10.04.2006
Philip Collins (OFT): Reform of Article 82 (Vortrag)
Großbritannien
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https://www.oft.gov.uk/news/speeches+and+articles/2006.index.htm |
Philip Collins, Chairman des Office of Fair Trading, hat am 24. Februar 2006 vor dem British Institute of International and Comparative Law in London über “Reform of Article 82” referiert. Man darf seine Ausführungen als die Stellungnahme der britischen Wettbewerbsbehörde zu dem Kommissionsentwurf zu Leitlinien zu Behinderungsmissbrauch (FIW-Aktuelles vom 22.12.05) nehmen. Diese Position lässt sich wie folgt zusammenfassen:
- Das Abstellen auf die Konsumentenwohlfahrt ist aus konzeptionellen und praktischen Gründen richtig. Die Kommission stützt sich bei der Beurteilung der Behinderung auf den „Test des ebenso effizienten Wettbewerbers“ (as efficient competitor) und wendet dafür den Vergleich verschiedener Kosten an. Fällt dieser Vergleich zu Ungunsten des Marktbeherrschers aus, wird eine Behinderungswirkung angenommen. Daran sind drei Bemerkungen zu knüpfen:
- Sollte man bei dieser Vermutung stehen bleiben oder nicht vielmehr in einem weiteren Schritt untersuchen, ob die Konsumentenwohlfahrt tatsächlich beeinträchtigt wird?
- Kostenvergleiche sind kein Allheilmittel (panacea). Preise unterhalb der durchschnittlichen variablen Kosten können harmlos und sogar für die Verbraucher günstig sein. Mit bloßen Kostenvergleichen kann man leicht wettbewerbsförderndes Verhalten zunichte machen (wird am Beispiel zweier Verkehrsbetriebe in Edinburgh illustriert).
- Die Zuordnung von Kosten ist oft problematisch, nicht nur bei den Gemeinkosten. Es stellt sich auch die Frage nach der Auswahl des richtigen Zeitabschnitts.
- Rabatte sollen missbräuchlich sein, wenn der Preis unterhalb der durchschnittlichen Gesamtkosten liegt. Daraus folgt aber noch nicht, dass dann auch die Verbraucher geschädigt werden, sondern man fällt hier wieder in einen formalistischen Ansatz zurück. Ähnlich ist es bei der Geschäftsverweigerung. Ob dadurch der Wettbewerb auf dem Markt des Geschäftspartners wirklich beeinträchtigt wird, ist nicht sicher. Die Vermutung, von der die Kommission ausgeht, ist jedenfalls nicht ohne Weiteres mit der Konsumentenwohlfahrt zu vereinbaren.
- Ist es richtig, dem Marktbeherrscher die volle Beweislast für Effizienzen aufzuerlegen? Dies ist bei Artikel 81.3 der Fall und liegt auch der VO 1/03 zugrunde. Artikel 82 ist aber anders konstruiert und verpflichtet die Behörde zum vollen Nachweis der Verletzung (es gibt keinen Artikel 82.3). Deshalb müsste es genügen, wenn der Marktbeherrscher Plausibilitäten vorträgt (a plausible case). Danach wäre wieder die Behörde am Zuge. Deshalb sollte es nicht um Verlagerungen der Beweislast gehen (shifting of the burden of proof), sondern um die Darlegungslast (burden of adducing evidence). Sollte die Kommission aber an der Beweislastumkehr festhalten, müsste man darüber nachdenken, ob dann nicht die niedrige Schwelle der Marktbeherrschung verändert werden müsste.
- Bei der Marktbeherrschung fasst die Kommission jetzt nur die Rechtsprechung zusammen. Man sollte aber diskutieren, welches die richtige Schwelle für die Marktbeherrschung ist und wie die passende Analyse aussehen könnte. Dazu sind drei Dinge zu überlegen:
- Es wird immer noch zu viel Gewicht auf die Marktanteile gelegt, was angesichts der Unsicherheit der Bestimmung des relevanten Marktes, der Vermutung von Missbräuchen und der Beweislastverlagerung von Effizienzen problematisch ist.
- Bei kollektiver Marktbeherrschung folgt die Kommission dem Urteil Irish Sugar. Danach ist nicht nötig, dass alle Unternehmen missbräuchlich handeln. Dies ist eine sehr komplexe Situation, über die noch diskutiert werden sollte. OFT würde solche Fälle nicht aufgreifen.
- Der „gleitende Maßstab“ für Missbräuche, der auf dem Verhältnis von Marktbeherrschung und Verbraucherschaden beruht, ist an sich richtig, doch müsste noch näher erklärt werden, wie er in der Praxis zu handhaben ist.
- Generell ist darauf zu achten, dass die Leitlinien den Gerichten sagen, wie sie vorgehen sollten, gerade wenn demnächst private Schadensersatzklagen häufiger werden sollten. „Guidance which is too complex, detailed and prescriptive might lead national courts to apply article 82 in a formalistic way.“