Körner, Dr. Julia

Die Gesamtschuld im europäischen Kartellbußgeldrecht

Band 254

XX, 331 (64,- €)

ISBN: ISBN 978-3-452-28714-4

Die Annahme einer gesamtschuldnerischen Haftung von Unternehmen, die mit anderen Unternehmen nach Lesart der Europäischen Kommission und der europäischen Gerichte zu einer „wirtschaftlichen Einheit“ verbunden sind, ist ein Phänomen des europäischen Kartellrechts und wird aus dem Unternehmensbegriff abgeleitet. Die Annahme eines solchermaßen weit verstandenen Unternehmensbegriffs durch die EU-Kommission und europäischen Gerichte hat dazu geführt, dass bei der Bußgeldfestsetzung Bußgelder gleich gegen mehrere Konzernunternehmen festgesetzt worden sind. Die gesamtschuldnerische Haftung wird eher mit pragmatischen als mit dogmatischen Erwägungen gerechtfertigt, soll der Bußgeldanspruch doch möglichst unproblematisch gegen einen solventen Schuldner durchgesetzt werden. Bemerkenswert dabei ist, dass es an einer expliziten Grundlage im europäischen Primärrecht fehlt. Über die so genannte und dem deutschen Recht fremde „Konzernmutterhaftung“ wird derzeit anlässlich der Umsetzung der „Kartellschadensersatz-Richtlinie“ (Richtlinie 2014/104/EU) vom 26. November 2014 in das deutsche Recht intensiv debattiert; vor allem das Bundeskartellamt und die Monopolkommission dringen auf die Übernahme der europäischen Gesamtschuldannahme in das deutsche Recht.

Die Verfasserin der vorliegenden Dissertation, die an der Johannes Gutenberg Universität Mainz mit der Bestnote ausgezeichnet worden ist, geht zunächst der Frage der Berechtigung der EU-Kommission nach, innerhalb eines Unternehmensverbundes eine Gesamtschuld für eine Bußgeldforderung annehmen und anordnen zu dürfen. Nach einer gründlichen Bestandsaufnahme des unionsrechtlichen Begriffsverständnisses und Analyse der normativen Anknüpfungstatbestände befasst sie sich zudem mit der rechtsstaatlichen Einordnung der Kartellbuße. Eine wichtige Schlussfolgerung der Verfasserin ist sicherlich, dass die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geforderten Verfahrensgarantien - auch für Strafrecht im weiteren Sinne - derzeit im kartellrechtlichen Bußgeldverfahren nicht eingehalten werden. Auch trägt die Verordnung Nr. 1/2003, auf die die EU-Kommission ihre Gesamtschuldanordnung stützt, diese nicht; hieraus folgt die Forderung nach einer Änderung der Unionspraxis. Die Arbeit wendet sich weiter Fragen nach einer etwaigen Einstandspflicht im Innenverhältnis der Gesamtschuldner zu und setzt sich mit der neuesten Rechtsprechung dazu auseinander. Im Hinblick auf die Umsetzung der Kartellschadensersatz-Richtlinie ist die Verfasserin der Meinung, dass der Verwendung des Unternehmensbegriffs im Sinne der wirtschaftlichen Einheit Rechnung zu tragen sei.

Das FIW freut sich, mit diesem Band ein Thema mit höchster praktischer Relevanz vorzulegen, dem sich das FIW derzeit auch mit anderen Bänden der Schriftenreihe – mit teils anderen Schwerpunkten – (vgl. Band Nr. 245 und Nr. 253 i.E.) anzunähern sucht. Darüber hinaus dürfte die konkrete Ausarbeitung bedeutend zum wissenschaftlichen Fortschritt beitragen. Die rechtsdogmatischen Herausforderungen dieses Themas und die Implikationen für die Praxis, insbesondere die Unternehmen und Unternehmensstrukturen, sind erheblich. Es stellen sich Fragen an der Schnittstelle zwischen Kartellrecht, Zivilrecht, Strafrecht sowie Gesellschaftsrecht, die nicht jeder Experte auf dem Gebiet des Kartellrechts sofort im Blick hat, hier aber angesprochen werden. Der Band wird auch die aktuelle Debatte im Rahmen der anstehenden Novelle des GWB über die Einführung des europäischen Unternehmensbegriffs in das nationale Recht weiter befeuern. Wir wünschen ihm in diesem Sinne eine breite und gute Resonanz.

 

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