen“ werde. 

Der Sachverständige Wernicke monierte, dass es de lege lata keine Regelungslücken und keinen Handlungsbedarf gebe. Es sei auch nicht klar, warum es um eine neue Konzeption von Wettbewerb gehe. Man brauche zudem einen eindeutigen Gesetzestext. Die Subsidiaritätsregelung sei wichtig und müsse effektiviert werden, da Deutschland bereits ein funktionierendes Wettbewerbsrecht habe. Es müsse eindeutig sein, wann Marktmacht in eine Störung umschlägt. Alle bisherigen Regelbeispiele würden nicht helfen, da sie weit interpretiert werden können. Die bisherigen Nachbesserungen würden ebenfalls nicht helfen. In verfassungsrechtlicher Hinsicht verwies Wernicke auf das jüngst verfasste verfassungsrechtliche Gutachten von Prof. Nettesheim, das klare Prämissen enthalte. Das Gesetz erlaube einen Eingriff in ein gesellschaftliches Funktionssystem, der Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit wecke. Der Begriff der Störung sei bislang nicht bestimmt; es sei auch bisher nicht gelungen, eine Bestimmbarkeit herzustellen. Diese Entscheidungsmacht dürfe nach der Wesentlichkeitstheorie auch nicht auf eine Behörde verlagert werden, sondern diese Entscheidungen müssten vom Parlament getroffen werden. Der Gesetzentwurf sei zudem nicht ausreichend formuliert. Notwendig sei in jedem Fall eine Zurechnung bzw. eine Verantwortlichkeit im Sinne einer subjektiven Vorwerfbarkeit oder eines bewussten Inkaufnehmens seitens der herangezogenen Unternehmen. Mit dem Gesetz beschreite Deutschland nicht nur einen Sonderweg, sondern es würden auch Verhaltensweisen sanktioniert, die nach EU-Recht rechtmäßig seien. 

Der Sachverständige Franck war der Ansicht, dass das Gesetz bereits umfassenden Rechtsschutz vorsehe. Die differenziertere Anwendung bei der aufschiebenden Wirkung sei richtig. Entscheidend sei die Prüfungsdichte der Gerichte. Aus seiner Sicht solle mit dem Gesetz keine Marktergebniskontrolle vorgenommen werden. Es seien zumindest keine Anreize ersichtlich, dass das BKartA zum Preisregulierer werden wolle. Die Vorteilsabschöpfung verfolge einen legitimen Zweck, bei der die Verhältnismäßigkeit gewahrt sei. Die Pauschalierung der Vermutungswirkung von einem Prozent bewertete Franck als niedrig. Wenn es zu einer Überabschöpfung komme, gebe es zumindest noch eine Härtefallklausel und eine Zehn-Prozent-Deckelung.

Der Sachverständige Peitz sah die Notwendigkeit für eine erweiterte Sektoruntersuchung. Das BKartA habe nach aktuellem Recht keine Möglichkeiten, Maßnahmen zu ergreifen, wenn der Wettbewerb signifikant gestört sei, aber kein nachweisbar missbräuchliches Verhalten vorliege. Zudem seien Sektoruntersuchungen auch dann eine gute Maßnahme, wenn die Wettbewerbsintensität durch Schocks wie internationale Krisen eingeschränkt werde und durch den Rückgang des internationalen Handels der Wettbewerb geschwächt würde.

Der Sachverständige Künstner sagte, dass er im bisherigen GWB sehr wohl eine Lücke sehe. Die Einführung der weiten Eingriffsbefugnisse würden das bisherige Kartellrecht entlasten und Druck aus den Entscheidungen der Behörde und der Gerichte bei der Anwendung des herkömmlichen Kartellrechts nehmen.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung für eine 11. GWB-Novelle ist am 26. Mai 2023 in erster Lesung vom Bundestag beraten worden und dann im Anschluss an die Aussprache zur federführenden Beratung in den Wirtschaftsausschuss überwiesen worden. Der Gesetzentwurf war zuvor von der Bundesregierung am 5. April 2023 als Regierungsentwurf im Kabinett verabschiedet worden.